- MÄRZ 2020 DIE ZEIT No 12 WIRTSCHAFT 27
DIE ZEIT: Herr Hildebrand, haben Sie Greta
Thunberg schon einmal getroffen?
Philipp Hildebrand: Nicht persönlich. Ich habe
sie beim Weltwirtschaftsforum in Davos gesehen,
umgeben von einer Menschenmenge.
ZEIT: Der Blackrock-Chef Larry Fink hat ange-
kündigt, den Konzern auf Nachhaltigkeit auszu-
richten. Wir hätten erwartet, dass Klimaaktivisten
mit Ihnen Kontakt aufgenommen haben.
Hildebrand: Einige haben das auch, und wir sind
dafür offen. Uns haben aber vor allem die Gesprä-
che mit unseren Kunden zu diesem Schritt bewegt.
Klimarisiken sind Investitionsrisiken. Deshalb müs-
sen wir als Treuhänder unserer Kunden reagieren.
Sie spüren, dass hier etwas im Gange ist, das wich-
tig wird für sie. So sehe ich das auch. Meine
Erfahrungen während der Finanzkrise bestärken
mich in dieser Einschätzung.
ZEIT: Sie waren damals Präsident der Schweizer
Notenbank und mussten Banken retten. Was hat
die Finanzkrise mit Klimaschutz zu tun?
Hildebrand: Damals wurde behauptet: Eine Bank
kann jedes Jahr 25 Prozent Rendite auf das eigene
Kapital erwirtschaften.
ZEIT: Die berühmte Vorgabe des früheren Deut-
sche-Bank-Chefs Josef Ackermann.
Hildebrand: Ein solch unrealistisches Ziel lässt
sich zwar erreichen, zumindest für einige Zeit –
vorausgesetzt, man blendet das damit eingegan-
gene Risiko komplett aus. Und genau darin liegt
das Problem. Denn irgendwann geht es dann an
den Märkten abwärts, und man stellt fest, dass die
Bank nicht über ausreichende Sicherheitspuffer
für eine solche Situation verfügt. Dann ist plötz-
lich ihre Existenz bedroht. Der Zusammenbruch
des Bankensystems in der Finanzkrise war eine
Folge davon, dass bestimmte Risiken vollständig
ausgeblendet wurden. Dabei waren die Zahlen
bekannt. Man wusste, wie gering die Eigenkapi-
talreserven der Banken waren. Man konnte es alles
voraussehen, und trotzdem haben es alle ignoriert.
ZEIT: Fast alle. Das ist die Parallele zum Klima?
Hildebrand: Ja. Wir wissen, dass sich die Erde er-
wärmt. Wir können auch die Auswirkungen ab-
schätzen und oft sogar konkret messen, die das auf
die Weltwirtschaft haben wird – aber noch igno-
rieren es viele. Das ist brandgefährlich. Wir haben
die Pflicht, unsere Anlagestrategie anzupassen.
ZEIT: Wir halten fest: Es geht nicht um die
Moral, sondern ums Geschäft.
Hildebrand: Ich würde es eher so formulieren: Mo-
ral und Geschäft sind keine Gegensätze. Es gibt
schon lange nachhaltige Finanzanlagen. Das waren
aber früher nur Nischenprodukte. Man hat den
Anlegern gesagt: Du kannst etwas für die Umwelt
tun, dafür musst du auf Rendite verzichten. Heute
wissen wir: Das stimmt so nicht, zumindest nicht,
wenn man einen längeren Zeithorizont hat.
ZEIT: Den haben Sie?
Hildebrand: Ja. Mindestens zwei Drittel der Gel-
der, die wir für unsere Kunden verwalten, stehen in
engstem Zusammenhang mit der Altersvorsorge.
Solche Gelder sind per se langfristig angelegt. Da
kommt es nicht so sehr auf kurzfristige Markt-
schwankungen, sondern auf langfristige Wertent-
wicklungen an. Und ich glaube, dass Unter-
nehmen, die Klimarisiken berücksichtigen, einen
Wettbewerbsvorteil haben. Das wird sich mit der
Zeit in den Aktienkursen niederschlagen.
ZEIT: Kann eine Klimakrise eine Finanzkrise aus-
lösen?
Hildebrand: Sicher. Überflutungen, Hitzewellen –
all das hat deutliche Effekte auf das Vermögen der
Anleger. Wir wissen beispielsweise genau, welche
Orte bei einem Anstieg des Meeresspiegels über-
flutet würden. In diesen Überflutungszonen wird
aber sehr viel gebaut. Das lässt sich etwa in Florida
beobachten. Was passiert mit dem Wert dieser Im-
mobilien, wenn die Flut kommt? Er wird rapide
sinken. Das Klimarisiko wird zu einem finanziel-
len und zu einem ökonomischen Risiko.
