Der Standard - 17.02.2020

(Nancy Kaufman) #1

2 |MONTAG,17.FEBRUAR2020DThema ERSTANDARD


SandraJoyce,Expertin für
Cybersicherheit, beobachtet
mehr Angriffe in Europa und
zeigt BedenkengegenHuawei
hinsichtlich des 5G-Ausbaus.

INTERVIEW:Anna Giulia Fink

„GrößteSorge wegen


Russland undChina“


A


uch bei der 56. Ausgabe der Münchner Sicher-
heitskonferenz zog sich ein Thema durch das
Programm: die Bedrohung durch geopolitisch
motivierte Cyberattacken. Welche Länder beliebte
Ziele sind und wo die wichtigsten Akteure sitzen,
führt die US-Expertin Sandra Joyce aus.


STANDARD:DieUS-Vertretung warnte in München ve-
hement davor, beim 5G-Aufbau auf das chinesische
Tech-Unternehmen Huawei zu setzen. Welche Bedro-
hung sehen Sie? Wie sehr geht es auch um Wettbewerb?
Joyce:Es steht außer Zweifel, dass China Telekommu-
nikationsnetzwerke für nachrichtendienstliche Spio-
nage nützen kann und will. Das zeigen auch gehäuf-
ten Angriffe der(dem chinesischen Staat zugeschrie-
benen, Anm.)APT41-Gruppe. Es geht aber generell da-
rum, wem man anvertraut, eine Infrastruktur aufzu-
bauen, auf die sich die zukünftige Gesellschaft stützt.


STANDARD:Allerdings haben auch die Geheimdienste
der USA und Deutschlands jahrzehntelang via Ver-
schlüsselungsgeräte des Schweizer Crypto-Unterneh-
mens weltweit Freund und Feind bespitzelt.
Joyce:Wir alle akzeptieren eine gewisse normale ge-
heimdienstliche Tätigkeit, die jeder verantwortliche
Staat der Welt betreibt. Aber das heißt nicht, dass man
offene Überwachung einfach so zulassen kann. Hier
geht es auch um Grundwerte: Welche Vision verfolgt
die autokratische Regierung in Peking, und wie passt
diese zu den Werten demokratischer Gesellschaften?


STANDARD:Wo verzeichnen Sie die meisten Angriffe?
Joyce:Generell sehen wir eine anhaltende Welle von
Cyberspionage, finanziell motivierter Cyberkriminali-
tät und Manipulation in sozialen Netzwerken. Für Re-
gierungen geht unseren Beobachtungen zufolge die
größte Sorge von Russland und China aus. Die russi-
sche Gruppe APT28 greift immer wieder Ziele in den
USA an, aber auch in Deutschland. Sie waren etwa in-
volviert in die US-Präsidentschaftswahlen 2016. Eine
Gruppe aus China nimmt Regierungen und Unterneh-


men aus Europa, Asien und den USA ins Visier, die
verbunden sind mit Pekings Projekten wie der „Neu-
en Seidenstraße“. Wir sehen mehr Aktivität in Euro-
pa. In Deutschland gab es Fälle von gefälschten Regie-
rungsdokumenten, auf die geklickt werden sollte. Er-
pressungssoftware ist inzwischen hochkomplex ge-
worden.DielängsteZeitversuchtemanaufrechtsimp-
le Weise willkürlichsoviel Schadsoftware wie mög-
lich in Umlaufzubringen. Heute wirdgezielter vorge-
gangen. Akteure suchen lange nach sensiblen Informa-
tionen, die großen Schaden anrichten können, und
verlangen dann wesentlich mehr Geld. Beim jüngsten
Fall in Frankreich wurden 350.000 Euro verlangt.


STANDARD:In den USA warnt das FBI weiterhin vor
Schwächen des US-Wahlsystems. Zu Recht?
Joyce:Wir beobachten Zugriffe auf Wahlmaschinen,
wobei sie sich bislang auf das Scannen von Schwach-
stellen beschränken. Manipulationen, die Ergebnisse
beeinflussen, haben wir noch keine identifiziert. Wir
sehen Angriffe auf Wahlkampagnen und Versuche der
Wählerbeeinflussung. Auf sozialen Netzwerken wer-
den –zunehmend von iranischen Akteuren–gefälsch-
te Webseiten von Kandidaten erstellt, um mit den
Wählern zu interagieren. Leserbriefe von angeblich
besorgten Bürgern werden an Zeitungen geschickt.
WirtrainiereninzwischenMedienvertreter,umsiefür
solche Fallen zu sensibilisieren. Und die US-Behör-
den reagieren mit Kampagnen dagegen.


