... die Farbe Blau
Blau stimmt uns wach und froh. Scheint es als Licht,
erschöpft es uns aber bereits nach 20 Sekunden. Dass
wir es überhaupt wahrnehmen können, verdanken wir
einem Pflanzenmolekül in den Zapfen der Netzhaut;
Pflanzen dagegen blühen selten blau, überhaupt macht
diese Farbe sich in der Natur äußerst rar. Kommt sie
dennoch vor, dient sie allein der sexuellen Attraktivität.
Unser Gehirn betreibt einen großen Aufwand, um den
Anschein von Blau zu erzeugen. Vielleicht war die
Menschheit deswegen dieser Farbe immer schon ver-
fallen. Nach der Lektüre dieses Lobgesangs auf die
vielleicht schönste Farbe dieser Welt in einem der
schönsten Bücher der letzten Jahre traut man jedenfalls
keinem Blau mehr über den Weg. Genießen sollte man
es trotzdem, denn auf der Erde bläut es immer weniger.
Kai Kupferschmidt: »Blau – Wie die Schönheit in die Welt kommt«, Hoffmann
und Campe, 240 S., 26 €
... einen Helden
Bruce Springsteen ist zweifelsohne eine amerikanische
Legende, auch wenn seine Rockmusik nicht jeder-
manns Sache ist. Mindestens seinen Hit Born in the
U.S.A. dürften viele Ältere noch in den Ohren haben.
Was dort und in anderen Liedern anklingt, hat der ita-
lienische Journalist Leonardo Colombati in einem fast
1000-seitigen Buch neu gedeutet: als den »großen
amerikanischen Roman«. Denn genau das sei Spring-
steens Werk, wenn man ihm aufmerksam zuhöre, so
Colombatis These. Jede Platte von Springsteen ist
dann ein Kapitel dieses Romans über das Leben von
Malochern und einfachen Leuten in den USA. Co-
lombati ordnet die Songtexte zunächst in die Literatur-
geschichte ein und arrangiert sie im zweiten Teil so,
dass sie sich als Roman lesen lassen. Nicht nur für
Springsteen-Fans ein hochinteressantes Buch.
Leonardo Colombati: »Bruce Springsteen. Like a Killer in the Sun. Songtexte«,
Reclam, 960 S., 35 €
... Schmetterlinge im Buch
Ob in Pelz gehüllt, aus Samt und Seide, mit Knöpfen,
Pfeilen und Borstenbüscheln geschmückt, die Buch-
künstlerin Anita Albus zelebriert einen Mummen-
schanz der Sonnenfalter und Mondmotten, in dem der
Buchenspinner die bizarrste aller einheimischen Raupen
scheint und vor der ersten Häutung wie eine zu lang
geratene Ameise aussieht. Alle Raupen fressen ihre ab-
gelegte Haut, Eichhornraupen die Beine der anderen.
Die Malerin und Schriftstellerin hebt die schönen,
monströsen Verwandlungskünstler vom Ei bis zum
Falter auf die große Bühne der augentäuschenden
Naturdarstellungen, ihr Schauspiel ist opulent, präzise,
fantastisch, kurzum eine Feier grotesker Wunder.
Anita Albus: »Sonnenfalter und Mondmotten«, S. Fischer Verlag, 240 S., 48 €
... eine Himmelsrichtung
Lange Zeit galt der Norden als Hort des Teufels, als
Region der Kälte und Dunkelheit, sonnenlos, lebens-
feindlich – bestenfalls eine mögliche Abkürzung nach
China. Eine Reise in die Heimat von Wal und Kabeljau
war so exotisch wie eine an die afrikanische Küste. Erst
mit den Romantikern verwandelte sich der Norden in
eine Wunschlandschaft – für Künstler wie Touristen.
Aus kritischer Distanz führt Bernd Brunner, Spezialist
für scheinbar abseitige Themen, durch die Kulturge-
schichte des Nordens, auch die der nordgermanischen
Traditionen und deren monströser Vereinnahmung.
Die moderne Sehnsucht nach unberührter Natur
offenbart sich im sentimentalen Verhältnis zum ein-
fachen Leben zwischen Geirangerfjord und Bullerbü,
zu Birkenwäldern, Granit und Falunrot. Um es mit
Rilke zu sagen: »Ich bin nordisch gestimmt.«
Bernd Brunner: »Die Erfindung des Nordens«, Galiani, 318 S., 24 €
... einen Esel
Eselsohren in Buchseiten sind das Origami der Intel-
lektuellen, schreibt Ernst Strouhal. Und druckt in sein
Buch gleich ganz viele Eselsohren. Es erzählt von seinem
Gespräch mit einem Esel, von dem wir – zumindest in
des Esels Augen – ein völlig falsches Bild haben. Strouhal
spricht mit dem Tier über Literatur, über Philosophie,
über gutes Essen und das Wesen des Menschen. Eigent-
lich aber geht es in Strouhals Buch um das Lesen. Und
um Bücher. »Es gibt Bücher, die überhaupt nicht zum
Lesen, sondern zum Blättern geschaffen wurden«, sagt
der Esel. Dieses Buch ist beides. Es ist ein Flickbuch,
ein Verwandlungsbuch: Wer darin blättert, dem zeigen
sich nur leere Seiten. Dann wieder bewegte Bilder, wie
bei einem Daumenkino. Jedes Blättern zeigt etwas
Neues. Dieses Buch zu lesen ist ein Abenteuer.
Ernst Strouhal: »Gespräch mit einem Esel – Vom Lesen mit dem Daumen«,
Brandstätter, 208 S., 45 €
... 50 Gedankenblitze
Der griechische Philosoph Empedokles tauchte vor
2500 Jahren einen Keramikbecher kopfüber ins Wasser,
um zu beweisen, dass Luft nicht nichts ist, sondern ein
Stoff mit Ausdehnung. Das Unverschämte daran war,
dass dieser Mann ein Experiment machte, um die Welt
zu verstehen, statt nur zu denken. Die experimentelle
Naturforschung war geboren. Es folgten: Archimedes,
Galilei, Newton, Curie, Tesla, Higgs. Der britische
Wissenschaftsjournalist Adam Hart-Davis erzählt die
Physikgeschichte in 50 Experimenten, bis hin zum
allergrößten: dem Teilchenbeschleuniger LHC. Es ist
eine Verbeugung vor denen, die sich das ausgedacht
haben – und ihrer Suche nach der Wahrheit.
Adam Hart-Davis: »Schrödingers Katze und 49 andere Experimente, die die
Physik revolutionierten«, Knesebeck, 208 S., 45 €