Handelsblatt - 17.02.2020

(Ann) #1
„Wir schätzen das Risiko
für die Bevölkerung in
Deutschland weiter als
niedrig ein.“
Lothar Wieler, Präsident des
Robert-Koch-Instituts, warnt nach dem
ersten Coronavirus-Toten in Europa vor
Panikmache.

„Wir sind dabei, ein
Kontinent zu werden, der
nicht an seine Zukunft
glaubt.“
Emmanuel Macron, Präsident von
Frankreich, über Zweifel in Europa am
Bündnis mit den USA

Stimmen weltweit


Die „Neue Zürcher Zeitung am Sonntag“
kommentiert den Auftritt von
US-Außenminister Mike Pompeo auf der
Münchner Sicherheitskonferenz:

I

ch freue mich, Ihnen mitteilen zu können,
dass der Tod des transatlantischen Bündnis-
ses massiv überbewertet wird. Der Westen
gewinnt, gemeinsam gewinnen wir.“ Die Worte
von US-Verteidigungsminister Mike Pompeo soll-
ten die verunsicherten Europäer an der Münch-
ner Sicherheitskonferenz wohl etwas beruhigen.
(...) Seit Donald Trump an der Macht ist, gilt nur
noch: „„America First!“ Der Westen als Werte-
und Verteidigungsunion droht zu zerfallen.
Trump lässt vor allem die Europäer fühlen, dass
er sie als Schmarotzer sieht, welche die USA aus-
nutzen. Dennoch waren die Worte von Pompeo
wohl keine Heuchelei. Im Konflikt mit China
scheinen die Europäer wieder wichtiger zu wer-
den für die Amerikaner. Und das ist eine gute
Nachricht. Denn die Europäer haben keine Alter-
native zum Westen. Sie sollten aber aufhören,
ständig über ihre eigene Schwäche zu jammern
und glücklichen vergangenen Zeiten nachzutrau-
ern. Die Welt braucht auch künftig ein starkes
Europa. Darauf sollten sich die Europäer konzen-
trieren.

Die Londoner Sonntagszeitung „The Observer“
kommentiert die Coronavirus-Krise:

E

s ist sicherlich kein Zufall, dass die beun-
ruhigendsten Pandemien (...) ihren
Ursprung in Asien und Afrika hatten. In
armen Ländern, die über eine unzureichende
Gesundheitsversorgung verfügen und die nur be-
grenzt in der Lage sind, neu auftretende Krank-
heiten zu überwachen und zu isolieren. Die
dortigen Krankenhäuser, medizinischen Labors
und Forschungszentren müssen schnell gestärkt
werden und sollten nun im Fokus großer Investi-
tionen des Westens stehen. Die Weltgesundheits-
organisation hat bereits viel getan, aber es ist
klar, dass noch mehr erreicht werden muss.
Denn offensichtlich hat die Welt noch immer
nicht voll und ganz verstanden, dass Ausbrüche
tödlicher neuer Krankheiten nicht das Problem
der anderen sind. Sie wirken sich unweigerlich
REUTERS, dpa, REUTERSauf das Leben auf dem ganzen Planeten aus.

Zur Münchner Sicherheitskonferenz heißt es in
der niederländischen Zeitung „de Volkskrant“:

A

uf der Konferenz in München sind nun
führende Politiker und Entscheidungsträ-
ger aus der ganzen Welt willkommen. Es
ist ein Haifischbecken. In dem schwimmen die
Europäer und fragen sich, ob sie vielleicht das
Fischfutter sind. (...) Während in München nur
rhetorische Raketen abgefeuert werden, sterben
in Idlib, im Jemen, in Libyen, in der Ukraine und
an vielen anderen Orten tatsächlich Menschen.
Es sind Konflikte, über die die Europäer keine
Kontrolle haben und bei denen Länder wie Russ-
land, der Iran und die Türkei die Situation vor
Ort mit harter Hand bestimmen. Aber diese Kon-
fliktregionen sind gerade noch weit genug ent-
fernt, um nicht in unser Leben einzudringen.
Dies gelingt nur Terroristen und Migranten, was
sie für viele EU-Bürger zum einzig konkreten in-
ternationalen Problem macht.

D

ie Gewaltenteilung ist eine dieser demokrati-
schen Errungenschaften, die Donald Trump
eher lästig sind. Eine Legislative, die sich per
Impeachment eines Präsidenten entledigen will, eine
Judikative, die es wagt, verdiente Mitarbeiter des Präsi-
denten abzustrafen – all das dürfte es in der Idealwelt
Donald Trumps eigentlich gar nicht geben.
Doch die Vereinigten Staaten sind ein ebenso ausge-
reifter wie robuster Rechtsstaat mit einer Verfassung,
auf die die Amerikaner zu Recht stolz sind. Und so ist es
kein Wunder, dass Trumps Wunschwelt und die verfas-
sungsrechtliche Realität zwangsläufig in Konflikt mitei-
nander geraten.
So wie jetzt im Fall um den Justizminister. William
Barr gilt als linientreu und ist bislang nicht durch rebel-
lische Züge aufgefallen. Aber dieses Mal hat der Präsi-
dent auch aus Sicht des Justizministers offenbar eine ro-
te Linie überschritten – und Barr sah sich tatsächlich ge-
nötigt, die Unabhängigkeit der Justiz zu verteidigen.
Trump möge sich nicht mehr über Twitter in laufende
Verfahren einmischen. Die ständigen Kommentare


machten es „unmöglich“, seinen Job zu machen, sagte
Barr.
Was war geschehen? Der Präsident hatte per
Tweet die Staatsanwaltschaft attackiert, die für den
langjährigen Trump-Vertrauten Roger Stone im Zusam-
menhang mit der Russlandaffäre eine Haftstrafe von
sieben bis neun Jahren beantragt hatte. Trump nannte
den Antrag einen „Justizirrtum“, den er nicht zulassen
könne.
Allein diese Bemerkung ist haarstäubend – und offen-
bart ein Rechtsverständnis des Präsidenten, das mit Hy-
bris viel, mit Respekt vor der dritten Gewalt im Staat
nichts zu tun hat. Noch kurioser: Der gleiche Minister,
der sich die Einmischung Trumps verbat, empfahl der
untergeordneten Staatsanwaltschaft wenige Stunden
nach Trumps Tweet tatsächlich ein deutlich milderes
Strafmaß. Trumps Drohungen hatten offenbar die ge-
wünschte Wirkung entfaltet.
Erst als die vier Ankläger, deren Rechtsstaat-Verständ-
nis noch intakt ist, wegen der politisch motivierten Ein-
mischung geschlossen von dem Fall abtraten, sah Barr
keinen anderen Weg, als sich zumindest ein Stück weit
von seinem Präsidenten zu distanzieren.
Doch auch das half nichts mehr, der Schaden war
längst angerichtet. Das Ergebnis: ein beschädigter Mi-
nister, ein weiterer Vertrauensverlust in den amerikani-
schen Rechtsstaat und ein Präsident, der sich mal wie-
der keinerlei Schuld bewusst ist. Im Gegenteil: Für ihn
gilt wie immer: Alles, was seiner Macht Grenzen setzt,
betrachtet Trump mindestens als illegitim, möglicher-
weise sogar als illegal.

US-Justizskandal


Trumps Hybris

Der Präsident attackiert die
Staatsanwaltschaft und zeigt
damit einmal mehr, dass er nichts
von unabhängiger Justiz hält,
sieht Jens Münchrath.

Der Autor leitet das Auslandsressort.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Wirtschaft & Politik


MONTAG, 17. FEBRUAR 2020, NR. 33
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