STANDARD:Wie sehr verlagert sich der US-russische
Cyberkrieg auf kritische Infrastruktur?
Joyce:Große Sorgen macht uns die aus Russland stam-
mende Triton-Schadsoftware, die die Sicherheit von
Industriekontrollsystemen attackiert. Die Vorstel-
lung, dass ein Staat eine Software finanziert, die Zivi-
listen enormen Schaden zufügen soll, ist verstörend.


SANDRA JOYCEist Senior Vice President und Leiterin der Abtei-
lung der globalen nachrichtendienstlichen Operationen beim
Cybersicherheitsspezialisten Fire Eye. Das in Kalifornien ansäs-
sige Unternehmen bietet weltweit Netzwerksicherheitssoftware
und -dienstleistungen an. Joyce diente in der Air Force Reserve.


DieVorstellung, dass ein Staat
eine Softwarefinanziert, die Zivilisten
enormen Schaden zufügen soll,
istverstörend.



Schlagabtausch der

Großmächte in München

US-Vertreter nützten ihreAuftritte bei der Münchner Sicherheitskonferenz
fürverbaleAttacken auf China.Frankreichs Präsident
Emmanuel Macronverschrieb demWesten mehr Antikörper.

Anna Giulia Fink aus München

te Macron: Technisch und rechtlich
könne man hier noch nicht schnell
genug reagieren.
In diesem Punkt gestand Face-
book-Gründer Mark Zuckerberg ein,
dass sein Unternehmen im Jahr
2016 –nach dem Brexit und der US-
Präsidentschaftswahl–nur langsam
das Ausmaß der Bedrohung verstan-
den habe, die vorwiegend Russland
und der Iran darstellten. Seither
nehme sein Unternehmen aber jähr-
lich Milliarden in die Hand, um
gegen Propagandakampagnen und
die versuchte Manipulation von
Wahlen vorzugehen. So würden
mittels künstlicher Intelligenz heu-
te pro Tag eine Million gefälschte
Accounts erkannt und gelöscht,
auch Hassreden würden schneller
identifiziert werden. Das Thema
Hass im Netz stand ebenso im Zen-
trum des Treffens zwischen Zucker-
berg und Kurz. Der Kanzler sprach
dabei auch an, „dass Internetgigan-
ten in Europa einen fairen steuerli-
chen Beitrag leisten müssen“.

Krisen in Syrien und Libyen
Der russische Außenminister Ser-
gej Lawrow sprach seinerseits von
einer „Vertrauenskrise“ zwischen
Russland und dem Westen. Die Be-
ziehung zur Türkei sei hingegen
trotz der zunehmenden Spannun-
gen in Syrien „sehr gut“. Er kündig-
te gemeinsame mit seinem türki-
schen Kollegen Mevlüt Çavuþoðlu
an, Anfang kommender Woche in
Moskau über die Lage in der um-
kämpften Provinz Idlib zu beraten.
Am Montag soll auch in den Libyen-
Konflikt Bewegung kommen. Der
deutsche Außenminister Heiko
Maas kündigte nach einem Folge-
treffen der Berliner Libyen-Konfe-
renz in München an, bei den Bera-
tungen mit seinen EU-Kolleginnen
und -kollegen einen Beschluss über
deren Beitrag zur Überwachung
des Waffenembargos anzustreben.
Wichtig sei die Kontrolle aller Wege
der Waffenlieferungen zu Luft, Was-
ser und Land. KommentarSeite 20

