Die Zeit - 30.01.2020

(Tina Sui) #1

WISSEN


KLIMAWANDEL • HOCHSCHULE


»The end of
the world as
we know it«:
Caspar David
Friedrichs
»Wanderer
über dem
Nebelmeer«,
aktualisiert

Was, wenn es so kommt?


Der Kampf gegen den Klimawandel ist verloren, sagt der Schriftsteller Jonathan Franzen. Manche Forscher behaupten gar,
schon in diesem Jahrzehnt breche die Zivilisation zusammen. Es ist Zeit, sich mit dieser »Kollapsologie« zu befassen VON ULRICH SCHNABEL

B


ei meinem letzten Arztbesuch er-
lebte ich Verstörendes. Nicht weil
ich mich einer Mini-Operation
unterziehen musste. Sondern weil
die Ärztin, als ich bäuchlings mit
freiem Oberkörper auf der OP-
Liege lag, plötzlich auf den
Klimawandel zu sprechen kam. Sie erzählte, wäh-
rend sie mir eine örtliche Betäubung spritzte, dass
ihre Nichte zu den Klimaaktivisten gehöre und sie
darüber gestritten hätten, ob die Erde in Zukunft
noch bewohnbar sei. Das trieb meine – eigentlich
recht resolute – Ärztin offenbar sehr um. Nach
einem kleinen Exkurs über das zu warme Januar-
wetter, brennende Wälder und andere Unbilden
sagte sie zum Abschluss, kurz bevor sie das Skalpell
ansetzte: »Na, wenn es so weit ist, habe ich zumin-
dest schon das richtige Medikament zu Hause, um
meinem Leben ein Ende zu setzen.«
Seither frage ich mich: Ist meine Ärztin ein Einzel-
fall oder ein Symptom für eine um sich greifende
Stimmung? Erfasst das Gefühl einer nahenden End-
zeit nicht nur Apokalyptiker und Verschwörungs-
theoretiker, sondern allmählich auch brave Bürger?
Umfragen deuten zumindest darauf hin. Daten des
Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge sind
14 Prozent der Deutschen überzeugt, es sei zu spät,
die Klimakatastrophe abzuwenden, über 30 Prozent
halten deshalb einen neuen Weltkrieg oder das Aus-
sterben der menschlichen Art für möglich.


Nun sind solche Online-Umfragen mit Vor-
sicht zu genießen, weil die Datenbasis nicht immer
repräsentativ ist. Dennoch zeigt sich darin ein
Trend. Bisher herrschten zum Thema Klima-
wandel grob zwei Reaktionsweisen vor: entweder
Abwiegeln – »Das Thema ist total aufgebauscht,
wird schon nicht so schlimm kommen« – oder
Alarmieren – »Es ist fünf vor zwölf! Nur wenn wir
jetzt radikal umsteuern, bekommen wir die Erd-
erwärmung noch in den Griff«. Neuerdings
kommt eine dritte Reaktion hinzu: Resignieren.
»Das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen.
Hören wir auf, uns etwas vorzumachen, und ge-
stehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe
nicht verhindern können«, so formuliert es stell-
vertretend für die Resignierten der amerikanische
Schriftsteller Jonathan Franzen.
Franzen, der mit Bestsellern wie Die Korrekturen
weltberühmt wurde, erregte vergangenes Jahr
großes Aufsehen mit einem Essay im New Yorker,
der nun auf Deutsch erscheint (siehe auch Feuille-
ton, Seite 58). Darin argumentiert Franzen, die
Menschheit wisse seit 30 Jahren, dass sich die Erde
aufheize; dennoch schaffe sie es nicht, ihren CO₂-
Ausstoß zu begrenzen. Trotz aller Appelle, »die
Ärmel hochzukrempeln« und »den Planeten zu
retten«, wurde »in den letzten dreißig Jahren so
viel atmosphärisches Kohlendioxid produziert wie
in den gesamten vorangegangenen zwei Jahrhun-
derten«, schreibt Franzen. Das erforderliche

