Focus - 22.02.2020

(Sean Pound) #1
TITEL

FOCUS 9/2020 73


Das Glück der Gemüsesuppe Heilfasten bedeutet nicht Nulldiät. In allen traditionellen Kuren
sind Brühe oder Brötchen erlaubt, damit der Körper nicht übermäßig Muskeln abbaut

Was passiert beim Fasten im Körper?
Der Körper hat zwei Programme, Essen
und Fasten. Den Wechsel zwischen beiden
bezeichnet man als Metabolic Switching.
Der Körper verfügt für 12 bis 14 Stunden
über Energie aus dem, was er gerade ver-
daut. Zudem haben Leber und Muskeln
einen kleinen Zuckerspeicher zur Absi-
cherung der Grundfunktionen wie zum
Beispiel der Körpertemperatur. Wenn aber
nach 12, 13, 14 Stunden die Glykogenspei-
cher in der Leber und in den Muskeln leer
sind, schaltet der Körper auf das Fasten-
programm. Insulin und Leptin werden zum
Beispiel heruntergefahren, Noradrenalin
hochgefahren, was ermöglicht, dass man
Energie aus den Fettreserven bezieht. Das
Fett aus den Fettzellen wird mobilisiert
und über das Blut zur Leber geschickt,
die das Fett zerkleinert und daraus auch
einen Zuckerersatz baut, die Ketonkörper.
Nach 24 bis 36 Stunden ist die Umstellung
vollbracht, man ernährt sich von seinen
Reserven.
Aber warum gilt Fasten als verjüngend?
Das hängt mit der Autophagie zusam-
men, einem zellulären Selbstreinigungs-
programm, das Yoshinori Ohsumi entdeckt
und dafür auch 2016 den Nobelpreis für
Medizin bekommen hat. In den Zellen
sammelt sich mit den Lebensjahren Abfall,
schlecht gefaltete Proteine und abgenutzte
Mitochondrien. Wenn die Zelle nicht mit
Verdauung beschäftigt ist, sondern im Fas-
tenmodus steckt, räumt sie auf, sie hat nun
Zeit dazu. Sie umschließt den Zellschrott
mit einer Membran, schickt Enzyme rein,
die alles zerkleinern, danach wird neu auf-
gebaut. Das funktioniert vor allem beim
Fasten. Nicht nur das: Auch Stammzellen
werden verstärkt produziert.
Und diesen Effekt erzielt man bereits
mit dem Intervallfasten?
Die Forschung geht davon aus, dass
bei den meisten Menschen nach etwa
zwölf Stunden die Glykogenvorräte so
weit erschöpft sind, dass der Fastenmo-
dus beginnt. Wenn man das Intervallfas-
ten so betreibt, dass man in einem Zeit-
fenster von 8 Stunden am Tag isst und 16
Stunden nicht, dann hätte man jeden Tag
rund 3 Stunden, in denen man im Fasten-
modus ist. Das ist jetzt nicht furchtbar viel,
aber wenn man das fünf Tage pro Woche
das ganze Jahr über macht, kommt man
schon auf eine ordentliche Anzahl von
Stunden, die summarisch höher ist als bei
einer Heilfastenkur pro Jahr.
Welche Art des Intervallfastens
würden Sie denn empfehlen?


Letztlich geht es um kalorische Res-
triktion und die Summe an Essenspausen.
Beim Intervallfasten muss jeder sehen,
welche Methode für die meisten Tage
die beste ist. Dabei kann es durchaus
sinnvoll sein, nicht 16, sondern 13 Stun-
den zu fasten und zwischendurch nicht
zu snacken. So wie es früher bei meiner
Großmutter war. Da hieß es: „Gegessen
wird am Tisch!“ Das Abendessen gab es
um 18 Uhr, und wenn man erst wieder
um 7 Uhr frühstückt, dann hat man ja
auch schon 13 Stunden nichts gegessen.
Wenn es also um kalorische Restriktion
geht, dann ist es doch im Grunde egal,
ob man bei der einen Kur ein altes Brötchen
isst und bei der anderen Gemüsesuppe?

Das stimmt. Aber von der Buchinger-
Methode wissen wir, durch Studien be-
legt, dass sie gut und sicher ist. Im Prin-
zip könnte man es auch anders machen.
Nur sollte man Suppe oder Brötchen nicht
durch eine tägliche Wurst ersetzen, oder?
Alle traditionellen Fastentechniken sind
inzwischen vegan. Unsere Studien zeigen,
dass das Heilfasten von fünf bis sieben
Tagen hochwirksam bei entzündlichen
Erkrankungen ist und auch einen fan-
tastischen Effekt bei Bluthochdruck hat.

Heute stehen wir an einem Punkt, an dem
das Fasten auch in der Medizin endlich
als Therapiemaßnahme Anerkennung fin-
det. Früher haben sich alle darüber lustig
gemacht, dass man beim Fasten vom Ent-
schlacken sprach, obwohl es Schlacken ja
so nicht gab und keine Gifte über den Urin
ausgeschieden wurden. Aber heute weiß
man, dass das nicht wörtlich zu verste-
hen war, dass aber das Grundverständnis
angesichts von Autophagie und Stamm-
zellenerneuerung richtig gewesen ist.
Hat das Heilfasten gegenüber dem Inter-
vallfasten eigentlich einen Vorteil?
Der Vorteil des Intervallfastens liegt dar-
in, dass es sich leichter in den Alltag inte-
grieren lässt. Dadurch fehlt wiederum die

lebensphilosophische Komponente, die
eindeutig der Vorteil des Heilfastens ist.
Man hält inne, findet Muße, sich Gedan-
ken zu machen, die über den Alltag hin-
ausgehen. Dadurch wirkt es so beruhigend
und entspannend. Es ist eine Erfahrung
des Konsumverzichts, die uns glücklich
macht. Sonst denken wir ja immer, dass
wir konsumieren müssen, um unser Glück
zu finden. n

INTERVIEW: HARALD PETERS
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