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05.03.20 Donnerstag,5.März2020DWBE-HP
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4 POLITIK *DIE WELT DONNERSTAG,5.MÄRZ
er auch dem neuen Chef der CDU-Frak-
tion im Landtag, Mario Voigt, mitgeteilt.
Ramelow hatte die CDU-Abgeordne-
ten sogar persönlich gebeten, sich konse-
quent zu enthalten. „Heute ist kein Tag
der Prinzipienreiterei, heute ist der erste
Tag zu einer neuen Stabilität“, erklärte
er. Das Chaos sei schon groß genug.
Das kann man wohl sagen. Vier Mona-
te dauert die Regierungskrise nun schon
in Thüringen an. Zunächst blieb Rame-
low mit seinem Kabinett geschäftsfüh-
rend im Amt. Von November bis Ende
Januar wurden viele Varianten venti-
liert, wie man der Krise entkommen
könnte. Eine rot-rot-grüne Minderheits-
regierung, toleriert durch FDP und
CDU. Eine sogenannte Zimbabwe-Koali-
tion aus CDU, SPD, Grünen und Libera-
len, toleriert durch die Linke. Eine soge-
nannte Projektregierung aus Christde-
mokraten und Linker mit Ramelow an
der Spitze und Ministern, die autark
agieren können. Eine Expertenregie-
rung, in der Fachleute und keine Partei-
politiker sitzen. Oder eine Minderheits-
regierung aus CDU und FDP, toleriert
von der AfD, die in Thüringen Verbin-
dungen in die rechtsextreme Szene hat.
Es wurde alles nichts. Als dann der
U
m 14.20 wird der amtieren-
de Thüringer Ministerprä-
sident Thomas Kemme-
rich namentlich vom Prä-
sidium des Erfurter Land-
tags zur Abstimmung gerufen. Die Wahl
zwischen dem Linken Bodo Ramelow
und dem AfD-Kandidaten Björn Höcke
läuft. Doch Kemmerich bleibt sitzen.
Der FDP-Politiker boykottiert die Wahl,
wie seine Fraktionskollegen. Rund zwei
Stunden später hat Kemmerich einen
Rekord gebrochen: Er wird als Minister-
präsident mit der kürzesten Amtszeit in
die Geschichte eingehen. Er war vier
Wochen und einen Tag lang im Amt.
VON CLAUS CHRISTIAN MALZAHN
AUS ERFURT
Denn um etwa 16.20 Uhr, nach drei
Wahlgängen und zwei Sitzungspausen,
wurde Ramelow als Regierungschef wie-
dergewählt. Die 42 Abgeordneten der
Linken, Sozialdemokraten und Grünen
hatten für ihn votiert. Die Abgeordne-
ten der AfD stimmten offensichtlich mit
Nein, die CDU-Parlamentarier hatten
angekündigt, sich zu enthalten. Als ei-
ner der Ersten wollte AfD-Chef Höcke
dem Wahlgewinner gratulieren. Rame-
low gab ihm nicht die Hand. Er begrün-
dete dies in seiner Antrittsrede: Er wer-
de Höcke erst dann die Hand geben,
wenn er die Demokratie „nicht mehr
mit Füßen“ trete. Den AfD-Abgeordne-
ten rief er wütend zu: „Sie sind die
Brandstifter in diesem Saal!“
In den ersten beiden Wahlgängen war
Höcke noch gegen Ramelow angetreten.
Keiner der Aspiranten erhielt die erfor-
derliche absolute Mehrheit. Im dritten
Wahlgang zog Höcke seine Kandidatur
zurück. Er hatte wohl gehofft, Stimmen
von der CDU-Fraktion absorbieren zu
können, aber das war nicht geschehen.
Thüringen habe nun wieder stabile
Verhältnisse, sagte Ramelow im Land-
tag. „Wir sollten nach vorne gucken.“ Er
baue „auf die Unterstützung der demo-
kratischen Fraktionen in diesem Haus“.
Die Zeiten, in denen man auf die politi-
schen Fallen und Leimrouten der AfD
hereingefallen sei, seien nun vorbei.
Das wird sich freilich noch zeigen.
Am Donnerstagabend aber konnte Ra-
melow dahin zurückkehren, von wo er
vor vier Wochen und einem Tag auszie-
hen musste: in die Erfurter Regierungs-
straße 73, die mitten in der Innenstadt
gelegene barocke Thüringer Staats-
kanzlei.
