Die Zeit - 12.03.2020

(backadmin) #1

28 WIRTSCHAFT


E


ines der Opfer heißt Suria. Das
kleine Orang-Utan-Mädchen wur-
de nur drei Jahre alt. Es starb in
der Silvesternacht bei dem verhee-
renden Brand im Krefelder Zoo.
Fünf Stunden lang kämpften
Feuerwehrleute gegen die Flam-
men, bis um halb sechs am Morgen. Doch Suria
konnten sie nicht retten. Auch ihre Eltern Bunja
und Lea starben und 47 weitere Tiere. Nur zwei
Schimpansen überlebten. Der Auslöser des Feuers
im Affenhaus war – nach derzeitigem Ermittlungs-
stand der Staatsanwaltschaft – eine sogenannte
Himmelslaterne. Manche sagen auch »Glücks-
laterne«.
Es handelt sich dabei um Lampions, die nach
unten offen sind und wie ein kleiner Heißluftbal-
lon emporsteigen. Solche schönen, aber hoch-
gefährlichen Flugkörper dürfen in Deutschland
frei verkauft werden – obwohl es verboten ist, sie
zu benutzen. Diese eigentümliche Rechtslage soll
sich ändern, dafür sammelt Raoul Roßmann Un-
terschriften. Der 34-Jährige ist Geschäftsführer für
Einkauf und Marketing der Drogeriemarktkette
Rossmann (und Sohn des Gründers). Mit einer
Petition will er erreichen, dass nicht nur die Ver-


wendung, sondern auch der Verkauf der gefähr-
lichen Fluglaternen verboten wird.
Doch die Petition berührt eine noch viel wei-
tergehende Frage: Sollten Internetfirmen wie
Amazon für die Produkte haften, die andere über
ihren Marktplatz verkaufen? Denn dort werden
die Himmelslaternen vorwiegend angeboten.
Roßmann beklagt, dass es »zwei Welten« gebe.
»Der stationäre Handel ist haftbar für problema-
tische Produkte und wird streng kontrolliert, on-
line dagegen versagt die Kontrolle.« Es herrsche
ein Ungleichgewicht, das korrigiert werden müsse.
Das Thema treibe ihn seit Langem um.
Schon im Jahr 2009 gab es einen schlimmen
Unfall mit einer Himmelslaterne. Damals landete
sie auf einem Hausdach in Siegen und setzte das
Gebäude in Brand. Ein neunjähriger Junge kam
bei dem Feuer um. Danach untersagten alle Bun-
desländer die Verwendung solcher brennenden
Flugkörper. Die Herstellung und der Verkauf blie-
ben zwar erlaubt, aber seither sind die Himmels-
laternen weitgehend aus den Geschäften ver-
schwunden.
Vor allem über das Internet werden sie jedoch
weiterhin angeboten. Wer auf Google nach »Him-
melslaternen« sucht, bekommt an erster Stelle

mehrere Verkaufsinserate angezeigt. Etwa unter
der Überschrift: »Schöne 10 stück fliegende chine-
sische Laternen« – für sieben Euro plus Versand-
kosten. Ein Hinweis darauf, dass ihre Benutzung
in Deutschland verboten ist, erscheint nicht. Statt-
dessen bietet Google als Dienstleistung an: Ȁhn-
liche Produkte von mehr als 50 Anbietern verglei-
chen«. Auch bei Amazon lassen sich mit wenigen
Klicks solche Verkaufsangebote finden, ebenfalls
ohne Hinweis auf das Verbot, diese Laternen in
Deutschland zu benutzen.
Über das Internet kauften auch die Frauen, die
mutmaßlich für den Brand im Krefelder Zoo ver-
antwortlich sind, fünf Himmelslaternen. Eine da-
von landete offenbar auf dem Dach des Affen-
hauses. Eine 60-jährige Frau und ihre beiden er-
wachsenen Töchter hatten sich noch am Neujahrs-
tag bei der Polizei gemeldet. Ihnen tue unendlich
leid, was passiert sei, erklärten sie. Mit diesen Fol-
gen hätten sie nicht gerechnet, eine Warnung, dass
der Gebrauch dieser Lampions verboten sei, hät-
ten sie nicht erhalten. Ihnen droht nun eine Ver-
urteilung wegen fahrlässiger Brandstiftung. Die
Höchststrafe dafür beträgt fünf Jahre Haft.
Die Dummen sind die Käufer, wer die fliegen-
den Laternen dagegen herstellt oder verkauft, tut

