Die Zeit - 30.01.2020

(Tina Sui) #1

WIRTSCHAFT



  1. JANUAR 2020 DIE ZEIT No 6


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DIE ZEIT: Herr Kaeser, kein Vorstandschef eines
deutschen Großunternehmens hat sich so oft poli-
tisch zu Wort gemeldet wie Sie. Hat es sich gelohnt?
Joe Kaeser: Da muss ich einen Moment ausholen. In
meiner ersten Phase als Vorstandsvorsitzender haben
Sie kaum einmal ein offensives Wort von mir gehört
über Rassismus, über die Spaltung der Gesellschaft,
über Populismus und dergleichen. Da ging es um etwas
anderes: Siemens als Sanierungsfall wieder auf starke
Beine zu stellen. Das dauerte ungefähr bis Ende 2017.
ZEIT: Dann kam die zweite Phase.
Kaeser: Da war die Frage: Lassen wir es jetzt so wei-
terlaufen? Oder versuchen wir zu antizipieren, wie die
nächsten zehn Jahre aussehen? Mir war damals klar:
Wenn ich jetzt aufhöre, verabschiede ich mich mit
einer sehr guten Bilanz und einem historisch hohen
Aktienkurs. Ich habe mich dann entschieden, noch
mal zu verlängern, um mit dem Managementteam
aus einer Position der Stärke heraus das Siemens der
nächsten Generation zu bauen. Dazu brauchten wir
aber einen anderen strategischen Ansatz. Es musste
etwas geben, woran sich das ganze Geschäft in Zu-
kunft ausrichtet: Wir nannten es »Pur pose«.
ZEIT: Purpose ist das neumodische Wort für »Be-
stimmung«, das Zauberwort aller Industrieführer.
Kaeser: Ja, aber das Zauberwort, wie Sie es nennen,
das kam bei den allermeisten viel später. Wir waren
mit Abstand die Ersten, die dieses Thema zur Maxime
der Strategie erklärten. Das Wichtigste war im Grun-
de, dass wir auch angelsächsischen Investoren gesagt
haben: Es gibt neben dem traditionellen Share hol der-
Value, also den solitären Gewinninteressen der Aktio-
näre, eine übergeordnete Größe. Und das ist die Be-
stimmung des Unternehmens als Bestandteil einer ge-
sellschaftlichen Ordnung.
ZEIT: Ist diese Botschaft verstanden worden?
Kaeser: Damals nicht. Mittlerweile entwickelt es sich.
Viele sind aber noch unterwegs mit dem Firmenman-
tra »The business of business is business« ...
ZEIT: ... dass also der Unternehmenszweck die Ge-
winnmaximierung ist.
Kaeser: Ja, das ist das Sicherste. Man tut das, wofür
man bezahlt wird, und um den Rest sollen sich mög-
lichst andere kümmern. Ich bin aber der Meinung,
das geht nicht mehr, dass man sich einfach zurück-
zieht. Als es 2019 die Debatte um die Seenotrettung
von Flüchtlingen gab und ich das kommentierte ...
ZEIT: ... Sie twitterten: »Menschen, die Leben retten,
sollten nicht verhaftet werden. Menschen, die töten
und Hass und Leid säen und fördern schon« ...
Kaeser: ... da gab es ja sehr viele Stimmen, die sagten:
Also jetzt übertreibt er es.
ZEIT: Schon vorher hatte die Fraktionschefin der AfD
im Bundestag, Alice Weidel, im Parlament über die
Einwanderungs- und Asylpolitik der Bundesregierung
gesagt: »Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte
Messermänner und sonstige Taugenichtse werden un-
seren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor
allem den Sozialstaat nicht sichern.« Darauf twitterten
Sie: »lieber Kopftuchmädchen als Bund deutscher
Mädel«, und dass solche Äußerungen dem Ansehen
des Landes und damit dem Wohlstand schadeten.
Kaeser: Die Kommentierungen von Alice Weidel
unter dem Bundesadler weckten Assoziationen an
dunkelste Zeiten. Diese Intervention können Sie auch
mit der Interessenlage des Unternehmens begründen:
Wer so etwas zum Beispiel im Ausland hört, der
könnte denken, ganz Deutschland sei so. Dagegen
muss man Zeichen setzen. Aber das war für mich
schon ein kritischer Moment. Da kamen dann auch
die ersten Morddrohungen auf.
ZEIT: Gegen Sie und Ihre Familie?
Kaeser: Ja. Morddrohungen gegen mich und auch
gegen meine Töchter.
ZEIT: Haben Sie das ernst genommen?
Kaeser: Bei uns gibt es einen zuverlässigen Sicher-
heitsapparat, der das bewertet: Einigen Drohungen ist
man nachgegangen. Andere habe ich einfach igno-
riert. Eine war sehr speziell: Es kam eine Morddro-
hung von [email protected]. Das hat mich
wirklich irritiert, weil es ganz offensichtlich in unse-
rem Land möglich ist, mit @nsdap.com eine E-Mail
zu versenden.
ZEIT: Für die AfD sind Sie ein Feindbild geworden.
Im Januar nannte Sie einer der stellvertretenden AfD-
Vorsitzenden in Hamburg einen »linken Gesinnungs-
terroristen« sowie Sie und Siemens eine »Schande für
Deutschland«.
Kaeser: Damit muss die AfD klarkommen. Sie ist ja
eigentlich eine demokratisch legitimierte Partei. Sol-
che Bemerkungen machen es einem schwer, zu ver-
stehen, warum das so ist. Ich hatte schon überlegt,
darauf eine pointierte Bemerkung zu twittern, etwas
wie: »Lieber links als ...« Aber mittlerweile habe ich ja
auch dazugelernt, wo man einen Tweet machen sollte
und wo nicht.