ZEIT: Dann müssten aber die Aktienkurse der
Immobilienfirmen längst im Keller sein.
Hildebrand: Dieser Prozess braucht Zeit. Und das
hat damit zu tun, dass die Märkte nicht so gut da-
rin sind, langfristige Risiken einzupreisen, wie das
Marktfundamentalisten immer wieder behaupten.
Genau das hat man in der Finanzkrise festgestellt.
ZEIT: Sie sagen: Die Anleger sehen dem Klima-
wandel noch zu gelassen entgegen?
Hildebrand: Wir gehen davon aus, dass die Ver-
mögen bald deutlich in Richtung Nachhaltigkeit
umgeschichtet werden. Das Kapital wird sich von
konventionellen Geschäftsmodellen wegbewegen
und in Unternehmen strömen, die die Vermei-
dung von Klimarisiken bewusst in ihre Strategie
integrieren. Das wird einer der ökonomischen
Megatrends des 21. Jahrhunderts sein. Das berück-
sichtigen die Märkte bislang viel zu wenig. Es gibt
da schöne historische Analogien.
ZEIT: Welche?
Hildebrand: Nehmen wir das Beispiel demografi-
scher Entwicklungen. Man kann sie sehr genau
voraussehen. Es gibt Geburtenraten, Sterberaten,
der Rest ist Mathematik. Also wussten wir seit
langer Zeit, dass die Gesellschaft altern würde. Da-
mit sind auch ökonomische Verschiebungen ver-
bunden: Fahrräder oder Spielzeuge für Kinder
werden eher weniger stark nachgefragt werden,
Medikamente für ältere Menschen dagegen sehr
viel stärker. Dennoch hat eine entsprechende Um-
schichtung des Kapitals lange nicht stattgefunden.
Dann ging es auf einmal sehr schnell. Ich glaube,
beim Klima wird es ähnlich laufen.
ZEIT: Wie passt es dann zu Ihrer Nachhaltig-
keitsstrategie, dass sie Anteile von RWE halten –
einem Unternehmen, das Kohle fördert?
Hildebrand: Der größte Teil des Kapitals, das wir
verwalten, steckt in sogenannten Indexfonds. Das
bedeutet: Unsere Kunden geben uns nicht den
Auftrag, in einzelne Aktien oder Anleihen zu in-
vestieren, sondern verlangen, dass wir Aktienindi-
zes wie den Dax nachbilden. Wenn ein Unterneh-
men nun Teil eines solchen Index ist, dann können
wir die Anteile nicht einfach abstoßen.
ZEIT: Also ändert sich in der Praxis nicht so viel.
Hildebrand: Doch, doch. Wir haben uns ver-
pflichtet, unseren Kunden eine viel größere An-
zahl an nachhaltigen Indexprodukten anzubieten.
Wir werden auch die Palette an nachhaltigen In-
dexprodukten ausbauen – ihre Zahl soll bis Ende
2021 von derzeit knapp 90 auf 150 steigen. Wir
lancieren zurzeit Produkte, die keine Aktien von
Unternehmen enthalten, die fossile Brennstoffe
fördern. Und schließlich arbeiten wir sehr eng
mit den Anbietern zusammen, die Indizes wie
den Dax oder den Dow-Jones entwickeln. Das
Ziel ist klar: Es soll so rasch wie mögliche ver-
mehrt nachhaltige Indizes geben. Das wird den
Markt fundamental verändern.
ZEIT: Mehr geht nicht? Sie verwalten sieben
Billionen Dollar an Vermögen, niemand besitzt
mehr Anteile an deutschen Unternehmen als Sie.
Hildebrand: Das ist richtig. Damit tragen wir eine
große Verantwortung im Auftrag unserer Kunden.
Wir werden im Dialog mit den Firmen deutlich
machen, dass uns Nachhaltigkeit wichtig ist.
ZEIT: Wie?
Hildebrand: Da gibt es ein paar konkrete Forde-
rungen. Wir verlangen von den Unternehmen,
dass sie ihre Klimarisiken transparent machen –
und zwar im Rahmen der von einer Expertenkom-
mission der G20-Staaten ausgearbeiteten soge-
nannten TCFD-Richtlinien. Da geht es zum Bei-
spiel darum, dass mögliche Verluste durch den
Klimawandel identifiziert werden. Wenn das nicht
passiert, werden wir im Zweifel von unserem
Stimmrecht Gebrauch machen, um die Unterneh-
men in die richtige Richtung zu bewegen.
ZEIT: Ist das schon einmal geschehen?
Hildebrand: Ja, aber das geht jetzt erst richtig los.
Das wird interessant, auch weil nach unserer An-
kündigung natürlich alle darauf achten, wie wir
uns verhalten werden.
