Die Zeit - 12.03.2020

(backadmin) #1
ch war sehr stolz, als mein Unternehmen – ge-
gründet in meinem achten Schwangerschafts-
monat – im Jahr 2011 ausgezeichnet wurde als
familienfreundlichstes Unternehmen in unserer
Branche. Die Jury, unter anderem das Bundesfa-
milienministerium, lobte, dass wir in unserer
Firma Kinderspielräume anbieten, jedes Arbeits-
zeitmodell für Eltern ermöglichen, jede Form der
Kinderbetreuung mitfinanzieren und deshalb zu
90 Prozent weibliche Mitarbeiter haben.
In den Jahren seit der Auszeichnung haben
mich immer mehr Zweifel befallen, ob wir den
richtigen Weg gegangen sind. Inzwischen ärgere
ich mich sogar über die ach so gepriesenen Maß-
nahmen zur vermeintlichen Frauenförderung. In
der kommenden Woche, am 18. März, erinnert
der Equal Pay Day wieder daran, dass Frauen im
Durchschnitt immer noch deutlich weniger Geld
verdienen als Männer. Aber all das, was in unse-
rem Beratungsunternehmen Frauen helfen sollte,
führte langfristig eher dazu, sie finanziell abhän-
gig, schlechtergestellt, überlastet und untergeord-
net im Job zu belassen. Mütter nehmen bei uns
nicht nur die deutlich längeren Elternzeiten, sie
arbeiten danach auch fast ausnahmslos in Teilzeit.
Sie betreuen überwiegend im Krankheitsfall die
Kinder und verzichten zumeist zugunsten ihrer
Partner auf berufliche Weiterentwicklung.
All die Teilzeitarbeitsmodelle, die langen
Eltern zeiten, die Home-Office-Angebote sind ein
Köder und gleichzeitig eine Art Opium fürs
Müttervolk. Sie gaukeln eine andere Frauenrolle
nur vor. »Familienfreundlichkeit« heißt in Wahr-
heit oft nichts anderes als die Un-
terstützung eines alten Rollenbil-
des, das die Frau in der hauptsäch-
lichen Verantwortung für Kinder,
Haushalt und Pflege älterer Famili-
enmitglieder sieht.
Wer echte Chancengleichheit
will und den Gender-Pay-Gap
schließen möchte, muss viel früher
anfangen und viel radikaler um-
steuern – und damit meine ich vor
allem die Frauen selbst.
Angesichts einer Lohnlücke von
21 Prozent, die hartnäckig zwi-
schen Männern und Frauen klafft,
angesichts der Tatsache also, dass
Frauen in einem Erwerbsleben
durchschnittlich die Summe eines
Einfamilienhauses weniger verdie-
nen, müssen wir Frauen uns doch
fragen, ob wir nicht mit schuld da-
ran sind. Wenn ja, dann können wir es auch än-
dern. Frauen müssen aufhören, ihre Gestaltungs-
energie aufs Anprangern und Krakeelen zu
verwenden. Wer nur über den Gender-Pay-Gap
lamentiert, zementiert ihn.
Betrachten wir einmal etwas genauer, worü-
ber wir beim Gender-Pay-Gap reden. Der berei-
nigte Lohnunterschied zwischen Männern und
Frauen, also der innerhalb derselben Branche bei
vergleichbarer Stellung, liegt je nach Quelle le-
diglich zwischen etwa 4 und 6 Prozent. Richtig
interessant wird die Problemanalyse, wenn man
regionale Unterschiede betrachtet: In Sachsen-
Anhalt lag die unbereinigte Lohnlücke 2017 nur
bei 2,4 Prozent, und in Cottbus verdienen Frau-
en sogar mehr als Männer. Richtig schlimm hin-
gegen sieht es in Baden-Württemberg aus. Dort
können sie offenbar alles – außer Gleichberechti-
gung. Die Lohnlücke im Ländle betrug 2017
satte 26,5 Prozent.
Woran liegt das? Daran, dass Frauen die fal-
schen Berufe wählen! In einem von Industrie und
Ingenieurswesen geprägten reichen Bundesland
wie Baden-Württemberg fällt deshalb der Lohn-
unterschied so viel deutlicher aus als im indus-
triell strukturschwachen Nordosten. Man ist na-
türlich verleitet, dies auf einen kulturellen Unter-