Die CDU-Fraktion hat Ramelows
Comeback nicht verhindert, es aber im
dritten Wahlgang – in dem eine relative
Mehrheit reicht – ermöglicht. Eigent-
lich hatte sich Ramelow das anders vor-
gestellt. Er wollte im ersten Wahlgang
durchmarschieren, war lange davon
überzeugt, dass ihn mindestens vier
Christdemokraten auch unterstützen
würden. Doch je näher der Wahltermin
rückte, desto unwahrscheinlicher wur-
de dieses Szenario.
Der letzte und entscheidende Strate-
giewechsel Ramelows auf seinem
Marsch zurück in die wichtigste Thürin-
ger Institution erfolgte am Donnerstag-
morgen, wenige Stunden bevor Land-
tagspräsidentin Birgit Keller (Linke) die
Sitzung um 14 Uhr eröffnete. Ramelow
hatte gegenüber der „Thüringer Allge-
meinen“ erklärt, dass er die Hoffnung
auf christdemokratische oder liberale Ja-
stimmen im ersten Wahlgang aufgege-
ben habe. Stattdessen werde er nun in al-
len drei Wahlgängen antreten, das habe
Unternehmer Kemmerich mit den Stim-
men von AfD, CDU und seiner FDP vor
einem Monat ins Amt gewählt wurde,
war das Chaos perfekt. Er erzielte am 5.
Februar 45 Stimmen im dritten Wahl-
gang, Ramelow nur 44. Die AfD hatte
zwar einen parteilosen Bürgermeister
aus der Provinz aufgestellt, doch der
diente nur als Zählkandidat. Die Partei
von Höcke war in Thüringen plötzlich
politisch wirkungsmächtig geworden.
90 Minuten nach Kemmerichs Wahl
tauchten die ersten Demonstranten vor
dem Erfurter Landtag auf. In den Tagen
darauf gab es bundesweit Proteste, die
Kanzlerin nannte den Vorgang „unver-
zeihlich“.
Mit diesem Gegenwind, der sich zum
Sturm der Entrüstung entwickelte, hat-
te Kemmerich nicht gerechnet. Auch
nicht diejenigen, die ihm ins Amt ver-
holfen hatten. Im Nachgang hatten
manche Christdemokraten versucht,
die Wahl des FDP-Manns als politi-
schen Betriebsunfall darzustellen; ein
Ereignis mit dem niemand gerechnet
hatte. Auch der damalige CDU-Frakti-
onschef Mike Mohring hatte anschlie-
ßend erklärt, seine Abgeordneten vor
dieser Variante gewarnt zu haben. Doch
daran werden immer mehr Zweifel laut.
Wenige Stunden nach der Wahl von
Kemmerich signalisierte Mohring auf
den Fluren des Landtags die Bereit-
schaft der CDU, sich an einem Kabinett
von Kemmerich zu beteiligen, falls sich
die FDP klar und deutlich von der AfD
distanzieren würde. Kemmerichs Rück-
tritt wenige Tage nach seiner Wahl kam
dann auch nicht in erster Linie zustan-
de, weil er die Annahme der Wahl be-
dauert hatte. Sondern weil der Druck
aus Berlin und die Empörung über den
Coup auf der Straße übermächtig ge-
worden waren.
Auch Ramelows Entscheidung, nicht
mehr auf Jastimmen der CDU im ersten
Wahlgang zu bestehen, kommt wohl
nicht ganz freiwillig. Als „Katastrophe“
werteten führende Thüringer Genossen
das Verhalten und die Aussagen des
Bundesvorsitzenden der Linken, Bernd
Riexinger, auf einer Strategiekonferenz
seiner Partei in Kassel. Dort hatte eine
Genossin vor laufender Kamera darüber
schwadroniert, „nach der Revolution“
Reiche erschießen zu lassen. Riexinger
ergänzte feixend: Man werde nieman-
den erschießen lassen, sondern „nützli-
cher Arbeit“ zuführen. Zwar distanzier-
te sich Ramelow nach Bekanntwerden
eines Videos via Twitter von diesen
blutrünstigen Scherzen. Doch die Mau-
er zwischen Linker und CDU war nach
dem Eklat von Kassel wieder ein paar
Meter höher. Wie sollte ein CDU-Abge-
ordneter nun in seinem Wahlkreis noch
erklären können, dass er den Vertreter
einer Partei in die Staatskanzlei beför-
dert, deren höchste Repräsentanten
Gulag-Witze reißen?