ZEIT: Neben Ihrem Konflikt mit Alice Weidel sind
in der Öffentlichkeit noch mindestens vier weitere
politische Themen haften geblieben, die für heftige
Turbulenzen gesorgt haben: Ihr Besuch bei Wladimir
Putin unmittelbar nach der An ne xion der Krim; das
Lob für die Steuerreform von Donald Trump in Da-
vos; Ihre Nähe zu Saudi-Arabien nach dem Mord an
dem Journalisten Jamal Kha shog gi. Und jetzt Ihr Ver-
halten im Zusammenhang mit der Lieferung von
Bahnsignaltechnik, die dem Kohleabbau in Australien
helfen soll. Nicht alles waren Glanztaten.
Kaeser: Frau Weidel haben wir schon besprochen.
Das war absolut richtig, ich würde das wieder tun. So,
das mit Herrn Trump, das jährt sich ja dieses Jahr ...
ZEIT: Zwei Jahre sind es inzwischen.
Kaeser: Ja, und das ist eine längere Geschichte. Bei
einem Dinner in Davos war ich links von Herrn
Trump positioniert. Und dann kam eine Vorstel-
lungsrunde, bei der ich sagte: Ich bin Joe Kae ser, ich
arbeite für Siemens. Worauf mich der Präsident
unterbrach und sagte, dass ich doch der Präsident
von Siemens sei. Und dann fragte ich ihn, ob er
denn nicht für sein Land arbeite. Was in Minuten-
schnelle ein Riesen-Social-Media-Aufreger wurde
mit weitestgehend positiven Kommentaren. Das
war das Erste. Dann habe ich ihm zur Unterneh-
menssteuerreform gratuliert und gesagt, dass wir die
nächste Gasturbinen-Generation in Char lotte ent-
wickeln werden.

»Meinen Sie, das war ein PR-Gag?