schied zwischen Ost und West zurückzuführen,
darauf, dass weibliche Berufstätigkeit im Osten
schon länger selbstverständlich ist als im Westen.
Tatsächlich ist der wesentliche Grund für die Dif-
ferenz aber, dass es zwar seit 2010 eine Anglei-
chung der Tariflöhne in den öffentlich bezahlten
Sozialberufen zwischen Ost und West gibt – in
den Industrieberufen jedoch nicht. Eine wirklich
wirksame Maßnahme, um den Gender-Pay-Gap
zu verringern, wäre es also, den Lohn für Sozial-
berufe auf ein Niveau mit Gehältern in der In-
dustriebranche zu heben.
Bis es so weit kommt – wenn es jemals so weit
kommt –, liegt es an uns Frauen selbst, die Kluft
zu schließen. Hier sind drei Vorschläge:


  1. Ändern wir unser Frauenbild!
    Sollte es tatsächlich auf Veranlagung zurückzu-
    führen sein, dass Frauen sich für Menschen inte-
    ressieren und Männer sich für Maschinen be-
    geistern? Das will man uns glauben machen. Und
    zwar schon von Krabbelbeinen an. Ob rosa oder
    blau, Puppen oder Eisenbahn, Kochlöffel oder
    Kinderhammer – die Manipulation durch alle,
    die (mit-)erziehen, fängt ganz früh an. Umso
    mehr müssen wir selbst härter daran arbeiten,
    diese Zuweisungen zu durchbrechen. Nichts
    spricht dagegen, etwas genauer zu prüfen, ob ich
    (oder meine Tochter, Freundin oder Cousine)
    nicht doch Mathematik, Informatik oder Inge-
    nieurwissenschaften spannender finde, als es eine
    tradierte Rollenverteilung vorsieht. Frauenquo-
    ten in Ausbildungsgängen ergäben viel mehr
    Sinn als Frauenquoten in Füh-
    rungsetagen. Und wie wäre es mit
    einer Männerquote für Grund-
    schulpädagogik, Pflege und Einzel-
    handel?
    Und wenn es so ist, dass Männer
    einen unverdienten Marktvorteil
    genießen, weil ihre tiefere Stimme
    und ihre körperliche Präsenz ihnen
    leichter Autorität verschaffen, dann
    müssen wir Frauen eben Trainings
    zu selbstbewusstem Auftreten bele-
    gen und an unserer Präsenz arbei-
    ten. Vor allem muss es uns egal
    werden, ob Männer uns auch dann
    noch mögen, wenn wir erfolgrei-
    cher sind als sie.
    Wir müssen uns schon früh ent-
    scheiden für Investitionen in uns
    selbst. Wir müssen uns von vorne-
    herein gegen Steuerklasse 5 ent-
    scheiden, weil wir es uns wert sind. Und irgend-
    wann müssen wir auf einem Kinderbetreuungs-
    modell bestehen, in dem die Lasten gerecht ver-
    teilt werden und das mit den gut bezahlten Jobs
    vereinbar ist. Am besten bereitet man das schon
    vor, wenn man noch umworben wird, und macht
    eine entsprechende Vereinbarung zum Care-Sha-
    ring im zukünftigen gemeinsamen Leben zur
    Bedingung. Augen auf bei der Partnerwahl!

  2. Feiern wir die Role-Models, statt
    sie zu dämonisieren!
    Role-Models, das sind nicht nur die wenigen
    Frauen in Dax-Vorständen, sondern ganz norma-
    le Kolleginnen: Annette, die mit ihrem Mann
    abgemacht hat, dass derjenige arbeitet, der mehr
    verdient, und das ist sie. Mit zwei Töchtern. Oder
    Beate, die mit 17 entschieden hat, immer unab-
    hängig zu sein, dafür hart gearbeitet hat, anschlie-
    ßend konsequent hohe Gehälter forderte, von ih-
    rem Mann Rückendeckung verlangte und mit
    Säugling Vorstand in ihrem Berufsverband wurde.
    Wir sollten denen Podeste bauen, die es rich-
    tig machen – deren Geschichten sollten wir er-
    zählen, ihre Prinzipien verbreiten, anstatt sie zu
    halbseidenen Einzelfällen ohne Vorbildcharakter
    herabzuwürdigen, weil sie es angeblich nur ge-


Bä rbel Boy, Mutter von
drei Söhnen zwischen
14 und 18 Jahren, hat
während ihrer Schwan-
gerschaft ein Unterneh-
men gegründet, um ihre
Familie jederzeit selbst
ernähren zu können.
Sie ist Sozialdemokratin

Ändert euch,


dann helft ihr euch!