Auch eine am Anfang der Woche ge-
stellte Strafanzeige von acht Mitglie-
dern der Bundestagsfraktion der Linken
gegen Kanzlerin Angela Merkel wegen
„Beihilfe zum Mord“ vergiftete das Kli-
ma. Dabei ging es um die Tötung des
iranischen Generals Qassem Soleimani
durch eine amerikanische Drohne. Par-
teichefin Katja Kipping und Fraktions-
chef Dietmar Bartsch gingen auch hier
auf Distanz zu den Genossen. Aber bei-
de Vorfälle, die Erschießungsfantasien
von Kassel sowie die – juristisch aus-
sichtslose – Strafanzeige gegen die
Kanzlerin, zeigten deutlich, dass die
Linke eben nicht nur aus Ramelow und
seinem vergleichsweise sozialdemokra-
tisierten Thüringer Landesverband be-
steht.Sondern auch aus Parteimitglie-
dern, die das „Schwarzbuch des Kom-
munismus“, das vor 30 Jahren erschien
und in dem die Verbrechen sozialisti-
scher Herrschaftssysteme aufgelistet
sind, offenbar noch immer für Feind-
propaganda halten. Und die bereit sind,
demokratische und humanistische Prin-
zipien über Bord zu werfen, wenn es
„der guten Sache“ dient.
Darüber hinaus war der Druck auf die
Abgeordneten der CDU-Fraktion in den
vergangenen Wochen massiv gewach-
sen. Offenbar gab es tatsächlich vier
Parlamentarier der Union, die bereit
waren, Ramelow im ersten Wahlgang zu
wählen – auch um schnelle Neuwahlen
zu vermeiden, die für die CDU wohl ver-
lustreich ausgehen würden. Gegen diese
Vorgehensweise hagelte es Protest, aus
Berlin, aus Düsseldorf, aus München.
Aber auch im Thüringer Landesverband
stieß sie auf erheblichen Widerstand.
Auf CDU-Versammlungen wurden Ver-
treter der Landtagsfraktion bisweilen
angeschrien, manche Kreisverbände
drohten mit komplettem Austritt, sollte
Ramelow CDU-Stimmen erhalten. Die
Enthaltungsvariante löste am Ende die-
sen unüberwindbaren Konflikt auf. Die
CDU-Abgeordneten wahrten ihr Ge-
sicht, zugleich lässt Thüringen mit der
Wahl von Ramelow die Chaostage nun
fürs Erste hinter sich.
In den kommenden Monaten sollen
stabile Verhältnisse nun durch klare Ab-
sprachen und einen „Protokollmecha-
nismus“ garantiert werden, eine ent-
sprechende Vereinbarung unterschrie-
ben die Vertreter von Linker, SPD, Grü-
nen und CDU am Donnerstagmorgen
im Landtag. Die wichtigsten Inhalte:
Der Haushalt für das Jahr 2021 soll ge-
meinsam verhandelt und beschlossen
werden. Das dreigliedrige Schulsystem
bleibt erhalten. Die Kommunen sollen
finanziell besser ausgestattet werden,
auch die polizeiliche Präsenz in der Pro-
vinz wird verstärkt. Damit habe die
CDU-Fraktion über diesen „Stabilitäts-
pakt“ schon mehr erreicht als in der Op-
position in den vergangenen fünf Jah-
ren, sagen CDU-Funktionäre. „Uns
trennen große inhaltliche Unterschiede
zwischen den Fraktionen, aber es gibt
auch Aufgaben, die gemeinsam gelöst
werden können und müssen, damit es
im Land vorangeht und wir zu stabilen
Verhältnissen kommen“, erklärte Frak-
tionschef Voigt im Landtag.
Für die Parteien der Minderheitsre-
gierung war wichtig, in dem „Stabili-
tätspakt“ ein „AfD-Moratorium“ zu
vereinbaren. Das bedeutet: Die CDU
wird zunächst keine Anträge einbrin-
gen, die sie dann mit den Stimmen von
FDP und AfD im Landtag durchsetzt.
Strittige Fragen werden künftig zwi-
schen der CDU und Ramelows Koaliti-
onsfraktionen vorab geklärt. Im De-
zember soll dann die Auflösung des
Landtags beschlossen werden, die
nächste Wahl in Thüringen ist für den
- April 2021 avisiert.
