Die Zeit - 12.03.2020

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STREIT


»Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine.« HELMUT SCHMIDT


DIE ZEIT: Herr Schorcht, in Ihrer Nachbarschaft
östlich von Berlin soll auf 300 Hektar Land eine
Großfabrik von Tesla entstehen, mit bis zu 12.
Jobs. Warum freuen Sie sich darüber nicht?
Steffen Schorcht: Ich wohne etwa anderthalb Kilo-
meter von der geplanten Fabrik entfernt. Dazwi-
schen ist nur ein Waldstreifen. Weil ich das Ge-
lände bestens kenne, weiß ich: Nach ökologischen
Gesichtspunkten ist das der falsche Standort für
diese Fabrik. Deswegen habe ich eine Bürgerini-
tiative mitgegründet.
ZEIT: Ihnen gegenüber sitzt Brandenburgs Wirt-
schaftsminister Jörg Steinbach (SPD), der die An-
siedlung dieser »Gigafactory« maßgeblich betrie-
ben hat. Wie wütend sind Sie auf ihn?
Schorcht: Ich bin sehr wütend auf ihn. Er trägt die
Hauptverantwortung.
Jörg Steinbach: Brandenburg braucht diese Fabrik.
Wir haben uns jahrzehntelang darüber beklagt,
dass große Unternehmen – bis auf wenige wie
Rolls-Royce oder BASF – einen Bogen um uns
machen. Andere Bundesländer haben uns wegen
unserer geringen Wirtschaftskraft mitleidig ange-
sehen. Da ist Tesla ein Signal. Im Übrigen wird
von unseren Behörden nichts genehmigt, was ge-
gen Umweltauflagen verstößt.
Schorcht: Das sehe ich völlig anders. Dieses Gebiet
liegt im Berliner Urstromtal. Es gibt nach wie vor
viele Feuchtgebiete und die Spree als größten
Fluss. Als Naturreservat hat es große Bedeutung
für die Trinkwasserversorgung, bis nach Berlin.
Schon heute ist nicht genug Wasser da, und durch
die E-Auto-Produktion besteht die Gefahr der
Verunreinigung.
ZEIT: »Wir sind laut, weil Tesla uns das Wasser
klaut«, wurde auf Ihren Demos gerufen.
Schorcht: Ja. Nach zwei trockenen Sommern gab
es bei uns schon Aufrufe, Wasser zu sparen, etwa
beim Gartensprengen. Der Wasserverband musste
Strafen zahlen, weil er mehr Grundwasser ent-
nommen hat, als er gesetzlich darf. Der Wasser-
spiegel sinkt mancherorts dramatisch.
Steinbach: Ich bestreite die Engpässe beim Wasser-
verbrauch gar nicht, aber es wird ein Generalver-
dacht gegenüber den Behörden ausgesprochen,
dass sie das Problem zugunsten von Tesla ignorie-
ren und die wirtschaftlichen Vorteile gegen Um-

weltschutz abwägen. Dagegen verwahre ich mich:
Das tun die Behörden nicht. Wir sind in Gesprä-
chen über fünf Wasserwerke, und es wird eine
Lösung geben, um selbst den Spitzenbedarf an
Wasser in der Fabrik zu decken.
ZEIT: Es geht um bis zu 370.000 Liter pro Stunde,
was angeblich dem Verbrauch einer 70.000-
Einwohner-Stadt entspricht.
Steinbach: Selbst das stellt kein Problem dar.
Schorcht: Diese Fläche hätte Tesla niemals ange-
boten werden dürfen. Sie taugt für andere Indus-
trieansiedlungen, aber nicht für diesen Ressour-
cenverbrauch, zumal im Wasserschutzgebiet. Und
vor Ort soll Aluminium geschmolzen und lackiert
werden. Das ist dort eigentlich ausgeschlossen.
Steinbach: Bei allem Verständnis für Ihr Engage-
ment: Wir haben Gesetze und Grenzwerte. Wenn
Tesla die nicht einhält, gibt es keine faulen Kom-
promisse. Keine Lex Tesla. Es sollte Sie zum Nach-
denken bringen, dass selbst das Oberverwaltungs-
gericht die Genehmigungsfähigkeit mit großer
Wahrscheinlichkeit erwartet.
Schorcht: Nachdem vor 20 Jahren auf dem Gelän-
de eine BMW-Ansiedlung gescheitert war, sollte die
Fläche in das Landschaftsschutzgebiet wiederein-
gegliedert werden. Das ist aber nicht passiert. Die
Bürger wurden seither nicht ausreichend beteiligt.
Steinbach: Das stimmt nicht. Die Kommune hätte
die Industriefläche in eine Siedlung umwandeln
können. Das hat sie aber nicht getan. Also ist die
Industriefläche da. Punkt. Das Land hatte immer
ein Interesse daran, sie für Gewerbe zu nutzen.
Wenn wir so etwas nicht mehr tun können,
können wir jede Form von Wirtschaftspolitik in
Deutschland einstellen.
Schorcht: Neben dem Umweltschutz sehe ich vor
allem ein Riesendefizit bei einem anderen Thema:
der Kommunikation mit den Bürgern. Wir wur-
den von den Plänen regelrecht überrumpelt.
Steinbach: Wer je Verhandlungen über die Ansied-
lung eines Großkonzerns geführt hat, der weiß,
wie hochsensibel dies in einem Wettbewerb ist.
Eine Ansiedlung kann nur bei absoluter Vertrau-
lichkeit gelingen. Keine 48 Stunden nach der Ent-
scheidung bin ich nach Grünheide gefahren. In-
zwischen war ich viermal in der Region. Der Dia-
log wird also intensiv geführt.

