Handelsblatt - 17.02.2020

(Ann) #1

seit 1990 im Volkswagen-Konzern, als Ex-Büroleiter
von Patriarch Ferdinand Piëch galt Stadler als Ver-
trauter der Gesellschafterfamilien. 2007 übernahm
er die Nachfolge von Martin Winterkorn als Audi-
Chef, als dieser nach Wolfsburg berufen wurde.
Winterkorn war 68 Jahre alt, als 2015 die Dieselaffä-
re ausbrach. Stadler stand bereit.
Niemand hatte Zweifel an seiner Eignung. 2008,
im ersten Geschäftsjahr, das Stadler allein verant-
wortete, schloss Audi mit einem Rekordergebnis ab:
3,1 Milliarden Euro Gewinn. So ging es weiter. Audi
verkaufte immer mehr Autos, die Mitarbeiter
erhielten immer höhere Prämien, Stad-
ler wurde vielfacher Einkommens-
millionär und Aushängeschild der
deutschen Wirtschaft.
2010 und 2012 war er Unter-
nehmer des Jahres, 2011 CEO
des Jahres und Persönlichkeit
des Jahres, wurde 2013 als
„Influencer of the
Year“ vom Strategy Circle
der Autoindustrie ausgezeich-
net. Er war Ehrensenator der
Universität Erlangen, Honorar-
professor an der Universität St.
Gallen und Träger des Bayerischen
Verdienstordens. Drei Jahre bevor die
größte Krise seiner Firma ausbrach,
schrieb Stadler in einem Aufsatz: „Der ehrbare
Kaufmann muss in Wirtschaft und Gesellschaft wie-
der zum Leitbild für ein Miteinander im Zeichen von
Moral und Vertrauen werden.“
Dann, so werten es die Ermittler, versagte er.
Wenige Tage nachdem die US-Umweltbehörden
den Abgasbetrug beim Mutterkonzern VW öffent-
lich machten, gab es an die Führungsetage in Ingol-
stadt erste klare Hinweise, dass auch Audi betrof-
fen war. Stadler erteilte keinen Verkaufsstopp.
Im November erhärtete sich die Hinweislage. Ein
hochrangiger Ingenieur berichtete im Vorstand,
dass auch Audi bei Fahrzeugen in den USA eine Ab-
schalteinrichtung installiert habe. Vorherige inter-
ne Einschätzungen, man sei in den USA nicht von
Manipulationen betroffen, hätten sich als falsch er-
wiesen. Spätestens jetzt, so die Ermittler, hätte
Stadler untersuchen lassen müssen, wie die Lage in
Deutschland und Europa aussah.
Stadler blickte nur in Richtung US-Markt: „Liebe
Audianer, seit zwei Monaten vergeht kaum ein Tag
ohne Neuigkeiten zur Diesel-Thematik“ schrieb er
am 25. November 2015 an die Belegschaft. Er sei
mit Experten in die USA gereist, um den Behörden
den Sachverhalt zu erläutern. „Sie können sich da-
rauf verlassen, dass wir die Umstände vollständig
untersuchen und vollumfänglich aufklären“,
schrieb Stadler. „Das sind wir uns, das sind wir un-
serer Marke schuldig!“
Galt das nur für Käufer der Marke außerhalb
Europas? Stadler jedenfalls schrieb nichts von Pro-
blemen diesseits des Atlantiks und tat wohl auch
wenig, um sie zu finden, rügen die Staatsanwälte.
Und hatte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) anfangs
signalisiert, dass es die europäischen Audi-Motoren
für gesetzeskonform halte, stellte es ab Dezember
2015 skeptische Nachfragen. Am 25. Januar 2016
berichtete die Kanzlei Jones Day dem Vorstand, das
Rechtfertigungsmuster für gesetzeskonforme Ab-
gassysteme sei womöglich falsch.
Der Verkauf der Autos ging fast eineinhalb Jahre
weiter, als sei nichts gewesen. Dabei wurde im
März 2017 die Audi-Firmenzentrale durchsucht,
das KBA setzte den Konzern mit Nachfragen unter
Druck, und die Deutsche Umwelthilfe veröffent-