Die FDP taucht in dem Versuch, die
verfahrene Lage in Thüringen neu zu
sortieren, so gut wie gar nicht auf. Die
Liberalen hatten am Dienstag mitge-
teilt, dass sie sich der Qual der Wahl gar
nicht erst stellen wollten. Sie nahmen
dann doch teil, boykottierten aber die
Abstimmung, wollten sich auch nicht
der Stimme enthalten. Mit dieser passi-
ven Haltung blieben sie sich in gewisser
Weise treu. Auch an den interfraktionel-
len Verhandlungen der vergangenen
Wochen hatten die Liberalen ebenfalls
nicht teilgenommen.
Ende der Turbulenzen
Nach vier Monaten hat Thüringen wieder eine ordentliche Regierung: Bodo Ramelow wurde zum
Ministerpräsidenten gewählt. Sein Erfolg wurde möglich, weil er einen Strategiewechsel vornahm
Der neu gewählte
Ministerpräsident
Bodo Ramelow
(r., Die Linke),
verweigert dem AfD-
Fraktionsvorsitzenden
Björn Höcke den Handschlag
nach der Wahl
DPA
/MICHAEL REICHEL
desverband – mit den Worten: „Ener-
giewende ist auch nötig nach ’ner Revo-
lution. Und auch wenn wir das ein(e)
Prozent der Reichen erschossen haben,
ist es immer noch so, dass wir heizen
wollen, wir wollen uns fortbewegen. Na
ja, ist so! Wir müssen mal von dieser
Meta-Ebene runterkommen.“
Im Hintergrund ist ein Raunen zu hö-
ren, vereinzelt gibt es Beifall, aber auch
Kopfschütteln. Parteichef Riexinger, der
auf dem Podium sitzt, greift nach dem
Redebeitrag zum Mikrofon und sagt
scherzhaft: „Wir erschießen sie nicht,
wir setzen sie schon für nützliche Ar-
beit ein.“
Nachdem der Ausschnitt sich am
Dienstag in sozialen Medien verbreitete
und zunehmend für Kritik sorgte, sah
sich Riexinger zu einer Klarstellung
beim Kurznachrichtendienst Twitter ge-
nötigt: „Der Kommentar der Genossin
war unakzeptabel, wenn auch erkennbar
ironisch. Meine Reaktion darauf hätte
sehr viel unmissverständlicher sein
müssen.“ Später fügte er hinzu: „Auch
wenn der Kommentar einer Teilnehme-
rin auf der Strategiekonferenz nun völ-
lig aus dem Kontext gerissen wird, er
D
ie Fraktionsspitze der Linken
geht auf Distanz zu Parteichef
Bernd Riexinger. Dieser hatte
auf einem Strategietreffen der Linken
in Kassel am Sonntag über Zwangsar-
beit für Reiche gescherzt und ruderte
später zurück.
VON PHILIP KUHN
UND FRANZISKA VON HAAREN
„Die am Wochenende getätigten Äu-
ßerungen sind inakzeptabel und hätten
nicht lächelnd übergangen werden dür-
fen. Klarstellung und Entschuldigung
unmittelbar wären notwendig gewesen.
Wir lehnen jeden Aufruf zu Gewalt ent-
schieden ab. Wer Menschen erschießen
will oder Späße über Zwangsarbeit
macht, verlässt den gemeinsamen Wer-
tekanon“, teilten die Fraktionsvorsit-
zenden Amira Mohamed Ali und Diet-
mar Bartsch in einer gemeinsamen Er-
klärung WELT mit.
Hintergrund ist ein Videoausschnitt
von dem Treffen, der im Netz verbreitet
wurde. Bei einer Diskussionsrunde äu-
ßert sich darin eine Teilnehmerin – sie
ist Parteimitglied aus dem Berliner Lan-
war und ist inakzeptabel. Ich bedauere,
dass ich ihn nicht sofort unmissver-
ständlich zurückgewiesen habe.“
Auch von anderen Linksparteipoliti-
kern gab es deutliche Kritik an Riexin-
ger. „Von mir dazu eine maximale Dis-
tanzierung in jeder Hinsicht“, sagte Jan
Korte WELT. Im Übrigen gelte, was Bo-
tanzierung in jeder Hinsicht“, sagte Jan
Korte WELT. Im Übrigen gelte, was Bo-
tanzierung in jeder Hinsicht“, sagte Jan
do Ramelow dazu gesagt habe. Der neu
wiedergewählte Ministerpräsident Thü-
ringens hatte den Vorgang vor seiner
Wiederwahl scharf kritisiert. „Wer Men-
schen erschießen will und von einer Re-
volution mit oder durch Gewalt schwad-
roniert, hat mit meinem Wertekanon
nichts gemein. So eine Aussage auf einer
Konferenz meiner Partei ist inakzepta-
bel und hätte nie lächelnd übergangen
werden dürfen“, so Ramelow. Auch un-
widersprochene Ironie mit der Aussage,
man wolle „das eine Prozent“ erschie-
ßen, sei für ihn nicht akzeptabel.