Schorcht: Es geht mir nicht um die vertraulichen
Verhandlungen, sondern um die Zeit danach, als
die Entscheidung öffentlich war. Ihr Engagement
in allen Ehren, aber das ist zu wenig. Lange gab es
ja nicht mal eine Website über das Großprojekt. Es
schafft für Jahrzehnte Veränderungen, die nicht
mehr rückgängig zu machen sind.
Steinbach: Das wollen wir hoffen.
Schorcht: Was wird nach Tesla noch alles kommen?
Industrie, Dienstleister, Straßen, Wohn bebauung?
Das zieht Riesenprobleme nach sich. Im Nachbar-
ort fehlt jetzt schon eine Grundschule. Das beun-
ruhigt die Menschen, und sie wollen Antworten.
(Er zieht einen Prospekt hervor) Ich habe Ihnen et-
was mitgebracht: Das 3x3 einer guten Öffentlich-
keitsbeteiligung bei Großprojekten vom Umwelt-
bundesamt.
Steinbach: Was konkret lief denn falsch?
Schorcht: Im Dezember gab es eine Info-Veran-
staltung des örtlichen SPD-Landtagsabgeordne-
ten. Die drohte zu kippen, weil so viele Leute un-
zufrieden waren mit den Informationen. Seither
ist die SPD wie abgetaucht. Ich habe das Gefühl,
vieles ist gesteuert: Das Ministerium sagt, was zu
machen ist, und der Landrat sagt: Wer dagegen ist,
kriegt politisch kein Bein mehr auf den Boden.
Das ist Druck auf die Verwaltung und Mandats-
träger. So geht das nicht!
Steinbach: Glauben Sie das im Ernst? Die Ge-
meindevertreter vom Bürgermeister bis zum Land-
rat gehören regelmäßig der Taskforce des Minister-
präsidenten an und sind über alle Schritte infor-
miert. Es ist ihre Aufgabe, diese Dinge weiterzu-
kommunizieren. Im Übrigen: Es ist bemerkens-
wert, welche Antworten wir alle geben sollen. Die
Leute, die das fordern, haben eine Projektentwick-
lung nie erlebt. Sonst wüssten sie, dass es vor der
Standortentscheidung eine Machbarkeitsstudie
gibt. Und diese Studie hat zu dieser Standortent-
scheidung geführt. Es ist anfangs unmöglich, so
detailliert Antworten zu geben. Dafür brauchen
wir bei Tesla noch bis zum Sommer.
Schorcht: Herr Minister, wir Bürger sind keine
Verfahrensspezialisten. Sie als Politiker müssen für
uns verständlich sein. Es ist noch nicht zu spät, die
Dialoge auszuweiten. Wie wäre es etwa mit regel-
mäßigen Bürgersprechstunden übers Internet?
Wir kriegen kaum Informationen, nur hier und da
ein paar Brocken. Kein Wunder, dass so die Ge-
rüchteküche brodelt – etwa wo noch Bäume gefällt
werden, wo es weitere Ansiedlungen geben soll.
ZEIT: Ist wirklich die Regierung für die Gerüchte-
küche verantwortlich?
Schorcht: Warum hat sie eine Taskforce eingerich-
tet, aber nicht zugleich eine Kommunikations-
agentur beauftragt, um für mehr Klarheit an der
Basis zu sorgen? So sind irrwitzige Erwartungen
entstanden, etwa dass Grünheide auf dem Tesla-
Gelände einen Zahnarzt bekäme.
Steinbach: Das verbuche ich unter Kuriositäten.
Schorcht: Ich erlebe, dass Tesla Bürgerfragen ernster
nimmt als manche Politiker. Ein Tesla-Manager hat
mir seine Handynummer gegeben, ich habe ihn für
Fragen auch schon zu Hause angerufen. Tesla kom-
muniziert mit uns besser als unsere Politiker.
Steinbach: Das ist auch deren Job! Ich bin nicht
der Pressesprecher von Tesla. Welche Antworten
erwarten Sie denn noch von der Landesregierung,
die in unsere Zuständigkeit fallen? Das sind Infra-
strukturfragen, etwa wo noch eine Straße gebaut
wird, damit der Verkehr nicht kollabiert. Man
kann aber nicht ein Vierteljahr nach der Entschei-
dung für einen Standort schon fertige Konzepte
erwarten. Ich fürchte, Sie haben ein falsches Bild
vom Verwaltungshandeln. Wir leben nicht in ei-
nem zentralisierten Staat, wo von oben bis zur
Gemeindeebene durchregiert werden kann. Das
war vielleicht noch bis vor 30 Jahren im Osten so.
Das ist Geschichte.
Schorcht: Über ein Problem müssen wir noch
sprechen: In meiner Region hat die AfD zuletzt
23 Prozent erreicht. Die Partei trommelt wie ver-
rückt und versucht, die Themen Umwelt und
Heimat zu besetzen.
Steinbach: Da erzählen Sie mir nichts Neues.
Schorcht: Wir als Bürgerinitiative hatten schon
Unterwanderungsversuche von rechts außen. Wir
waren blauäugig und haben das Problem unter-
schätzt. Die Parolen der AfD fruchten. Schon al-
lein deshalb hoffe ich, dass Sie auch Kritik auf-
greifen.
Steinbach: Mein Respekt dafür, dass Sie sich kei-
nesfalls von der AfD missbrauchen lassen wollen.
ZEIT: Schon im Sommer 2021 will Tesla die Pro-
duktion starten. Lassen Sie sich einen zu straffen
Zeitplan diktieren, Herr Steinbach?