lichte auffällig erhöhte Emissionswerte von Audi-
Motoren. Am 13. Juni 2017 informierte der damali-
ge VW-Chef Matthias Müller dann Stadler darüber,
dass Ingenieure bei zwei Motorentypen von Audi
Abschalteinrichtungen gefunden hatten – eine
beim Audi A8, eine für den Porsche Cayenne, bei-
de für den europäischen Markt. Das KBA forderte
Audi zum Rückruf von 14 000 Fahrzeugen auf.

Ungenügende Bemühungen
Einen niedrigen Stellenwert habe Stadler der Bewäl-
tigung der Dieselkrise eingeräumt, resümiert
die Staatsanwaltschaft. Sie sei anfangs
nur oberflächlich, später punktuell
erfolgt – und bis Mitte 2017 im-
mer nur dann, wenn Audi von
außen dazu gedrängt wurde.
Der Konzern tat in den Au-
gen der Staatsanwälte nur so
viel wie unbedingt nötig. Als
etwa das KBA Nachfragen
zum Warmlaufbetrieb be-
stimmter Motoren stellte,
habe Audi nur diese Motoren
untersucht. Der Gedanke, pro-
aktiv auch andere Aggregatsys-
teme zu prüfen, sei der Führung
offenbar nie gekommen.
Stadler erklärte den Ermittlern, dass
er keine Kenntnis von den Manipulationen an
den Motoren für europäische Autos hatte. Vor Ja-
nuar 2016 habe es darauf keine Hinweise gege-
ben. Als die Manipulation an Audi-US-Motoren be-
kannt wurde, habe man eine Schnellprüfung für
Europa veranlasst und sich mit dem KBA ausge-
tauscht. Ihm sei signalisiert worden, dass die eu-
ropäischen Fahrzeuge nicht von Manipulationen
betroffen seien.
Die Staatsanwälte lassen das nicht gelten. Der
Einwand von Stadlers Verteidiger, selbst das KBA
habe bis Juni 2017 keine Abschalteinrichtungen an-
gemahnt, greife nicht. Im Gegenteil: Das Argument
sei geradezu absurd. Wer durch unzureichende
Aufklärung dafür sorge, dass das KBA nur Aus-
schnitte des Sachverhalts erhalte, könne sich spä-
ter nicht auf dessen Einschätzung berufen.
Folgt man den Staatsanwälten, nahm Stadler in
der Dieselkrise die Rolle des Geisterfahrers ein.
Erst bekam er anscheinend nichts vom massenhaf-
ten Betrug mit, der in seinem Unternehmen ge-
schah. Dann nahm er ihn offenbar nicht ernst.
„Mir ist um die Zukunft nicht bang“, sagte Stad-
ler, als Audi im März 2017 durchsucht wurde. Im