„Aufrufe zur Gewalt und Gewalt als
Mittel der Politik lehne ich seit jeher ab“,
sagte auch Linke-Außenpolitikerin Se-
vim Dagdelen WELT: „Wer Witze über
Arbeitsdienste macht oder Menschen
einfach erschießen will, tritt die Grund-
werte der Linken mit Füßen. Die auf der
Strategiekonferenz gefallenen Äußerun-
gen sind vollkommen inakzeptabel, und
es war verantwortungslos und falsch, sie
einfach wegzulächeln statt sofort und
entschieden dagegenzuhalten.“
Doch nicht alle Linke teilen die Kritik
und gehen stattdessen zum Gegenan-
griff über. Wie so oft bei der Linken
geht ein Riss durch die Partei. „Wenn
ich von einem ‚Erschießungsskandal‘ in
Kassel höre, dann fällt mir zu diesem
Stichpunkt erst einmal der NSU-Mord
an Halit Yozgat in einem Kasseler Inter-
netcafé in Anwesenheit eines Verfas-
sungsschutzagenten und dann die Er-
mordung des Kasseler Regierungspräsi-
denten Lübcke durch einen polizeibe-
kannten Neonazi ein“, sagte die innen-
politische Sprecherin der Bundestags-
fraktion, Ulla Jelpke, WELT. „In einer
überspitzten Äußerung einer Genossin,
die sich so über Revolutionsfantasien
einiger Linker lustig machen wollte,
kann ich keinen Erschießungsskandal
erkennen. Denn die Linke schießt nur
mit Worten scharf, nicht mit Waffen.“
Riexinger habe durch seinen nachge-
schobenen Witz deutlich gemacht, dass
es sich bei den vorherigen Äußerungen
organisation anerkannt wird. „Die be-
treffende Genossin entschuldigte sich
für ihre unglückliche Aussage und stell-
te sie öffentlich richtig. Wir finden, dass
die bisherigen Statements der Partei
hinreichend zur Klärung des Sachver-
halts und zur Position der Linken bei-
tragen und sehen in einem Statement
unsererseits keinen Mehrwert, da die
Genossin kein Mitglied des Jugendver-
bandes ist“, sagte eine Sprecherin. Für
die Linksjugend sei aber klar: „Im Ge-
gensatz zur EU schießen wir auf nie-
manden.“
AAAuch Linke-Geschäftsführer Jörguch Linke-Geschäftsführer Jörg
Schindler nutzte die Diskussion um
Riexinger, um auf die politische Kon-
kurrenz loszugehen. Riexinger habe
klargestellt, dass der Kommentar der
Diskussionsteilnehmerin falsch gewe-
sen sei und seinen eigenen Kommen-
tar „sehr bedauert“. So viel Einsicht
wünsche er sich jedoch auch von ande-
ren Politikern wie etwa Horst Seeho-
fffer, der sich für seinen Satz „Wir wer-er, der sich für seinen Satz „Wir wer-
den uns gegen Zuwanderung in deut-
sche Sozialsysteme wehren – bis zur
letzten Patrone“ bis heute nicht ent-
schuldigt habe.
Linke streitet über Erschießungsfantasien gegen Reiche
Fraktionsspitze kritisiert Parteichef Riexinger wegen Äußerung auf Strategietreffen. Andere aus der Linken setzen zum Gegenangriff an
„RIEXINGERS
NACHTRÄGLICHE
ENTSCHULDIGUNG
HALTE ICH FÜR
UNNÖTIG“
ULLA JELPKE
Linke-Innenpolitikerin
,,
um eine „satirische Formulierung“ ge-
handelt habe. „Seine nachträgliche Ent-
schuldigung halte ich für unnötig. Denn
wer wirklich die antikommunistischen
Ammenmärchen glaubt, die Linkspartei
wolle Erschießungen oder Zwangsarbeit
für Reiche, der wird sich durch eine Ent-
schuldigung auch nicht überzeugen las-
sen“, so Jelpke.
Ähnlich sieht es die Linksjugend So-
lid, die von der Linkspartei als Jugend-
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