Die Zeit - 30.01.2020

(Tina Sui) #1
Links: Bei einer Wahlkampfveranstaltung von Bernie Sanders. Oben: Vor einer Autowerkstatt in Portsmouth

heißt jeder Snob aus Massachusetts, der hier ein Ferienhaus
kauft und die Immobilienpreise hochjagt; vor allem im
Süden leben die zugezogenen Pendler, denn dort genießen
sie die hohen Gehälter Bostons und die Steuerfreiheit New
Hamp shires (es gibt drei Steuern in den USA: die überall
geltende federal tax sowie state und city tax, welche Staat
und Stadt erheben oder eben nicht). Diese Zuwanderung
hat aus einem streng republikanisch wählenden Staat der
Waffenliebhaber und Waldschrate einen Swing- State ge-
macht, mal dies und mal das Gegenteil wählend, dabei to-
lerant, humorvoll. »Museum dummer Jungssachen« heißt
eine kleine Sammlung von Modelleisenbahnen und ande-
rem Spielzeug in Portsmouth, und wenn ich meinen Sohn
auf meinen Schultern spazieren trage, höre ich täglich fünf
Mal, wie gemütlich er es dort oben auf seinem Thron doch
habe. »Die Kombination aus konservativ und fortschrittlich
liebe ich«, sagt uns Bruce Erickson, unser Vermieter.
Sind wir hier in einem amerikanischen Modellstaat? Dem
letzten Paradies Amerikas, trotz der Drogen? Der gesamte
weite Rest des Landes leidet ja unter der amerikanischen
Spaltung, der heiß gelaufenen Sprache, der Fixierung auf
jeden Schritt und jeden Tweet des Präsidenten. Kann es
sein, dass es hier noch Zusammenhalt gibt?


Die ersten Wochen vergehen, wir werden heimisch in der
Salter Street, Portsmouth, NH 03801. Bruce, der Künstler,
und seine Frau Liz, die Maklerin, sind großherzige Ver-
mieter, müssen uns aber darüber aufklären, dass es in die-
ser Straße nicht verziehen wird, wenn der Schnee vor dem
Häuschen nicht zack, zack geräumt wird. Oder wenn der
Subaru Outback schief in der Einfahrt steht. Der Winter
geht, der Frühling kommt, ich finde eine weitere Heimat:
Der Kittery Point Yacht Club wacht über jene Mündung des
Piscataqua River, die Portsmouth einst so attraktiv für die
Siedler aus Europa machte. Schon 1630 wurde das Dorf ge-
gründet, zunächst hieß es noch indianisch Piscataqua, bald
dann Strawbery Banke, und seit 1653 ist es offiziell und stolz
eine »Stadt« mit dem Namen Portsmouth; von 1679 bis
1774 war es gar die Hauptstadt der britischen Kolonie New
Hamp shire, weshalb sich heute hier eine stolze »Governor’s
Mansion« besichtigen lässt, weiß, aus Holz wie alles hier: Es
geht in Amerika um die Gegenwart, immer, der Traum muss
nicht zwingend Bestand haben; ich staune über diese absurd
schiefen Holzmasten, die die schweren Überlandleitungen
tragen und bei Sturm natürlich umkippen.
All die Friedhöfe übrigens, mit ihren schiefen, grauen Stei-
nen von 1783 oder 1667, zeugen von der Geschichte; und
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