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CHRISTIAN MANG
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V-Mann so nahegekommen. Cems Leben
führt mitten hinein in die sensible und bis-
weilen gefährliche Zusammenarbeit von
Ermittlern und ihren Spionen.
Schon die Natur ihrer Aufgabe ist zwie-
lichtig. V-Leute sind Spitzel in der krimi-
nellen oder extremistischen Szene, heim-
lich vom Staat angeworben. Oft sind sie
Verbrecher, die von der bösen auf die gute
Seite wechseln. Die Polizei bezahlt sie bar,
in Akten hinterlassen sie wenig Spuren, und
im Bedarfsfall lässt man sie schnell fallen.
Während es für Informanten des Verfas-
sungsschutzes seit der Aufarbeitung der
rassistischen Morde des »Nationalsozialis-
tischen Untergrunds« (NSU) gesetzliche
Regeln gibt, arbeiten die Spitzel der Polizei
nach wie vor in einem juristischen Grau-
bereich.
Cems Fall zeigt daher auch, wie sehr
die Polizei die Grenzen der Vorgaben
dehnt, wenn es ihr nützt. Er zeigt, dass es
Schwächen im System gibt, die bewusst in
Kauf genommen und ausgenutzt werden.
Oft heiligt der Zweck die Mittel.
Die Arbeit von Spitzeln ist immer schi-
zophren. Auf der einen Seite müssen sie
ihre Rolle glaubhaft spielen, damit sie un-
ter Verbrechern nicht auffliegen. Mitunter
begehen sie Straftaten. Auf der anderen
Seite stiften sie – wenn sie übers Ziel
hinausschießen – womöglich die Delikte
erst an, die sie der Polizei melden.
»Der Einsatz von V-Leuten in Strafver-
fahren hat bis heute keine eigene gesetz -
liche Grundlage«, kritisiert der Kölner Straf-
rechtler Nikolaos Gazeas. »Das ist verfas-
sungswidrig.« Der nordrhein-westfälische
Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte
dem SPIEGEL,er könne sich vorstellen,
über Verbesserungen nachzudenken. Ei-
ner »möglichen Optimierung des Systems«
wolle er sich nicht verschließen. »Die Poli -
zei muss allerdings vollständig handlungs-
fähig bleiben. Das ist wichtig«, so Reul.
Die Bundesrepublik hat schon so man-
ches Debakel mit ihren Vertrauensper -
sonen erlebt: Der erste Verbotsantrag ge-
gen die NPD scheiterte einst, weil die Par-
tei von so vielen Informanten durchsetzt
war, dass nicht mehr auszumachen war,
welche verfassungswidrige Aktion von
der NPD stammte und welche von staat-
lichen Spionen. Auch im Umfeld des NSU
trieben sich unzählige V-Leute herum,
ohne dass sie auch nur einen der zehn
Morde verhindert hätten.
Einen Fragenkatalog des SPIEGEL zu
Murat Cem ließ die nordrhein-westfälische
Polizei inhaltlich unbeantwortet. Statt -
dessen verwiesen die Behörden auf die
»amtliche Geheimhaltung« von V-Mann-
Einsätzen. Generell seien Spitzel ein »legi -
times Mittel der Strafverfolgung« und
unterlägen gerichtlicher Kontrolle.
Cem interessierte sich nie für diese juris -
tischen Feinheiten. Er lebte für die »Action«,
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ANSCHLAG AM BREITSCHEIDPLATZ AM 19. DEZEMBER 2016 (1) Anis
Amri kaperte einen Lkw und fuhr in die Menschenmenge auf dem Weihnachts markt.
(2) Der Tunesier besuchte regelmäßig die radikale Fussilet-Moschee in Berlin. (3) Ita-
lienische Polizisten erschossen ihn auf der Flucht bei Mailand am 23. Dezem ber. (4)
Die Polizei durchsuchte die Fussilet-Moschee und Privaträume und schloss sie später.