Steinbach: Den Druck hatte vor allem Tesla, des-
sen Geschäftsführung alles Nötige für die Geneh-
migungsverfahren liefern musste. Das hat das Un-
ternehmen getan. Wir haben dann natürlich
nichts anbrennen lassen in der Prüfung. Diktieren
lassen haben wir uns aber gar nichts, im Gegenteil.
Wir haben immer wieder gesagt: Liebe Leute, es
hängt von der Qualität eurer Unterlagen ab, ob
das funktioniert.
ZEIT: Tesla kann weltweit Standorte gegeneinan-
der ausspielen. In Shanghai wurde ein Tesla-Werk
in zehn Monaten gebaut. Wenn Sie nicht mitzie-
hen, ist das Projekt futsch. Müssen wir Deutschen
uns daran orientieren?
Steinbach: Klare Antwort: Ja. Und zwar nicht, um
Shanghai um noch eine Woche zu schlagen. Aber
wir müssen besser werden. Denken Sie nur an den
Ausbau von Windkraftanlagen oder Stromnet-
zen – über die Uckermarkleitung wird seit 2006
diskutiert. Da ist es gut, dass jetzt ein Ruck durch
Brandenburg geht. Wir wollen nicht mehr bemit-
leidet, sondern beneidet werden.
Schorcht: Aber wir Bürger wollen einbezogen wer-
den, auch wenn Tesla Tempo macht! Es ist gut,
dass wir als Bürgerinitiative dem Unternehmen
auf die Finger schauen. In den ersten Unterlagen
stand noch, dass auf dem Gelände ein Brunnen
gebohrt und ein Kraftwerk errichtet werden soll,
was aber im Wasserschutzgebiet verboten ist.
Steinbach: Dann wäre es auch nicht erlaubt wor-
den. Eines noch: Wie solche Großprojekte regu-
lär ablaufen, ist sicherlich gewöhnungsbedürftig.
Denn so viele von diesem Kaliber hat es in Bran-
denburg, ja im ganzen Osten, noch nicht gege-
ben. Das ist etwas Neues. Aus der Psychologie
wissen wir: Neue Dinge wecken auch erst mal
Ängste. Und da komme ich zu etwas, was mich
beunruhigt. Die Politik erlebt einen Vertrauens-
verlust, das verstärkt den Generalverdacht: Die
lassen sich von einem Großkonzern am Nasen-
ring durch die Manege führen; Hauptsache, die
kriegen den persönlichen Erfolg und das eigene
Denkmal. Das führt dann zu der Wahrnehmung,
die Sie beschrieben haben.
ZEIT: Herr Schorcht, Sie haben öffentlich Tesla als
Risiko bezeichnet. Warum?

