Focus - 22.02.2020

(Sean Pound) #1

AGENDA


wichtigsten Sicherheitsforums der Welt
beim abendlichen Dinner zu hören war,
war nicht nur Heldenverehrung. Der
Event wirkte wie eine wehmütige Hom-
mage an die guten alten Zeiten, als sich
Demokraten und Republikaner noch
nicht bekriegten und das transatlanti-
sche Verhältnis noch intakt war. Als sich
Deutsche und Amerikaner bei Brezen
und Weißwurst ständig gegenseitig ihrer
Freundschaft versicherten. Und es meis-
tens auch so meinten.
Nicht, dass es nicht solche Bekenntnisse
auch diesmal gegeben hätte.
Mit 42 Mitgliedern stellte die
diesjährige US-Kongressdele-
gation sogar die zweitgrößte in
der 57-jährigen Geschichte der
Konferenz dar. Aber zwischen
all der hektischen Betriebsam-
keit im „Bayerischen Hof“ war
die Entfremdung deutlich spür-
bar. Zur Krisenstimmung pass-
te es da irgendwie, dass das
5-Sterne-Hotel im Zeichen des
Coronavirus überall Desinfek-
tionsmittel bereitgestellt hatte.


Tektonische
Machtverschiebung


Die Aufkündigung internatio-
naler Verträge wie des Pariser
Klimaabkommens, die Läh-
mung der Internationalen Han-
delsorganisation WTO, weil
die USA die Ernennung von
Richtern verweigern, die Hal-
tung zu China und Russland,
die Unterstützung der Ukraine
mit Waffen – es gibt kaum noch
Themen, die nicht strittig wären zwischen
Europäern und Amerikanern. „Unser
engster Verbündeter, die Vereinigten
Staaten von Amerika, erteilen unter der
jetzigen Regierung der Idee einer inter-
nationalen Gemeinschaft eine Absage“,
kritisiert Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier. Der frühere schwedische
Regierungschef Carl Bildt hielt die unge-
wohnt klare Rüge des Deutschen für so
bemerkenswert, dass er sie sofort in sein
Smartphone tippte und über Twitter ver-
breitete. US-Außenminister Mike Pom-
peo, der als Soldat in den Achtzigern in
Deutschland diente, wies den Vorwurf
empört zurück.
Bezeichnend für die Konfrontation ist
der jüngste Streit um den Ausbau der
schnellen 5G-Datenleitungen. Hochran-
gige US-Vertreter versuchten, vor und
hinter den Türen in München davon zu
überzeugen, dass der chinesische Smart-
phone-Hersteller Huawei keinesfalls am


„Wir erleben gerade eine tektonische
Machtverschiebung vom Atlantik zum
Pazifik.“ Es zählt, was China macht. Euro-
pa wird weniger wichtig. Die USA berei-
ten sich auf den großen technologischen
und militärischen Zweikampf mit dem
Reich der Mitte vor. So ist beispielsweise
auch die negative Haltung zur Beteili-
gung chinesischer Unternehmen an der
westlichen digitalen Infrastruktur in den
USA parteiübergreifend. Und die Kritik
an Cyber-Aktivitäten, Aufrüstung und
Menschenrechtsverletzungen klingt bei
Demokraten nicht minder harsch als bei
Republikanern.
Die EU, für die China der zweitgrößte
Handelspartner ist, sieht die Lage diffe-
renzierter. Sie nennt Peking zwar einen
Systemkonkurrenten und wirtschaftli-
chen Rivalen, aber auch einen strategi-
schen Partner. Wie die Politik gegenüber
einem rivalisierenden Partner aussehen
soll, weiß allerdings niemand so genau.
Es wird zu den Aufgaben der deutschen
EU-Präsidentschaft in der zweiten Hälf-
te des Jahres gehören, endlich eine kla-
re China-Strategie Europas anzustoßen.
Deutschland müsse diese Zeit nutzen,
um zu zeigen, dass es wie eine geopoli-
tische Macht denken könne, fordert der
renommierte bulgarische Politikberater
Ivan Krastev.

