sich. Ergebnis: Fettes Essen verzögerte die Ausschüttung
von Cortisol, wodurch die Testpersonen morgens eher
müde und ausgelaugt waren. Auch späte Mahlzeiten
bringen die innere Uhr aus dem Takt. Nach dem Abend-
essen kommt unser Körper natürlicherweise zur Ruhe,
er stellt sich auf den Fettabbau ein und fährt die Tem-
peratur runter. Essen wir kurz vor dem Schlafengehen
noch eine Tafel Schokolade, werden die Uhren der
Organe gestört: Draußen ist es bereits dunkel, der SCN
empfängt keine Lichtreize mehr, und doch gelangt Nah-
rung in den Magen. Mitternachts-Snacks entkoppeln so
die Uhr der Leber, der Bauchspeicheldrüse und des
Darms von der Hauptuhr im Gehirn. Als Folge ungere-
gelten Essens drohen Herz-Kreislauf-Störungen, Fett-
leibigkeit oder Stoff wech sel erkran-
kun gen. »Frühstück wie ein Kaiser,
Mittagessen wie ein König und
Abendessen wie ein Bettler« – zu-
mindest die Chronobiologie stützt
diese Redensart.
Entscheidend ist aber nicht
nur, wann wir essen, sondern auch,
wie oft. Viele haben einen flexiblen
Tagesablauf und essen nach dem Gelegenheitsprinzip,
fünf bis acht Mahlzeiten am Tag. Im vorigen Jahr unter-
suchten Wissenschaftler am kalifornischen Salk In sti tute,
wie sich solches ständige Essen auf die Gesundheit aus-
wirkt. Sie teilten Mäuse in zwei Gruppen ein und gaben
beiden das gleiche Futter. Doch während die einen die
ganze Zeit über fressen durften, hatten die anderen nur
jeweils acht Stunden täglich Zugang zum Futter. Nach
drei Monaten hatten alle Tiere etwa gleich viele Kalorien
zu sich genommen. Aber: Im Gegensatz zu den Dauer-
essern nahmen diejenigen Mäuse, die nur während der
acht Stunden aßen, nicht zu und zeigten ausgewogene
Blut- und Cholesterinwerte. Ähnliches gilt auch für den
Menschen. So berichteten Forscher der Universität Graz
kürzlich in der Fachzeitschrift Cell Metabolism, dass
Menschen, die beim sogenannten Intervallfasten ledig-
lich acht, zehn oder zwölf Stunden am Tag essen, nicht
nur weniger anfällig für Krankheiten waren, sondern
auch abnahmen. Wer regelmäßig esse und zusätzlich
Sport treibe, könne sogar eine durch Schichtarbeit ver-
stellte innere Uhr teilweise korrigieren.
Als Taktgeber des Lebens reguliert die innere Uhr
die biochemischen Prozesse unseres Körpers, ist unter
anderem verantwortlich für den Schlaf-wach-Rhythmus,
die Hormonausschüttung, die Verdauung. Rund die
Hälfte aller Gene in unserem Körper sind periodisch
aktiv, einige morgens, andere nachmittags oder abends.
Wann genau Aktivatorproteine das period-Gen im Zell-
kern anschalten, ist allerdings individuell verschieden.
Etwa fünf Prozent der Bevölkerung sind Frühaufsteher,
sogenannte Lerchen, rund zehn Prozent sind Spät typen
und zählen zu den Eulen. Welcher Gruppe man ange-
hört oder wo man sich zwischen ihnen einpendelt,
darüber gibt ein von Wissenschaftlern der Charité in
Berlin entwickelter Bluttest Auskunft. Dessen Anwen-
dung steht noch am Anfang, könnte aber den Umgang
mit Medikamenten radikal verändern.
Schon heute ist für Medikamente,
die lediglich ein paar Stunden im
Körper wirken, der Zeitpunkt der
Einnahme wichtig. Asthmatiker
bekommen nachts schlechter Luft,
daher helfen kortisonhaltige Sprays
abends am meisten. Auch bei
Rheumapatienten, denen Gelenk-
schmerzen häufig nach dem Auf-
wachen zu schaffen machen, sind abends eingenommene
Retardkapseln am wirksamsten. Das Medikament ver-
teilt sich im Laufe der Nacht im Körper und hemmt
Entzündungsstoffe, die zu dieser Zeit vermehrt produ-
ziert werden. In Zukunft würde eine »Chronopharma-
kologie« Medikamente noch genauer auf die innere
Uhr des Menschen abstimmen. Zum Beispiel in der
Krebsmedizin: Wenn die Chemotherapie genau dann
verabreicht werden könnte, wenn sich die Krebszellen
teilen, wäre ihr Effekt größer, und die Nebenwirkungen
wären geringer. Britische Wissenschaftler haben heraus-
gefunden, dass nahezu 500 Medikamente verträglicher
sind, wenn sie im Einklang mit der inneren Uhr ein-
genommen werden.
Wir stehen auf dem Gipfel eines Gebirges, in dem
es noch viel zu erkunden gibt. Sicher ist: Die innere Uhr
beeinflusst unser Leben immens. Doch wie wir uns das
zunutze machen können, müssen wir noch lernen. —
Rebekka Gottl versucht seit der Recherche, abends auf grelles
Licht zu verzichten. Nachts tastet sie sich nun im Dunkeln
zum Bad, um ihre innere Uhr nicht aus dem Takt zu bringen –
wobei sie sich allerdings mehrfach den Zeh gestoßen hat.
Die Chronobiologie
zeigt: Es ist nicht nur
entscheidend, wie viel
man isst, sondern vor
allem, wann man isst
Unsere Bergführer:
Olga Ramich untersucht am Deutschen
Institut für Ernährungsforschung in Pots-
dam die zirkadiane Rhythmik des Stoff-
wechsels. Gregor Eiche le, Direktor am
Max-Planck-Institut für biophysikalische
Chemie in Göttingen, erforscht den
Einfluss von Uhrengenen auf den Bio-
rhythmus. Achim Kramer hat am Institut
für Medizinische Immunologie der Charité
den Bluttest mitentwickelt, der per Gen-
analyse den Chronotyp eines Menschen
ermittelt. Till Roenneberg, LMU München,
prägte den Begriff »sozialer Jetlag« für
Situationen, in denen Schul- und Arbeits-
zeiten die innere Uhr durch ein an der brin gen.
Satchin Panda beleuchtet in »Der Zirkadian-
Code« den Einfluss von Essgewohnheiten
auf den Biorhythmus.