Handelsblatt - 17.02.2020

(Ann) #1
René Bender, Sönke Iwersen, Martin Murphy
Düsseldorf, Frankfurt

G


ut zwei Wochen bleiben den Anwäl-
ten von Rupert Stadler noch, um ihre
wichtigste Post zu bearbeiten: 429
Seiten, voll mit Interna und Vorwür-
fen zum Geschehen bei Audi, auf den
Weg gebracht am 30. Juli 2019 von der Staatsan-
waltschaft München II. Ursprünglich konnte Stad-
ler sich bis November dazu erklären, dank Fristver-
längerung kamen drei weitere Monate dazu.
Die Vorwürfe der Strafverfolger: Be-
trug, mittelbare Falschbeurkundung
sowie strafbare Werbung. Zwar soll
er Manipulationen an Dieselfahr-
zeugen weder veranlasst noch
jahrelang von ihnen gewusst
haben. Doch in der Aufklärung
des Skandals soll er versagt ha-
ben, sodass weiter manipulier-
te Autos verkauft wurden.
Geht es nach den Staatsan-
wälten, drohen Stadler damit
womöglich mehrere Jahre Haft.
Sie betonen, dass der Dieselskandal
nicht nur immense Schäden verur-
sacht hat, sondern auch zu einem Anse-
hensverlust der deutschen Autoindustrie und
damit des Wirtschaftsstandorts Deutschlands führte.
Angesichts dieser Dimension käme eine weitgehende
Ausschöpfung des Strafrahmens in Betracht, fassen
die Ermittler zusammen. Bei Betrug liegt er bei einer
Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, in besonders
schweren Fällen, etwa bei Vermögensverlusten gro-
ßen Ausmaßes bei bis zu zehn Jahren.
Viermal befragten die Staatsanwälte Stadler im
Sommer 2018, dann brach er die Vernehmungen
ab. Was Stadler bis dahin erklärt hatte, reichte ih-
nen nicht. Sie ermittelten weiter – und erhoben
schließlich Anklage gegen den Topmanager.
Ein Mammutprozess bahnt sich an. 64 JS
22724/19 lautet das Aktenzeichen für einen Fall,
der einmal Stoff für Klausuren von Jurastudenten
bieten könnte. Schon jetzt bietet er Lehrstoff für
angehende Ingenieure, Betriebswirte und Psycho-
logen. Technisches Unvermögen, Managementver-
sagen und Kontrollverlust haben in Deutschlands
größtem Autoskandal alle einen Platz. Lässt das
Landgericht das Verfahren zu, müsste sich der Ex-
Chef ab Herbst 2020 vor Gericht verantworten.
Es dürfte kaum ein Trost sein für Stadler, dass er
wahrscheinlich nicht allein auf der Anklagebank sä-
ße, ja nicht einmal als Hauptangeklagter. Drei wei-
tere Männer müssten sich dann in München wo-
möglich verantworten, denen die Staatsanwälte zu-
schreiben, die Manipulation veranlasst oder in
Gang gebracht zu haben. Zwischen ihnen und Stad-
ler liegen indes Welten, was Macht, Einfluss und
Vergütung betrifft.
Der Ex-Leiter der Audi-Motorenentwicklung,
Wolfgang Hatz, sowie die Ingenieure Giovanni Pa-
mio und Hans Lehmann* sollen sich laut Anklage
für einen Schaden von bis zu 3,3 Milliarden Euro
verantworten. Stadler für 27,5 Millionen Euro. Das
sind 0,8 Prozent des Schadens, der maximal unter
seiner Ägide entstand. Stadler wies sämtliche Vor-
würfe stets zurück, Hatz ebenso. Die Anwälte von
Pamio und Lehmann wollten sich auf Nachfrage
nicht zu der Anklage äußern.
Stadlers Glück, so ist der Anklage zu entnehmen,
ist seine Ahnungslosigkeit. Die Ermittler datieren den
Beginn des Skandals auf den 22. Januar 2008. „Ganz
ohne Bescheißen werden wir es nicht schaffen“,

schrieb damals ein Audi-Ingenieur an seine Kollegen.
In der Folge soll ein Gespann von Verschwörern eine
Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Die-
selmotoren installiert haben. So hielten die Autos bei
Tests der Behörden die Abgas-Grenzwerte ein, auf
der Straße weitgehend nicht. Weil Abschalteinrich-
tungen in den USA eindeutig illegal sind, hatten die
77 894 dort verkauften Audis laut Staatsanwaltschaft
nur Schrottwert. Auf dem US-Markt entstanden so
gut 97 Prozent des von den Ermittlern angenomme-
nen Schadens, für den die Beschuldigten geradeste-
hen sollen. Nur nicht Stadler.

Betrug billigend in Kauf genommen
Jahrelang wurden bei Audi Dieselmotoren manipu-
liert, jahrelang stießen die Autos das Vielfache der
erlaubten Abgase aus. Aber der Chef wusste davon
nichts – sagt der Chef. Die Ermittler fanden nichts,
was eindeutig das Gegenteil beweisen würde. Des-
halb werfen sie Stadler „nur“ vor, ab dem 24. Sep-
tember 2015 nicht mehr in dem Skandal getan zu
haben, als er eben tat. Es war laut Staatsanwalt-

schaft der Tag, ab dem Stadler positive Kenntnis
davon hatte, dass für den europäischen Markt Au-
di-Dieselmotoren von den Manipulationen betrof-
fen waren oder sein könnten. Doch Stadler, so der
Vorwurf, nahm die Täuschung der Käufer billigend
in Kauf und erlaubte den Weiterverkauf der
schmutzigen Dieselautos.
Die Staatsanwaltschaft präsentiert ihm dafür nun
die Rechnung. 120 398 Audis seien noch verkauft
worden, nachdem Stadler wusste, dass sie nicht
hätten verkauft werden dürfen. Audi musste sie
später zurückrufen und mit einem Softwareupdate
versehen. Die Kosten dafür betrugen 228,82 Euro
pro Auto; so kommen die 27,5 Millionen Euro zu-
stande, die in der Anklage stehen. Stadler bestrei-
tet freilich auch diesen 0,8-Prozent-Anteil an dem
Schaden, den sein Unternehmen im Dieselskandal
in Augen der Staatsanwälte verursachte.
Er hatte ganz andere Ziele. Im März wird Stadler
57 Jahre alt. Es galt lange als ausgemacht, dass er
einmal das größte Amt übernehmen würde, das
die deutsche Autobranche zu bieten hat. Er war

Stadlers


Scheinwelt


Wenige Manager stürzten so tief wie der Ex-Audi-Chef. Das


Handelsblatt hat die Anklageschrift gegen Rupert Stadler gelesen.


Viel zu lange habe er die Aufklärung verzögert, so der Vorwurf.


Ich löse das Problem


und führe das


Unternehmen in


die Zukunft.


Rupert Stadler
Ex-Audi-CEO, gut zwei Wochen
vor seiner Verhaftung

Rupert Stadler:
Als Audi-Chef soll
er den Dieselskandal
nur oberflächlich
aufgeklärt haben.

dpa

Unternehmen


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MONTAG, 17. FEBRUAR 2020, NR. 33
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