Wirklich nicht«


Der Siemens-Chef Joe Kaeser erlebt ein Image-Desaster wegen einer Kohlemine in Australien.
Ein Gespräch über saubere und nicht so saubere Geschäfte und die Frage, wie politisch ein Spitzenmanager sein darf

ZEIT: Sie haben sich über Charlotte gefreut, aber zur
gleichen Zeit Entlassungen in Görlitz erwogen, wo
Sie auch Gasturbinen produzieren.
Kaeser: Das hatte nichts miteinander zu tun. Ich weiß
auch nicht, woher sich der Anspruch ableitet, dass
man in einem Land, in dem keine Gasturbinen mehr
eingesetzt werden, diese dort entwickelt. Man entwi-
ckelt sie dort, wo die Nachfrage ist. Und der amerika-
nische Markt ist der größte Gasturbinenmarkt der
Welt. Wenn modernste Gaskraftwerke dort alte Koh-
lekraftwerke ersetzen, sparen Sie etwa 60 Prozent CO₂.
Aber die Berichterstatter vereinfachten: Kae ser kriecht
Herrn Trump auf den Schoß. Oder Schlimmeres.
ZEIT: Schon vorher war der Eindruck entstanden,
dass Sie auch Herrn Putin aus geschäftlichen Grün-
den auf den Schoß gekrochen sind.
Kaeser: Diese Geschichte war tatsächlich unglücklich


  • in vielerlei Hinsicht. Seit Monaten stand der Ter-
    min. Das war mehr oder weniger mein Antrittsbe-
    such. Es ging darum, ob wir stärker mit der russischen
    Eisenbahn zusammenarbeiten. Das ist immerhin der
    zweitgrößte Eisenbahnmarkt der Welt. Ein lange vor-
    bereitetes und wichtiges Thema. Solche großen Dinge
    sind in Russland Chefsache und gehen nicht ohne
    den Präsidenten.
    ZEIT: War Putin pünktlich? Es ist eine große Ehre,
    wenn er pünktlich kommt.
    Kaeser: Ja, in dem Fall war er sehr pünktlich, dazu
    kommen wir gleich. Es gab zuvor unterschiedliche


