Focus - 22.02.2020

(Sean Pound) #1
KOMMUNIKATION

Fotos: action press, Bernd Brundert

FOCUS 9/2020 109

Gespräch gar nicht erst entstehen zu las-
sen. Es gibt jede Menge solcher Formeln,
die gegenwärtig das Kommunikations-
klima ruinieren – „der frustrierte Ost-
deutsche“, „die hysterische Feministin“,
„der kriminelle Flüchtling“, der „naive
Gutmensch“. Wer so angegangen wird,
der will sich häufig nur noch gegen die
Ungerechtigkeit der Attacke verteidigen.
Was ja kein negativer Reflex sein muss.
Aber spätestens dann greift das, was
wir in unserem Buch das Gesetz der fort-
schreitenden Diskursvergiftung nennen:
je schärfer der Angriff, desto massiver
der Empathieverlust der unmittelbar am
Gespräch Beteiligten und desto unwahr-
scheinlicher der gelingende Austausch,
der von einem Minimum an wechselseiti-
ger Wertschätzung lebt. Am Ende brüllen
schließlich alle aufeinander ein.
Was raten Sie denn, um den Diskurs
wieder möglich zu machen?
Das erste Gebot auf dem Weg zu einem
echten Dialog lautet: „Du sollst nicht vor-
schnell generalisieren!“ Erst einmal genau
hinschauen. Die Welt kommen lassen,
bevor man sie gleich mit Klischees zupflas-
tert. Und wenn man kritisiert: zwischen
der Person und der Position trennen, dem
anderen Menschen also nicht den Res-
pekt verweigern. Auch dann nicht, wenn
einem seine Auffassung vielleicht furcht-
bar aufstößt.
Wenn man den Kopf ab und an aus dem
Internet rausnimmt, merkt man: Diejenigen,
die in sozialen Medien pöbeln und hassen,
sind doch eigentlich in der Minderheit,
warum haben sie dennoch so einen Einfluss
auf unser Kommunikationsverhalten?
Sie schüchtern eine zunehmend ratlose
Mitte ein, bestimmen von den Rändern her
das Kommunikationsklima. Das ist fatal,
weil sich diejenigen, die anders sprechen
wollen, verängstigt und angeekelt zurück-
ziehen, wie Befragungen zeigen. Und weil
sich damit die Dominanz der Lauten und
Aggressiven nur noch weiter verstärkt –
ein Teufelskreis, bei dem am Ende des
Tages die Pöbler und Hater ziemlich allein
auf dem Platz stehen.
Die Band Tocotronic sang „Im Zweifel
für den Zweifel“, eine wunderbare Art,
durchs Leben zu gehen, aber nicht
sonderlich verbreitet. Warum eigent-
lich wollen alle ständig Recht haben?
Weil uns die permanente Konfrontation
mit immer anderen Ansichten überfor-
dert, wir uns also in den Dogmatismus
flüchten. Und das heißt auch: Das so ver-
breitete Filterblasen-Modell ist unhalt-