Dezember 2017 kündigte er an, die „Taskforce Die-
sel“ aufzulösen. Als „ äußeres Zeichen, dass wir all-
mählich vom Krisenmodus wieder auf den Regel-
betrieb umstellen können“.
Es sind Worte, die an Stadler hängen geblieben
sind. Die Kluft zwischen postuliertem Aufklärungs-
willen und tatsächlicher Aufklärung sei kaum zu er-
klären, sagen Ermittler. Mehrere der gewählten
Mittel seien schlicht ungeeignet gewesen. Die vom
Beschuldigten Stadler angestrengten Untersuchun-
gen seien ungenügend gewesen, steht in der Ankla-
ge. Die Ermittler äußerten deshalb Zweifel an der
Objektivität der internen Aufklärungseinheit.
Stadler selbst konnte dieses Misstrauen nie aus-
räumen. Im Dezember 2017 fabulierte er über ein
Ende der Dieselkrise, im Februar 2018 sagte er
dem Handelsblatt, er stelle sich der Verantwor-
tung. Vier Monate später sagte er der „Bayerischen
Rundschau“, nach Ende der Dieselkrise plane er
gemeinsam mit seiner Frau eine Wallfahrt nach
Santiago, um innere Ruhe zu finden. Vorher aber,
so Stadler, werde er für Audi einen Weg aus der
Krise finden: „Ich löse das Problem und führe das
Unternehmen in die Zukunft.“
Neun Tage später durchsuchten Fahnder Stadlers
Privatwohnung, eine Woche danach kam der Audi-
Chef in Untersuchungshaft. Die Ermittler hatten
Stadlers Telefon angezapft und ihn dabei erwischt,
wie er sich erst darüber beklagte, dass ein Audi-Mit-
arbeiter sich den Staatsanwälten geöffnet hatte –
und dann überlegte, wie er mit dem Mitarbeiter
umgehen solle. Eine mögliche Beurlaubung wurde
diskutiert. Die Ermittler sahen Gefahr im Verzug –
das Kaltstellen des Zeugen hätte als Signal für weite-
re gelten können. Stadler blieb wegen Verdunke-
lungsgefahr vier Monate in Untersuchungshaft.
Der Manager selbst betonte stets seine Unschuld.
Auf den Tisch gehauen habe er, um die Ingenieure
zum Reden zu bringen, sagte er. Doch die hätten
ihm nicht die Wahrheit gesagt. Ein Grund dafür
könnte auch in Stadlers Position liegen. Der Kon-
zern war auf Piëch und Winterkorn zugeschnitten.
Stadler war für diese eher ein Verwalter. Stadler ist
Finanzer, kein Techniker, begründeten Mitarbeiter
diese Sicht. Geschickt habe er sich mit der Familie
Porsche/Piëch verwoben. Ein wichtiger Informant
sei er, sagte ein Mitglied des Clans.
Diese Loyalität war ein Grund, warum er sich
trotz des Skandals im Amt halten konnte. Es heißt,
der frühere VW-Chef Matthias Müller hatte ihn
rauswerfen wollen, da Stadler mit der Aufklärungs-
arbeit im Verzug war. Das Veto aus der Familie ha-
be ihn gerettet – vorübergehend jedenfalls.
Als Stadler Ende Oktober 2018 wieder aus seiner
Zelle durfte, war er seinen Chefposten bei Audi
dann doch los. Seine Abfindung – angeblich 20 Mil-
lionen Euro schwer – liegt auf Eis. Seither hat sich
Stadler öffentlich rar gemacht.
Sein strafrechtliches Schicksal liegt nun in Hän-
den von Stefan Weickert. Auch für den Vorsitzen-
den Richter ist Stadler ein ungewöhnliches Gegen-
über. Bisher hatte Weickert über kleinere Fälle zu
urteilen, einen Koch, der im Drogenrausch seine
Freundin erstach etwa. Oder einen Drogendealer,
der bei einer Fahrzeugkontrolle einen Polizisten
anfuhr. Weickert wurde erst kürzlich auf die Stelle
befördert. Ursprünglich war Alexander Kalomiris
für das Verfahren vorgesehen. Doch Kalomiris wal-
tet jetzt am Bayerischen Obersten Landesgericht.
Für Weickert, ein Jahr jünger als Stadler, ist der Fall
der größte seiner Karriere. Und ganz gleich, wie es
ausgeht – für Stadlers ist es wohl das Ende.

*Name von der Redaktion geändert.

3,


MILLIARDEN
Euro berechneten die Ermittler als
maximalen Gesamtschaden, den
Audi-Manager verantworten sollen.

Quelle: Eigene Recherche

Justizvollzugsanstalt
Augsburg: 142 Tage
saß Rupert Stadler hier
in Untersuchungshaft.

dpa

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MONTAG, 17. FEBRUAR 2020, NR. 33
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