Handelsblatt - 17.02.2020

(Ann) #1
Umso mehr Visionen hat Klock für
Atornix. Mit zunehmender Fallzahl
und wachsendem Datenschatz könne
das Geschäft immer weiter wachsen.
Die Rechtsberatung werde effizienter


  • damit lohnen sich für die Anwälte
    mehr Fälle, die in kürzerer Zeit bear-
    beitet werden können.
    Zudem sollen schrittweise weitere
    Rechtsgebiete dazukommen – zu-
    nächst die Mediation, also außerge-
    richtliche Einigung. Danach will
    Klock den Einstieg in die Prozessfi-
    nanzierung angehen – ähnlich wie es
    etwa die auf Fluggastrechte speziali-
    sierten Legal-Tech-Anbieter tun. Die
    neuen Geschäfte sollen das Funda-
    ment legen für eine weitere Finanzie-
    rungsrunde, über die Atornix weiter
    wachsen soll – etwa mit Geld von Ver-
    sicherern oder Digitalunternehmen.
    Christoph Kapalschinski


Atornix [M]

Marco Klock


Anwalts


neuer


Liebling


Der Bremer digitalisiert das


Verbraucherrecht mit einem


einmaligen Modell.


E

s sind unspektakuläre Fälle,
die den deutschen Rechtsan-
wälten insgesamt zu geschätz-
ten sieben Milliarden Euro Umsatz
verhelfen: Im Verbraucherrecht strei-
ten Kunden mit Unternehmen, der
Sparkasse oder dem Jobcenter. Das
Bremer Start-up Atornix will von die-
sem Markt ein Stück abbekommen –
und könnte dafür sorgen, dass künf-
tig noch mehr Menschen klagen. „Je-
dermann soll Zugang zum Recht be-
kommen“, sagt Gründer Marco Klock
plakativ. Mit einem ungewöhnlichen
Business-Modell will er künftig weite-
re Investoren überzeugen.
Sein Unternehmen Atornix dient
als Plattform zwischen potenziellem
Kläger und dem Anwalt. Das Beson-
dere an dem Modell: Atornix wächst
in Symbiose mit einer eigens einge-
richteten Großkanzlei für Verbrau-
cherrecht. Beide Teile sind zwar
rechtlich eigenständig, kooperieren
aber eng. Atornix sammelt die Klien-
ten ein, die Kanzlei gewährleistet die
zügige Bearbeitung. „Im Verbrau-
cherbereich ist das Modell ‚Kanzlei
mit angeschlossenem Legal-Tech-
Start-up‘ ein Exot“, sagt Dirk Har-
tung, Professor an der Hamburger
Bucerius Law School und Experte für
Legal Tech. Das Modell sei bisher
eher bei digitalen Rechtsdienstleis-
tungen für Unternehmen bekannt,
etwa in den USA mit den B2B-Legal-
Techs Cantilever und SixFity. Schließ-
lich fallen in solchen Wirtschaftsver-
fahren deutlich höhere Honorare an
als bei Verbraucherklagen.


Start mit Hartz-IV-Klagen


Entwickelt hat Klock sein auf Ver-
braucher gerichtetes Modell zunächst
mit Hartz-IV-Klagen. Auf sein inzwi-
schen bei Atornix integriertes Portal
Hartz4Widerspruch.de stoßen Men-
schen über Google-Werbung. Sie kön-
nen dort Daten zu ihrem Fall einge-
ben. Die Software ermittelt anhand
der Kerndaten, wie aussichtsreich
der Fall ist, und vermittelt die Klien-
ten bundesweit an ausgewählte An-
wälte. Bei Standardverfahren ist das
Risiko recht gering. Gewinnt der
Hartz-IV-Bezieher das Verfahren,
zahlt das Jobcenter die Prozesskos-
ten, verliert er, bekommt der Anwalt
Geld von der Prozesskostenhilfe – et-
wa 135 bis 150 Euro je Verfahren. Bei
diesen geringen Summen müsse der
Anwalt sehr effizient arbeiten, sagt
Klock. Dazu sollen die Daten aus
50 000 durchgeführten eigenen Ver-
fahren helfen, die Rechtsberatung
teilautomatisiert ermöglichen sollen.
Ähnlich geht Atornix seit 2018 auch
in anderen Rechtsfeldern wie dem
Verkehrsrecht, Arbeitsrecht und im
VW-Dieselskandal vor. Auch hier
sammelt Atornix Klagewillige über ei-
ne „kostenlose Erstberatung“ im In-
ternet ein. Dafür ist Klock eine Ver-


bindung mit zwei befreundeten An-
wälten eingegangen: Eine Etage über
den Bremer Atornix-Büros haben sie
die Kanzlei Rightmart eingerichtet. 15
Rechtsanwälte und weitere Mitarbei-
ter kümmern sich um die Fälle, die
Atornix hereinholt. Dafür nutzt die
Kanzlei auch Software, die Atornix
bereitstellt, und zahlt dafür Gebüh-
ren. Rechtsbearbeitung soll damit
wie am Fließband möglich werden.
Die Kanzlei Rightmart sei „über-
zeugend und sehr solide“ um das di-
gitale Geschäft herumgebaut worden,
sagt Experte Hartung. „Insbesondere
das Monetarisierungsmodell im Sozi-
alrecht hat mich überzeugt“, sagt der
Professor.
Atornix beschäftigt 23 Mitarbeiter
und erzielt laut Klock einen Umsatz
in Höhe eines niedrigen einstelligen
Millionenbetrags. Der Umsatz der
Kanzlei Rightmart liege allerdings
drüber. Zudem reicht Rightmart Fälle
an Partneranwälte weiter. „Für An-
wälte entsteht ein neues Legal-Tech-
Berufsbild, das interessanter ist, als
es auf den ersten Blick scheint“, sagt
Klock. Bislang sei es jedenfalls kein
Problem, Berufsträger zu finden.
Die Doppelstruktur ergibt für den
32-jährigen Klock aus mehreren
Gründen Sinn. So kann Atornix an-
ders als eine Kanzlei bei Investoren
problemlos Geld einsammeln. Schon
das Startkapital in Höhe von
400 000 Euro kam aus einem
Crowdfunding auf der Plattform
Seedmatch. Im vergangenen Oktober
stieg zudem die Rechtsschutzversi-
cherung Auxilia in einer Series-A-Fi-
nanzierung ein. Das sei ein wichtiger
Baustein der Digitalisierungsstrate-
gie, teilte die Versicherung damals
mit. Sie will ihre Kunden an das Por-
tal verweisen. Und Klock will sich so
als Partner der Versicherungswirt-
schaft positionieren, der hilft, Kosten
zu senken.
Weil Atornix keine Kanzlei ist,
kann Klock das Unternehmen füh-
ren, obwohl er kein Volljurist ist.
Statt die langjährige Ausbildung zu
Ende zu führen, hat er sich früh
selbstständig gemacht – zunächst
mit einer Art Zeitarbeitsfirma für ju-
ristische Helfer, etwa Studentenjobs
in Kanzleien. Wegen fehlender „Vi-
sion am Markt“ hat dieses erstes
Unternehmen Edicted allerdings
Ende vergangenen Jahres den Be-
trieb eingestellt.

Für Anwälte


entsteht ein


neues


Berufsbild,


das


interessanter


ist, als es auf


den ersten


Blick scheint.


Marco Klock
Atornix-Gründer
Marco Klock: Geschäfts-
modell teilautomatisierte
Rechtsberatung.

 


 
  


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Familienunternehmen des Tages


MONTAG, 17. FEBRUAR 2020, NR. 33
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