bar. Es handelt sich um einen Kommu-
nikationsmythos, der besagt: Wir werden
algorithmisch in einen Tunnel der Selbst-
bestätigung hineingelockt und sehen nur
noch das, was unsere Ansichten bestätigt.
Ich sehe ziemlich viel, was nicht
meinen Ansichten entspricht ...
Stimmt. Dass wir in wunderbarer
Harmonie mit Gleichgesinnten in
unseren getrennten Echokam-
mer hocken, trifft nicht zu, wie
man auf dem eigenen Kom-
munikationskanal tagtäglich
erleben kann und wie aktuel-
le Studien zeigen. Wir sehen
alles – und dies in Hochge-
schwindigkeit. Banales, Bes-
tialisches, Berührendes. Und
wir sind unter vernetzten
Bedingungen einer Überdo-
sis Weltgeschehen ausgesetzt.
Wir können uns einigeln,
aber nicht abschotten. Wir kön-
nen uns in unsere Wirklich-
keitsblase und unser Selbst-
bestätigungsmilieu hinein-
googeln, aber anderen An-
sichten eben nicht auswei-
chen. Ich nenne dieses Auf-
einanderprallen von Parallel-
öffentlichkeiten den Filter-
clash. Und diese Dauerkon-
frontation der Perspektiven
macht gereizt. Der Zweifel er-
scheint in einer solchen Kom-
munikation als gefährlich,
weil er weiter destabilisiert.
Nehmen wir an, Ihre Diagnose
stimmt, wir leiden unter einem
sogenannten Filter-Clash:
Welche Handlungsempfehlungen folgen
daraus in Sachen Kommunikation?
Aus meiner Sicht ist die Zukunftstugend
der Kommunikation die respektvolle Kon-
frontation. Denn je intensiver und massiver
wir unter den vernetzten Bedingungen
mit immer anderen Ansichten, Weltbildern
und Ideologien konfrontiert werden, des-
to entscheidender ist es, nicht auszuwei-
chen, aber auch nicht gleich mit maximaler
Eskalationsbereitschaft draufzudreschen.
Wer sich opportunistisch wegduckt, der
hat aufgegeben. Und wer die Aggression
des Gegners kopiert, trägt zum weiteren
Ruin des Kommunikationsklimas bei.
Daher lautet das Plädoyer, das Friedemann
Schulz und ich formulieren: Auf den Mit-
telweg kommt es an, der das nötige Mini-
mum an Empathie und Wertschätzung mit
Trennschärfe und Streitbarkeit verbindet.

Sie fordern also keine technische
Lösung für unsere Kommunikations-
probleme, eine Klarnamenpflicht
oder ein Facebook-Verbot etwa?
Nein. Eine technische Lösung kann es
nicht geben. Und trotzdem gibt es inzwi-
schen viele wohlmeinende Diskurs-Ini-
tiativen auf der Welt, die fordern: Wir
brauchen eine App, die die Pers-
pektivenvielfalt programmiert;
wir müssen Systeme künstli-
cher Intelligenz entwickeln,
die Menschen ihre Gegenmei-
nung in die Timeline spülen.
Das ist ein Irrweg – und ein
direktes Resultat des Filter-
blasen-Mythos.
Früher haben wir im Gespräch
gemeinsam zu einer Haltung,
zu einer Lösung gefunden.
Heute finden die Gespräche
immer mehr online statt. Wir
sehen keine Gesten, kein Ab-
wägen, wir formulieren auf die
Punch-Line, auf den Witz oder
Treffer, um vom unendlichen
Publikum bejubelt zu werden.
Kann da eine abwägende Form
der Kommunikation überhaupt
wieder entwickelt werden?
Das wird schwer, klar. Die
Anreizsysteme der sozialen
Netzwerke tragen zur Über-
hitzung von Debatten bei.
Und wir sehen auch, wie sich
manche Publizisten, getrie-
ben vom Like-Fieber und der
Jagd nach Klicks, radikalisie-
ren, immer schärfer formulieren, weil sie
verstanden haben: Was emotionalisiert,
funktioniert. Aber wenn Sie mich fragen:
Ich bin im Letzten ein unerschütterlicher
Aufklärungs- und Diskursoptimist.
Lassen Sie uns bitte daran teilhaben!
Dieser Optimismus ist letztlich eine
Entscheidung, weil mir sehr klar ist, dass
die Alternativen ziemlich furchtbar und
unwürdig sind. Natürlich, man kann
immer schärfere Gesetze fordern, raffinier-
te Nudging- und Bevormundungstechni-
ken propagieren oder für eine obskure
Form der Elitenherrschaft eintreten, die
manche Politikwissenschaftler inzwischen
sehr ernsthaft empfehlen. Aber das sind
nach meinem Dafürhalten gefährliche
Gedankenspiele, die das in einer Demo-
kratie unverzichtbare Ideal der Mündig-
keit verhöhnen. n

INTERVIEW: LAURA EWERT

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Es geht darum,
die Ruhebank
der eigenen
Gewissheiten
zu verlassen

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