Meinungen, ob ich fahren sollte oder nicht. Wir hat-
ten im Vorfeld ein Abkommen über eine Mil liar de
Euro Industrieentwicklung mit Russland vereinbart.
Und dann bin ich dahin geflogen. Was ich allerdings
nicht wusste, war, dass an demselben Nachmittag die
politischen Spitzen der Welt in Brüssel tagen, um
Sanktionen gegen Russland zu diskutieren.
ZEIT: Wie ist das möglich, dass ein Unternehmen
mit einer riesigen Presse- und Politikabteilung so et-
was nicht weiß?
Kaeser: Gute Frage. Wir hätten das wissen können.
Andererseits ist es auch nicht so, dass die politischen
Führer der westlichen Welt ihre Termine mit mir ab-
stimmen. Ich wusste das also nicht, und ich ging zum
vereinbarten persönlichen Treffen.
ZEIT: In Moskau?
Kaeser: Kaum bin ich da, geht die Tür auf, und mir
schlägt ein Blitzlichtgewitter entgegen. Große Bühne,
inszeniert nach dem Motto: Die treffen sich in Brüs-
sel, und die richtig wichtigen Leute treffen sich jetzt
in Moskau. Da hab ich mir gedacht: Okay ...
ZEIT: Das zusätzliche Problem war, dass Sie Herrn
Putin auch noch gratuliert haben.
Kaeser: Dass man kritisiert hat, dass ich ihm zu den
erfolgreichen Olympischen Spielen gratuliert habe,
finde ich albern. Wenn einführend eine positive
Atmosphäre entsteht, ist das nichts Verwerfliches.
Und es waren ja gut organisierte Spiele. Wir hatten
damals für Sotschi die Nahverkehrszüge geliefert. Das
war ja keine politische Äußerung. Ich habe ihm ja
schließlich nicht zur Krim gratuliert. Dass das hin-
terher als eine politisch motivierte Veranstaltung gese-
hen wurde, das war schon sehr unglücklich.
ZEIT: Dann haben Sie aber dem ZDF auch noch ein
Interview gegeben, in dem Sie die Annexion der Krim
eine »kurzfristige Turbulenz« nannten, und daran war
Putin nicht schuld.
Kaeser: Wir hatten lange überlegt, ob wir das Inter-
view machen sollen, und haben uns dafür entschieden,
mit der Begründung: Wenn wir selbst nichts im O-Ton
sagen, dann wird man irgendetwas über uns sagen.
Und nach der Bühne in Moskau war nichts Gutes zu
erwarten. Ich gehe also ins Berliner Hauptstadtbüro
des ZDF, stecke einen Knopf ins Ohr und schaue in
eine dunkle Kamera, alles schwarz. Es ist wirklich sehr
nervig, in dieses schwarze Loch zu sprechen und den
Interviewer nicht zu sehen. Und dann meldet sich kurz
vor der Sendung Claus Kleber in fast schon jovialem
Ton und sagt: Ja, Herr Kae ser, gut, dass Sie zurück
sind. Wir machen eine lockere Unterhaltung, alles
locker, alles gut. Wird ungefähr so neun Minuten
dauern. Bis gleich. Dann richte ich meinen Knopf im
Ohr, damit er auch richtig sitzt. Dabei schießt mir
noch durch den Kopf: neun Minuten, wirklich?
ZEIT: Das ist ja fast die ganze Sendung.
Kaeser: Ja, sicher. Ich dachte noch, vielleicht habe ich
mich ja nur verhört? Und dann ging es auch schon
los, und es kam dieser denkwürdige Satz von Kleber:
»Siemens steht mit seiner Größe und seiner Geschich-
te in der Welt auch für Deutschland. Mit dem im
Hintergrund, Herr Kae ser: Was haben Sie sich mit
Ihrem Freundschaftsbesuch in Moskau zu diesem
Zeitpunkt gedacht?«
ZEIT: Und, was dachten Sie?
Kaeser: Ich dachte, okay, das war’s mit »alles locker,
alles gut«! Jetzt bloß ruhig bleiben. Sofort hatte ich die-
se denkwürdige Aus ein an der set zung zwischen Marietta
Slomka und Sigmar Gabriel, auch im heute-journal, im
Kopf, bei der das etwas rustikal endete. Und ich dachte,
bloß nicht provozieren lassen. Dann habe ich zwei Feh-
ler gemacht. Der erste war: Ich habe ständig gegrinst.
Weil meine Intention war, gute Miene zu einem Spiel
zu machen, das Frank Schirrmacher von der FAZ später
als dunkle Seite des Sensationsjournalismus bezeichnet
hat. Aber man grinst nicht bei so einer ernsten
Geschichte. Der Ausdruck muss sehr besorgt sein.
ZEIT: Und der zweite Fehler?
Kaeser: Meine relativierende Antwort auf die Frage:
»Wie können Sie das nur machen?« Die war: Schauen
Sie, wir sind seit 150 Jahren in Russland, und wir haben
zwei schreckliche Weltkriege dort überlebt. Und dann
dieser verhängnisvolle Nebensatz: Im Vergleich zu die-
sen beiden Weltkriegen ist die Krim ja nun doch eine
kurzfristige Turbulenz. In der medialen Verdichtung
blieb übrig: »Kaeser bezeichnet die Krim-Annexion als
kurzfristige Turbulenz.« Der Rest war dann natürlich
ein Schlachtfest. Also, im Grunde genommen ist alles
schlecht gelaufen, was schlecht laufen konnte. Murphys
Gesetz sozusagen.
ZEIT: Auf den Fall in Saudi-Arabien waren Sie besser
vorbereitet. Sie wollten eigentlich an einer Investoren-
konferenz in der Wüste teilnehmen, unmittelbar nach-
dem die Saudis den Journalisten Jamal Kha shog gi er-
mordet und ihn zersägt hatten. Sie haben lange

1957 als Josef Käser
geboren, wächst er im
niederbayerischen Dorf
Arnbruck auf.

1980 steigt er nach
einem Studium der
Betriebswirtschaftslehre
an der Fachhochschule
Regensburg bei Siemens
ein. Während seiner Zeit
für das Unternehmen in
den USA ändert er seinen
Namen in Joe Kaeser.

2013 wird Kaeser Vor-
standschef. Sein Vertrag
läuft Anfang 2021 aus.

Joe Kaeser


Fortsetzung auf Seite 22

Foto: Julian Baumann für DIE ZEIT
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