Alljährlich klagen Frauen am Equal Pay Day über die Lohnlücke, die zwischen ihnen und


Männern klafft. Die Wahrheit ist: Wir Frauen haben eine Mitschuld an ihr VON BÄRBEL BOY


LASS MICH AUSREDEN!


schafft haben können, indem sie ihre Kinder im
Stich gelassen oder andere unlautere Methoden an-
gewendet haben. Frauen, auch das gehört zu den
unbequemen Wahrheiten, kritisieren oft Frauen,
wenn diese sich für ein frühes Betreuungsmodell
entscheiden. Entgegen allen Forschungsergebnissen
erzählen auch die gut Ausgebildeten immer noch
das Märchen, dass Kinder glücklicher seien, wenn
Mama zu Hause bleibe.
Es ist keine Entscheidung für das Kind, wenn
ich nicht arbeite. Und es ist keine Entscheidung
gegen das Kind, wenn ich arbeite. Man könnte es
im Gegenteil als essenzielle mütterliche Verantwor-
tung sehen, die eigene Familie mit Kind und Kegel
auch bei einem Ausfall des Mannes finanzieren zu
können. Übrigens könnten gerade die gut Ausgebil-
deten unter uns zu Hause einen tollen Arbeitsplatz
für eine weniger gut ausgebildete Frau – die Nanny
oder Haushälterin – schaffen.
Wir müssen außerdem mehr gründen und als
Unternehmerinnen Vorbilder sein. Wir müssen aus
der Deckung kommen und sagen, dass wir super
sind. Wir müssen uns auf Führungspositionen be-

werben. Wir müssen uns auf die Schulter klopfen
und weitersagen, wie wir es geschafft haben.
Würden wir erfolgreiche Frauen feiern, würden
wir all diejenigen nach vorne stellen, die gut bezahlt
werden, würden wir Unternehmen auszeichnen, die
Frauen top bezahlen, dann würden wir die ge-
schlechtsbedingte Lohnlücke schneller schließen.
Aber es hätte eben diesen klitzekleinen Haken. Jede
von uns müsste sich fragen: »Was ist mein Anteil
am Gender-Pay-Gap?«


  1. Richtig wählen!
    Parteien mit den richtigen Ideen stärker zu machen,
    auch das liegt in unserer Macht. Es gibt Parteien, die
    das Ehegattensplitting abschaffen wollen, Parteien,
    die ein anderes Rollenbild befördern, Parteien, die
    für gesetzliche Frauenquoten sind und die die Löh-
    ne in den sozialen Berufen anheben wollen. Doch
    an einem festgefügten Geschlechterbild, das alle
    Care-Arbeit wie selbstverständlich Frauen zu-
    schreibt, ändert das wenig. Dabei ist Care-Arbeit
    eine volkswirtschaftliche Leistung, die bei der Be-
    rechnung des Bruttoinlandsproduktes komplett


unberücksichtigt bleibt. Das ist ein Skandal. Dies zu
ändern müsste für eine Partei, die Frauen als Wäh-
lerinnen gewinnen will, eine klare Forderung sein.
Ich suche auch leider immer noch nach einer Par-
tei, die auf die Idee kommt, eine Männerquote für
Pflegeberufe zu fordern. Während ich das tippe,
schlägt die Auto-vervollständigen-Funktion nicht das
richtige Wort vor. »Männerquote« – das gibt’s halt
noch nicht. Mehr Männer in Grundschulen, in Alters-
heimen, im sozialen und im Bildungsbereich würden
sofort zu höheren Gehältern führen, weil wir dann,
wetten?, ruck, zuck eine Debatte über die skandalös
niedrige Bezahlung in diesen Branchen bekämen. Eine
50-prozentige Männerquote in diesen Berufen – und
vorher wird keine Frau mehr eingestellt –, das triebe
auch Frauen in andere, besser bezahlte Berufe.
Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte
Kleidung. Eine Weisheit, die den Blick auf das rich-
tet, was ich selbst ändern kann. Die norddeutsche
Weisheit gilt auch für die Bedingungen auf dem
Arbeitsmarkt und die Autonomie der Frau. Wenn
der Gender-Pay-Gap das Wetter ist, dann müssen
wir Frauen uns robuster anziehen.

Illustration: Karsten Petrat; Foto: privat



  1. MÄRZ 2020 DIE ZEIT No 12 STREIT 13


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