offiziell nichts Unrechtes. Einzig das nordrhein-
westfälische Ministerium für Arbeit, Gesundheit
und Soziales geht seit dem Brand im Zoo auch
gegen die Verkäufer von Himmelslaternen vor.
Mitte Februar erklärte Minister Karl-Josef Lau-
mann (CDU), man nehme den Online-Handel
mit diesen Produkten nun »unter die Lupe«. Vier
in dem Bundesland ansässige Anbieter seien be-
reits überprüft worden. Ihnen habe man den
Verkauf »vorerst untersagt«. Dieses Vorgehen
stößt allerdings an Grenzen: Verkäufer, die au-
ßerhalb Nordrhein-Westfalens oder gar außer-
halb Deutschlands ansässig sind, lassen sich so
nicht stoppen.
Dieses Problem stellt sich auch bei der Petition,
die Roßmann auf den Weg gebracht hat. Darin
wird vorgeschlagen, Verkaufsangebote für Him-
melslaternen, die sich an deutsche Endverbraucher
richten, generell zu untersagen. Bei Verstößen,
heißt es im Petitionstext, sei es jedoch schwierig,
gegen Anbieter aus dem Ausland vorzugehen, ins-
besondere wenn sich diese außerhalb Europas be-
fänden. Deshalb sollten die Betreiber der Internet-
Marktplätze, über die solche Verkäufe meist abge-
wickelt werden – also die Amazons dieser Welt –,
mit in die Haftung genommen werden. Sie wür-

den dann für Verstöße zur Rechenschaft gezogen,
auch wenn sie selbst nicht als Verkäufer auftreten.
Der Fall der Himmelslaternen könnte also ein
Anlass sein, über die Frage nachzudenken, welche
Verantwortung die Betreiber von Online-Plattfor-
men übernehmen sollen. Bisher haben die Petition
auf der Website des Bundestags allerdings nur
knapp 3000 Bürger mitunterzeichnet (bis zum
Redaktionsschluss dieser Ausgabe der ZEIT). Die
Frist dafür läuft am 17. März ab. Erst wenn 50.000
Menschen innerhalb von vier Wochen ihre Unter-
stützung erklären, greift der Petitionsausschuss des
Bundestages ein Thema üblicherweise auf und
berät öffentlich darüber. Von diesem Quorum ist
die Petition weit entfernt.
Roßmann hat auch in den nordrhein-westfäli-
schen Filialen der Drogeriekette Unterschriften
sammeln lassen. Die seien aber noch nicht ausge-
zählt. Den Verdacht, es handele sich bloß um eine
PR-Aktion, um das Image der Firma zu verbes-
sern, weist er zurück. Die Petition stehe in keinem
direkten Zusammenhang mit dem eigenen Ge-
schäftsfeld. Dass sie bisher nicht viele Unterzeich-
ner gefunden hat, erklärt er mit der Nachrichten-
lage: Die Sorge um das Coronavirus lasse kaum
Platz für andere Themen.

Wunderschön anzuschauen, aber hochgefährlich: Fliegende Lampions

Foto (Ausschnitt): EyeEm/Getty Images

Brandbombe zu verkaufen


Sollen Internetfirmen wie Amazon dafür haften, was über ihre Plattformen vertrieben wird? Eine Petition zum


Verbot von Himmelslaternen wirft diese Frage auf VON KOLJA RUDZIO


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