Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

Foto: Olivier Hess / DER SPIEGEL; Illustration: Lea Heinrich 25


D


as ist der Stoff, aus dem Albträume gehäkelt
sind: die grausige Vorstellung, wie man sich ge-
rade in wohliger Plumpsackstimmung dazu
entschlossen hat, die Joggingrunde zu canceln, sich
also gerade stattdessen mit einer Buttercremetorte
aufs Sofa fallen lässt, dabei noch die niemals aufge-
schlagenen Bücher über Privatfinanzenoptimierung
vom Tisch fegt und dann stattdessen eben doch wie-
der diese Schundsendung einschaltet – und dann steht
plötzlich Detlef Soost neben einem, der keilförmigste
Mensch der Welt, Castingshow-Choreograf und Fit-
nesstrainer. Er ist drei Meter groß, wedelt mit einem
krumpeligen Vertrag und ist
sehr, sehr böse. Und voller
Schreck erkennt man tat-
sächlich die eigene Unter-
schrift, mit der man gelobt
hatte, fortan sein Leben ganz
auf kompromisslose Selbst-
optimierung auszurichten.
Zur Strafe für diesen Ver-
tragsbruch lässt einen Soost
unter gnadenlosen »Pam,
Pam, PAM!«-Rufen dann ab-
surde Choreografien tanzen,
bis einem die Füße bluten.
So könnte es kommen, wenn
man bei der Lektüre von
»Scheiß drauf, mach’s ein-
fach« zu arglos den Kuli
zückt, denn tatsächlich ist in
Soosts praktischer Handrei-
chung zur Lebensverbesse-
rung (Untertitel: Ȇberwin-
de deine Ängste und lebe
dein Leben«) ein Vertrag
zum Ausfüllen abgedruckt:
»Ich, (hier Namen eintra-
gen), versichere hiermit, dass
ich meine Vision (hier Vision eintragen) wahr machen
werde, ich werde unbeirrt weitergehen, bis ich das zu
einhundert Prozent geschafft habe. Hiermit verpflichte
ich mich, alle Hindernisse auf dem Weg zu überwin-
den«, und so weiter und sofort, und wem es da nicht
eiskalt den Rücken herunterläuft, der hat nie »Rum-
pelstilzchen« gelesen oder »Timm Thaler« geschaut.
Der Vertrag kommt im letzten Viertel des Buchs, der
Autor empfiehlt, ihn handschriftlich aufzusetzen, um
dem Ganzen ein noch festlicheres Gepränge zu verlei-
hen, und das ist nur eine von vielen schlichtgemütigen
Binsen, die einem dieses Aggregat aus gängigen Gim-
pelcoach-Weisheiten bis dahin serviert hat: Wenn du
schlecht drauf bist, stell dich eine halbe Minute vor

den Spiegel und lache! Nimm einfach jeden Tag 142
Gramm ab, dann hast du in zweieinhalb Monaten
zehn Kilo geschafft! Und wenn man sich das Rauchen
abgewöhnen will, lutscht man einfach ein Bonbon,
statt sich eine Zigarette anzuzünden, wenn man etwas
unbedingt will, muss man fest dran glauben, wenn
man seine Ängste überwinden will, muss man einfach
keine Angst mehr haben, und wenn man zu ertrinken
droht, dann schwimmt man einfach, ist klar so weit.
Natürlich nervt das alles wahnsinnig. Allerdings muss
man zugegebenermaßen auch als erklärter Feind von
Lächelzwang und bossmäßigen Selbstaffirmationszet-
telchen in der Hosentasche
manchmal herzlich lachen.
Zum Beispiel, wenn Fanta-
sieübungen »Die Mindmap
für dein Hammerleben«
heißen. Und manchmal ist
man tatsächlich auch uner-
wartet gerührt, weil man
durchaus finden kann, dass
der Autor wirklich glaubt,
was er da schreibt. Wenn
Soost das Prinzip »Vision«
damit erklärt, man solle
sich vorstellen, unbändige
Lust auf etwas Süßes zu
haben, sich den riesigen
Schokoeisbecher mit Sahne
ganz plastisch imaginieren,
bis einem das Wasser im
Mund zusammenläuft:
»Dank dieser Vision weißt
du nun genau, was du tun
musst: Du musst zur Eis -
diele in der Fußgängerzone
gehen, wo es genau solche
Eisbecher gibt. Ein paar
Minuten später sitzt du und
freust dich über dein superleckeres Eis. Zack, Mission
accomplished!« So einfach ist es nämlich, liebe Faul-
bären, und genauso funktioniert das zum Beispiel
auch mit dem Abnehmen, nur andersherum. Mehr
muss man über »Scheiß drauf, mach’s einfach« nicht
wissen. Wer aber, wie Detlef Soost, einmal in die
Verlegenheit kommen sollte, bei der Promi-Eislauf-
show »Dancing on Ice« mitmachen zu wollen, findet
in diesem Buch hierzu wirklich viele praktische
Tipps.

Anja Rützel ist kein Fan von Visionen, aber von Plumpsack-
stimmung. Ihr derzeitiges Lieblingssachbuch: »The Lives of
Lucian Freud: YOUTH« von William Feavers.

Anja Rützel Das seltsame Sachbuch


Detlef Soost:


»Scheiß drauf,


mach’s einfach«

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