U


S-Außenminister Mike Pom-
peo lieferte das Gegenmotto
zum Motto: Als der Amerika-
ner am Samstag bei der unter dem
Leitmotiv „Westlosigkeit“ stehen-
den Münchner Sicherheitskonfe-
renz sprach, wiederholte er gleich
mehrmals: „Der Westen gewinnt –
und das gemeinsam.“ Vom „Tod des
transatlantischen Bündnisses“ zu
sprechen sei „eine große Übertrei-
bung“. Pompeo wies indirekt den
Vorwurf des deutschen Bundesprä-
sidenten Frank-Walter Steinmeier
zurück, wonach neben Russland
und China auch die USA die inter-
nationale Weltordnung durch ihre
nationalen Alleingänge gefährden.
Womiterauchschonbeimwichtigs-
ten Thema seiner Rede war: China.
Pompeo warnte ganz generell vor
einer „immer aggressiveren Kom-
munistischenPartei“.Undganzspe-
ziell schoss er sich auf das chinesi-
sche Tech-Unternehmen Huawei
ein, das er als „trojanisches Pferd für
den chinesischen Nachrichten-
dienst“ bezeichnete. Wie tags zuvor
schon die demokratische Senatorin
Nancy Pelosi und wie auch nach
ihm Verteidigungsminister Mark
Esper beschrieb Pompeo die Regie-
rung in Peking als die momentan
größte Bedrohung für den Westen.
Chinas Außenminister Wang
wies die Anschuldigungen als
„Schmierkampagne“ und „Lügen“
zurück. Österreichs Kanzler Sebas-
tian Kurz befand, dass sich die Welt
an China in manchen Belangen gar
ein Beispiel nehmen könne: Etwa
dass in der Stadt Wuhan wegen des
Covid-19-Virus in nur zehn Tagen
ein Krankenhaus gebaut worden sei.
Der Westen müsse seine wirt-
schaftspolitische Effizienz verbes-
sern, sagte Sebastian Kurz am Frei-
tag. Dann würden auch mehr Men-
schen auf der Welt „uns nacheifern
wollen“. Anschließend geriet Kurz
mit dem kanadischen Ministerprä-
sidenten in Fragen der Migration
über Kreuz. Dass Kurz sein Land da-
für gelobt hatte, weil es gezielt gut

ausgebildete Einwanderer anziehe,
während Österreich Probleme mit
schlecht ausgebildeten Syrern und
Irakern aufweise, wollte Justin Tru-
deau so nicht stehen lassen: Nicht
die Ausbildung der Migrantinnen
und Migranten sei ausschlagge-
bend, sondern dass man in ihre In-
tegration investiere. Auch Kurz’
Hinweis auf die hohe Zahl an
Flüchtlingen wollte Trudeau mit
Blick auf jene in Jordanien, im Liba-
non und in der Türkei nicht gelten
lassen.

Macron’scher Appell
Frankreichs Präsident Emmanuel
Macron beschrieb den Westen am
Samstag als „geschwächt“. Er wie-
derholte seinen Appell, dass Europa
eine gemeinsame Strategie brauche,
um sich als einheitlicher, souverän
auftretender Machtblock in der Si-
cherheitspolitik, aber auch im tech-
nischenBereich,beimKlima,inFra-
gen der Ernährung und Migration
positionieren zu können. Er führte
einmal mehr aus, warum Europa in
Fragen der Verteidigung enger zu-
sammenrücken müsse. Wobei er
präzisierte, dass dies nicht als Alter-
native zur Nato, sondern zusätzlich
stattfinden müsse. Die Deutschen
rief er auf, eine Diskussion über
Atomwaffeneinzuleiten.Ihmseibe-
wusst, dass dieses Thema aufgrund
der ablehnenden Haltung nicht ein-
fach zu führen sei. Sie sei aber gera-
de in Deutschland notwendig. Letzt-
lich stehe das Land ja auch unter
einem Atomschirm–nur eben unter
jenem der Amerikaner.
Auch für einen Dialog mit Russ-
land sprach sich der Franzose er-
neut aus. Dieser dürfe nicht naiv
ausfallen. Die derzeitige EU-Blocka-
depolitik gegenüber Moskau be-
zeichnete er als ineffizient: „So las-
sen wir zu, dass die Russen immer
stärker auftreten, in der Ukraine
oder in Syrien.“ Auch bei seinen
Cyberaktivitäten gehe Moskau sehr
aggressiv vor. Hier habe Europa
„keine Antikörper entwickelt“, sag-

Zur Münchner Sicherheitskonferenz kommen Politikerinnen und Politiker aus der ganzen Welt zusammen,
um Herausforderungen zu diskutieren. US-Außenminister Mike Pompeo wies Kritik an den USA zurück.

Foto: EPA

/Philipp Guealland

THEMA:MünchnerSicherheitskonferenz


Foto: Fire Eye
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