Handelsblatt - 17.02.2020

(Ann) #1
Georg Weishaupt München

E


in warmer Winter ohne
Schnee, stattdessen Re-
gen und Stürme. Das
sind eigentlich schlechte
Nachrichten für Annette
Roeckl. Denn dann lassen sich die
Handschuhe ihres gleichnamigen Fa-
milienunternehmens schlecht ver-
kaufen.
Dennoch gibt sich die geschäftsfüh-
rende Gesellschafterin beim Gespräch
in der Münchener Firmenzentrale in
einem Büroturm an der Isar vorsich-
tig optimistisch. „Wir stehen wieder
wirtschaftlich solide da“, sagt die
52-Jährige. Nach Krisenjahren eröff-
net sie wieder Läden, will in neue
Märkte expandieren und das Geschäft
mit Lederaccessoires ausbauen.
Roeckl hofft, dass sie so mit dem
180 Jahre alten Familienunterneh-
men im schwierigen Modegeschäft
überleben kann. Die Konkurrenz ist
groß, weil viele internationale Ketten
von H&M und Esprit bis Zara Hand-
schuhe und andere Accessoires ver-
kaufen – und das deutlich billiger als
der Münchener Handschuhspezialist.
„Wir haben inzwischen wieder
zwei Boutiquen eröffnet in Zürich
und in Wien und eine vierte in Mün-
chen“, sagt die zierliche Unterneh-
merin selbstbewusst. Insgesamt be-
treibt sie jetzt 14 Filialen, ein Outlet
und einen Onlineshop. „Das Geschäft
ist nach wie vor schwierig. Aber wir
haben jetzt eine gute Basis für die Zu-
kunft“, ist sie überzeugt.

Sanierung in Eigenregie
Vor knapp drei Jahren sah es nicht
danach aus, dass das Unternehmen,
das Roeckl in sechster Generation
führt, überleben würde. Nach drei
warmen Wintern war der Hand-
schuhhersteller am Ende. Die Unter-
nehmerin musste im April 2017 die
vorläufige Insolvenz in Eigenverwal-
tung anmelden
Bei der besonderen Form des Insol-
venzverfahrens übernimmt nicht ein
Insolvenzverwalter das Kommando.
Sondern das bisherige Management
versucht, sich in Eigenregie unter der
Beobachtung eines sogenannten amt-
lichen Sachwalters zu sanieren. Das
hatte für Roeckl den Vorteil, dass sie
Herrin im Traditionshaus blieb, aber
gleichzeitig ihre Kosten im Schutze
des Verfahrens schnell senken konn-
te. So trennte sie sich schnell von acht
unprofitablen Filialen.
Allerdings währte das Insolvenz-
verfahren nicht lange. Schon nach
sechs Wochen konnte sie es wieder
beenden. Anders als in vielen sol-
chen Fällen, in denen dann Private-
Equity-Firmen oder strategische In-
vestoren einsteigen, fand Roeckl
Rückhalt bei Verwandten. „Teile der
Familie haben sich damals als stille
Gesellschafter beteiligt“, ist die zierli-
che Frau noch heute froh. „Wir sind

deshalb weiter ein Familienunterneh-
men geblieben.
Aber es ging nicht ohne tiefe Ein-
schnitte. Annette Roeckl versammelte
das Management viele Monate lang oft
am Wochenende um sich – in dem
Hochhaus der Firmenzentrale an der
Isar mit dem weiten Blick bis in die Al-
pen. Es wurden nicht nur Boutiquen
geschlossen, sondern auch 35 Stellen
gestrichen, Arbeitsabläufe verbessert
und mit Lieferanten neue Konditio-
nen ausgehandelt. Es ging schließlich
darum, das 1839 gegründete Unter-
nehmen vor dem Aus zu retten.
Alles hatte mit einem kleinen
Handwerksbetrieb begonnen, den Ja-
kob Roeckl in München gründete.
Später entstanden eine Gerberei und
eine Färberei. Sohn Christian dachte
in großen Dimensionen und baute
am damaligen Stadtrand eine Fabrik
mit bis zu 1 000 Mitarbeitern. Roeckl
wurde Hoflieferant von Bayerns Kö-
nig Ludwig II. und der österrei-
chischen Kaiserin („Sissi“). Doch die