Drang nach Taten
Einer, der dieses Denken bereits drauf-
hat, ist Frankreichs Präsident Emmanuel
Macron. Locker, gestikulierend, ins Pub-
likum zwinkernd plädierte der 42-Jähri-
ge für ein „Europa der Verteidigung“,
einen Europäischen Sicherheitsrat und
vor allem schnellere Entscheidungen des
deutsch-französischen Tandems. „Ich
bin nicht frustriert, aber ungeduldig.“
Diverse Teilnehmer berichteten später
beglückt, dass sie Macron am Rand der
Tagung allein sprechen konnten, manche
nur für 15 Minuten, andere wie das grüne
Spitzenduo Robert Habeck und Annalena
Baerbock für drei Stunden im Ratskeller
München. Der Star-Appeal des Franzosen
konnte allerdings nicht darüber hinweg-
täuschen, dass er die zentrale Frage, wie
er sich einen strategischen Dialog über
die – offenbar modernisierungsbedürftige


  • französische Atomstreitmacht vorstellt,
    nicht beantwortete.
    Mehr, als dass man das Dialog-An-
    gebot annehmen wolle, war aller-
    dings auch von deutscher Sei-
    te nicht zu hören. Dafür jede
    Menge Versprechungen,
    sich selbst – auch mili-
    tärisch – mehr zu


5G-Netz beteiligt werden dürfe. Sie prä-
sentierten angeblich neue Beweise für die
Spionagefähigkeiten des chinesischen
Konzerns. Überzeugend fanden die Teil-
nehmer diese offenbar nicht. Aber der
Zeitpunkt war gut gewählt: In Deutschland
will der Bundestag bald über die 5G-Tech-
nik entscheiden. Die CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion hat bisher Huawei in einem
Positionspapier nicht ausgeschlossen,
allerdings harte Sicherheitsanforderungen
formuliert. Jede Nation, die einen nicht
vertrauenswürdigen 5G-Anbieter auswäh-
le, twitterte der umtriebige Ber-
liner US-Botschafter Richard
Grenell, gefährde jedoch den
nachrichtendienstlichen Aus-
tausch. Das nennt man wohl
eine Drohung.
Donald Trumps America-
First-Strategie scheint keine
Rücksicht mehr auf den Zusam-
menhalt der EU zu nehmen,
im Gegenteil, eher ihre Spal-
tung zu betreiben. So kündig-
te Pompeo an, eine Milliarde
Dollar für den Aufbau einer
eigenen Energieversorgung
in Zentral- und Osteuropa zur
Verfügung zu stellen – offen-
bar als Reaktion auf die nicht
mehr zu verhindernde Nord-
Stream-2-Gasleitung zwischen
Deutschland und Russland.
Noch viel mehr gilt diese Tak-
tik für China. Dessen Staats-
chef Xi Jinping lockt mit Mil-
liardeninvestitionen in die
Infrastruktur der Ost- und Mit-
teleuropäer. Nicht mal Italien
widerstand den Angeboten und schloss
sich voriges Jahr der Seidenstraßen-Ini-
tiative Chinas an. Das sei keine geopoli-
tische, sondern eine rein wirtschaftliche
Entscheidung gewesen, verteidigte sich
Außenminister Luigi Di Maio auf der Büh-
ne im Festsaal des „Bayerischen Hofs“.
Die transatlantische Krisenstimmung
ist längst auch in der europäischen Be-
völkerung angekommen. Nur noch etwas
mehr als die Hälfte der Deutschen plä-
dieren laut einer Umfrage der Körber-
Stiftung für eine Westbindung. Der frü-
here US-Nato-Botschafter Nicholas Burns
glaubt jedoch, mit einem demokratischen
Präsidenten werde alles besser.
Wieder zurück zu Europa, zur
Diplomatie und zu höfliche-
ren Umgangsformen. „Es ist
ein Irrglaube, wenn man denkt,
dass die US-Politik ohne Trump
so würde wie vorher“, sagt dage-
gen ein deutscher Außenpolitiker. Fotos: MSC, action press, Daniel Biskup/BILD, Shutterstock

(^26) Im Zeichen des Virus Desinfektionsmittel gehörten zur Konferenzausstattung FOCUS 9/2020
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