ZEIT: Siemens-Chef Joe Kaeser hat der Klima-
aktivistin Luisa Neubauer kürzlich einen Platz
in einem Aufsichtsgremium angeboten. Beein-
druckt Sie so etwas?
Hildebrand: Das muss jedes Unternehmen selbst
entscheiden. Für uns sind solche Ankündigungen
nicht so wichtig. Wir wollen, dass sich in der
Geschäftspolitik etwas verändert.
ZEIT: Warum ziehen Sie sich dann nicht einfach
komplett aus dem fossilen Geschäft zurück?
Hildebrand: Erstens, weil das bei den Index-
produkten gar nicht geht. Zweitens müssen wir
bedenken, dass ein sofortiger Ausstieg aus fossilen
Brennstoffen sehr wohl auch dramatische Folgen
für die Wirtschaft haben würde. Wenn wir die
CO₂-Emissionen sofort auf null zurückfahren,
würde das zu einer massiven wirtschaftlichen Krise
führen. Wir befinden uns in einer Übergangs-
phase, das ist ein Prozess von zwanzig oder dreißig
Jahren. Ich weiß: Das klingt frustrierend, wenn
man jung ist und etwas verändern will. Aber ich
glaube, nur so gelingt die Umstellung ohne größere
soziale und ökonomische Verwerfungen. Darin
liegt auch eine Riesenchance für Europa.
ZEIT: Inwiefern?
Hildebrand: Ein wichtiges Element im Kampf ge-
gen den Klimawandel wird das Thema Erfassung
und Absorption sein: Dabei wird Kohlendioxid
der Atmosphäre entnommen und umgewandelt.
Das ist die nächste technologische Revolution –
bei der wir in Europa an vorderster Front sein
sollten. Im Wettlauf um die digitale Vorherrschaft
haben wir leider gegen die Amerikaner verloren,
beim Klima aber könnten wir vorne liegen, wenn
wir es richtig anstellen. Ich bin fest überzeugt, dass
sich hier für Europa und uns Europäer eine enor-
me und vielleicht historische Chance bietet.
ZEIT: Wie würden Sie es anstellen?
Hildebrand: Wenn ich einen Vorschlag machen
könnte, dann würde ich die 100 besten europäi-
schen Wissenschaftler nehmen, sie sehr gut bezah-
len und ihnen zehn oder fünfzehn Milliarden Euro
an Forschungsmitteln zur Verfügung stellen. Ich
würde ihnen sagen: Baut einen Campus, und fin-
det heraus, wie man CO₂ am besten erfassen und
absorbieren kann.
ZEIT: Kann es einen grünen Kapitalismus geben?
Hildebrand: Davon bin ich überzeugt. Es wäre aber
ein riesiger Fehler, zu glauben, dass der Markt den
Wandel hin zu einer klimaneutralen Wirtschafts-
weise allein in Gang setzen kann. Die Rahmenbe-
dingungen müssen stimmen, und die kann nur der
Staat setzen. Allerdings haben wir es beim Klima-
wandel mit einem globalen Problem zu tun, das
eigentlich globale Lösungen erfordert. Und die
wird es wahrscheinlich nicht geben, weil die Be-
reitschaft zur internationalen Zusammenarbeit
eher abgenommen hat.
ZEIT: Und dann?
Hildebrand: Ich glaube, wir werden zunehmend
Ökozölle an den Landesgrenzen sehen. Staaten,
die beim Klimaschutz voranschreiten und bei-
spielsweise bei der Stahlherstellung auf fossile
Energien verzichten, werden es nicht tolerieren,
dass ihr Markt mit günstigerem konventionell her-
gestelltem Stahl überschwemmt wird. Deshalb
werden sie auf einen Preisausgleich drängen. Ich
halte das auch für legitim.
ZEIT: Das klingt alles so, als sei die Richtung klar.
Es gibt aber auch Gegenkräfte: Donald Trump hat
für den Klimawandel nicht viel übrig.
Hildebrand: Historische Entwicklungen verlau-
fen selten linear. Aber man muss am Ende eine
Entscheidung treffen. Ich habe meinen Leuten
neulich gesagt: Habt keine Bedenken. Wir stehen
auf der richtigen Seite der Geschichte.
Das Gespräch führten
Lisa Nienhaus und Mark Schieritz
Philipp Hildebrand ist Vizechef des
weltgrößten Vermögensverwalters
Blackrock
Auch Grünzeug bringt
Rendite, glaubt man bei
Blackrock
Collage:
Shotshop (2); Foto: Simon Dawson/Bloomberg/Getty Images (u.)
»Moral und Geschäft sind
keine Gegensätze«
Der amerikanische Finanzgigant Blackrock will grüner werden.
Sein Vizechef Philipp Hildebrand erklärt, wie das geschehen soll und was der
Klimawandel mit der Finanzkrise zu tun hat
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