Umsteuern sei, »gelinde gesagt, eine Herkulesauf-
gabe«. Dass sie noch gemeistert werde, halte er für
unmöglich, und zwar aus einem einfachen Grund:
»Ich glaube nicht, dass die menschliche Natur sich
in absehbarer Zeit ändert.«
Für diese These hat Franzen viel Kritik einste-
cken müssen. Alarmierte Klimaschützer warfen
ihm vor, all jene zu demotivieren, die sich für den
ökologischen Wandel einsetzten. Klimaforscher
kritisierten Unstimmigkeiten in seiner wissen-
schaftlichen Argumentation. Und diejenigen, die
das Klimathema ohnehin für aufgebauscht halten,
lachten nur über den besorgten Naturliebhaber.
Doch bei aller Kritik kommt man nicht um-
hin, Franzen in einem Punkt recht zu geben: Bis
heute deutet nichts auf eine Begrenzung der Erd-
erwärmung hin. Zwar gab es unzählige Studien,
Konferenzen, Aufrufe, internationale Vereinba-
rungen und neuerdings sogar Appelle großer
Unternehmen. Doch unterm Strich bleibt festzu-
halten, dass jedes Jahr mehr CO₂ als im Vorjahr
ausgestoßen wird; praktisch jedes Jahr messen die
Forscher zugleich neue Temperatur-Rekorde oder
Höchstwerte beim Rückgang des arktischen Meer-
eises. Der Ozeanbeauftragte der UN, Peter Thom-
son, verglich kürzlich die Lage gar mit der Zeit vor
dem Zweiten Weltkrieg: »Politiker versuchen, hier
und da Deals zu schließen. Aber wir müssen damit
anfangen, wie in einem Kriegszustand zu denken.«
Der Meeresspiegel steige seit 1993 durchschnitt-

lich jedes Jahr um 3,15 Millimeter, Thomsons
Heimatland Fidschi werde zunehmend vom Meer
und von Tropenstürmen attackiert. »Dies sind
Kriegszustände für die Einwohner dort.«
Klingt übertrieben? Ein Anruf bei Peter Höppe,
der lange die Abteilung Georisiko-Forschung bei
der Munich Re leitete, dem größten Rückversiche-
rer der Welt. Höppe ist des Alarmismus unver-
dächtig, sein Job ist es, die Folgen des Klimawan-
dels nüchtern zu beziffern. Doch auch er sagt: »Es
fehlen jegliche Anzeichen, dass in den nächsten
Jahren bereits weniger Treibhausgase emittiert
werden, was zum Einhalten des völkerrechtlich
verbindlichen Zwei-Grad-Limits aber notwendig
wäre.« Schon jetzt belegten die Daten der Munich
Re »ganz klar, dass die Anzahl von wetterbeding-
ten Naturkatastrophen drastisch zugenommen
und sich seit 1980 etwa verdreifacht hat«. Den-
noch sehe er immer noch »eine große Diskrepanz
zwischen politischen Versprechen und konkretem
Handeln«. Und zum Abschluss äußert der Meteo-
rologe Höppe »die große Sorge, dass wir den Kli-
mawandel nicht auf ein Niveau begrenzen kön-
nen, mit dem die Menschheit ohne große wirt-
schaftliche und humanitäre Krisen zurechtkäme«.
Unterm Strich bleibt festzuhalten, dass Fran-
zens Annahme einer ungebremsten Fortsetzung
des Klimawandels gar nicht so unplausibel ist. Zu-
mindest liegt sie im Bereich des Möglichen. Nur
einmal angenommen, es käme so: Was folgt

daraus? Und wie könnte man sich auch auf den
schlimmstmöglichen Fall einstellen?
Diese Frage treibt mittlerweile eine ganze Reihe
von Forschern um. Ihr Studienthema könnte man
als »Kollapsologie« bezeichnen – ein Begriff, den
der Ökologe Pablo Servigne 2015 prägte, als er in
Frankreich sein »Handbuch der Kollapsologie«
veröffentlichte (Comment tout peut s’effondrer: Petit
manuel de collapsologie, Editions Seuil). Darin
argumentieren Servigne und sein Co-Autor
Raphaël Stevens, dass die Entwicklung von Zivili-
sationen nicht linear, sondern zirkulär verlaufe.
Anders gesagt: Irgendwann überschreiten Gesell-
schaften ihren Höhepunkt und brechen spektaku-
lär zusammen – so wie es der Evolutionsbiologe
Jared Diamond in seinem Buch Kollaps für frühere
Kulturen beschrieben hat.
In dieselbe Richtung denkt Jem Bendell,
momentan der wohl einflussreichste Kollapsologe.
Sein vor eineinhalb Jahren veröffentlichter We g-
weiser, um uns durch die Klimakatastrophe zu führen
ist weltweit zum Evangelium der Kollaps-Gläubi-
gen geworden. Über eine halbe Million Mal wurde
Bendells Aufsatz vom Server geladen, vielfach sind
Foren und Facebook-Gruppen entstanden, die
sein Konzept der deep adaptation (Tiefenanpas-
sung) diskutieren. Wissenschaftler betrachten das
alles eher mit Stirnrunzeln, Bendells Aufsatz ist

Fortsetzung auf S. 38

Fotoillustration: Mikel Jaso


  1. JANUAR 2020 DIE ZEIT No 6 37

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