Schorcht: Ich habe nichts gegen die Firma. Aber
ich sehe beim »Gigafactory«-Projekt auch ein fi-
nanzielles Risiko für das Land. Keiner weiß, wie
sich bei Tesla der unternehmerische Erfolg entwi-
ckeln wird. Der Aktienkurs gilt als aufgebläht. Es
wird künftig deutlich mehr Mitbewerber bei der
E-Mobilität geben. Und was ist mit den Alternati-
ven, etwa der Wasserstofftechnologie? Kritisch
sehe ich auch: Tesla produziert Fahrzeuge, die sich
90 Prozent der Bevölkerung kaum leisten können.
Steinbach: Aber worin besteht denn das finanzielle
Risiko für Brandenburg?
Schorcht: Man nimmt Steuergeld in die Hand, um
die ganze Infrastruktur aufzubauen, es muss ein
Bahnhof verlagert werden.
Steinbach: Aber das ist doch von bleibendem Wert.
Schorcht: Ob das an dieser Stelle auch künftig ge-
braucht wird, ist die andere Frage. Wir reden von
Geld, das dann anderen Kommunen fehlt, die um
einen Anschluss zur S- oder Autobahn ringen.
Steinbach: Die Kaufverträge für das Gelände sind
so abgefasst, dass wir notfalls ohne Einbußen raus-
kommen. Und zur Frage nach den unternehme-
rischen Aussichten: Tesla baut diese Fabrik ja nicht
für Brandenburg oder Deutschland, sondern für
ganz Europa. Das ist ein riesiger Absatzmarkt. Wie
Herr Schorcht sehe auch ich Batteriefahrzeuge als
Übergangstechnologie für die nächsten 20 Jahre.
Die Wertschöpfung, die Brandenburg so lange
entsteht, kann nur eine Gewinnstory werden.
ZEIT: Wann, glauben Sie, wird der erste Spaten-
stich für das neue Tesla-Werk stattfinden?
Steinbach: Hoffentlich schon um Ostern herum.
Genauer kann ich es noch nicht sagen.
ZEIT: Dafür will Tesla-Chef Elon Musk nach
Grünheide kommen. Was würden Sie ihm gern
ins Gesicht sagen, Herr Schorcht?
Schorcht: Sie haben sich den falschen Standort
ausgesucht, Mr. Musk! Tesla hatte ja allein in
Brandenburg drei weitere Plätze zur Auswahl.
Auch fürs Land ist das Ergebnis nicht gut. Anstatt
die Peripherie zu stärken, ziehen wir noch mehr
Jobs und Menschen in den Berliner Speckgürtel.

Das Gespräch moderierten
Stefan Schirmer und Claas Tatje

Tempo vor Demokratie?


»Wir wurden von den Plänen


regelrecht überrumpelt«


Im November kündigte der Batterieauto-Hersteller Tesla an, eine Großfabrik im brandenburgischen Grünheide zu bauen. Jetzt sei


Schnelligkeit nötig, sagt der zuständige Minister. Ein Anwohner widerspricht: Die Bürgerrechte blieben auf der Strecke


»Es ist bemerkenswert, welche


Antworten wir alle geben sollen«


Jörg Steinbach, 63,
promovierter
Chemieingenieur,
ist seit 2018
SPD-Wirtschafts-
minister in
Brandenburg

Steffen Schorcht,
59, promovierter
Elektroingenieur,
ist in einer
Bürgerinitiative
gegen die
»Gigafactory« aktiv

12 12. MÄRZ 2020 DIE ZEIT No 12


Fotos: Henning Kretschmer für DIE ZEIT

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