Konkurrenz aus Fernost und der
Wandel in der Modewelt ließen das
Unternehmen schrumpfen.
Annette Roeckls Begeisterung für
den Handschuhhersteller hielt sich
denn auch anfangs in Grenzen. Sie
weigerte sich lange Zeit, ins Unterneh-
men ihrer Eltern einzusteigen und
trug konsequent bis zu ihrem 20. Le-
bensjahr keine Handschuhe. Aber
dann, nach der Geburt ihres Sohnes,
machte sie eine Ausbildung im Betrieb
ihrer Eltern und entdeckte ihre Lei-
denschaft für das Metier. 2003 über-
nimmt sie als erste Frau den Chefpos-
ten. Der Vater übergibt ihr das Unter-
nehmen für Modehandschuhe. Vetter
Christian übernimmt die Firma Ro-
eckl Sporthandschuhe.
Annette Roeckl ist klar, dass sie die
Abhängigkeit vom Geschäft mit
Handschuhen verringern muss. „Aus
der Handschuhmarke Roeckl ma-
chen wir daher eine Marke für Acces-
soires“, sagte sie vor fünf Jahren im
Interview dem Handelsblatt.

„Es dauert aber länger, die Kompe-
tenz im Accessoire-Geschäft aufzu-
bauen, als wir gedacht haben“, räumt
sie heute ein. Doch sie gibt nicht auf,
wie in all den Jahren zuvor an der
Spitze des Unternehmens mit knapp
290 Mitarbeitern mit einem nicht ge-
nannten unteren zweistelligen Millio-
nen-Umsatz und „einem kleinen Ge-
winn“, wie sie es beschreibt.
Mitarbeiter beschreiben sie als „ei-
ne starke Persönlichkeit, die genau
weiß, was sie will“. Es sei ihr ganz
wichtig, mit Mitarbeitern vor Ort zu
sprechen. „Sie will wirklich wissen,
wo es Probleme gibt in den Filialen
und welche Produkte bei den Kun-
den ankommen“, sagt Regionalleite-
rin Candy Schmidt, die Annette
Roeckl schon seit vielen Jahren kennt.
So erfährt die Chefin auch, welche
Accessoires gut laufen. „Wir sind da-
bei, das Geschäft mit Geldbörsen und
Gürteln auszubauen.“ Da sieht sie die
Kompetenz des Unternehmens als
Lederspezialist. Zwar gibt es schon
lange keine Fertigung mehr in
Deutschland. Aber sie betreibt zwei
eigene Manufakturen für Handschu-
he und Ledertaschen in Rumänien.
Dieses besondere Know-how ihrer
Manufakturen will sie künftig auch
für andere Marken öffnen. „Da sehen
wir eine große Chance, denn es gibt
nicht mehr viele hochwertige Manu-
fakturen für Handschuhe in Europa.“
Außerdem will sie durch solche künf-
tigen Kooperationen auch von ande-
ren Unternehmen lernen.
Die Sanierungsleistung erkennen
Fachleute an. „Frau Roeckl hat das
Unternehmen und ihre Marke mit
sehr viel Engagement wiederbelebt“,
sagt Strategieberater Franz Maximili-
an Schmid-Preissler. Sie sei inzwi-
schen die einzige wirkliche Marke für
Handschuhe in Deutschland, wenn
nicht in Europa.

Expansion nach China
Das will Roeckl nutzen, um die In-
ternationalisierung der Marke vo-
ranzutreiben. Noch sind Deutsch-
land, Österreich und Russland die
wichtigsten Absatzmärkte. Doch sie
plant, im nächsten Jahr mit Part-
nern nach China zu expandieren.
Denn sie beobachtet bei chinesi-
schen Touristen, die nach Deutsch-
land kommen, ein Interesse für eu-
ropäische Handwerkskunst. Sie
hofft da auf die Zeit nach der Coro-
navirus-Epidemie.
Sie hat noch viel zu tun, um die Zu-
kunft ihres Unternehmens dauerhaft
zu sichern und ist froh, dass sie dabei
nicht allein ist. Auch ihr 30-jähriger
Sohn „hat Interesse am Unterneh-
men“, wie sie zufrieden feststellt. Es
könnte also sein, dass der 180 Jahre
alte Handschuh- und Accessoire-Her-
steller noch den Sprung in die siebte
Generation schafft.

Annette Roeckl


Neustart nach dem Absturz


Die 52-Jährige hat es mit ihrer Familie geschafft, den berühmten


Handschuhhersteller aus der Insolvenz zu retten. Jetzt will sie das Geschäft


mit Accessoires ausbauen und ins Ausland expandieren.


Annette Roeckl:
Leidenschaft für
Handschuhe und
Taschen.

Roeckl Handschuhe & Accessoires GmbH & Co. KG

Annette


Roeckl hat


das


Unterneh–


men und die


Marke mit


sehr viel


Engagement


wiederbelebt.


Franz Maximilian
Schmid-Preissler
Strategieberater

Familienunternehmen


des Tages


MONTAG, 17. FEBRUAR 2020, NR. 33
44
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