Berliner Zeitung·Nummer 67·Donnerstag, 19. März 2020–Seite 11*
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Berlin
Hilfe:WiesichdieBerlinerinZeitenderPandemieunterstützenSeite 12
Hoffnung:WieeinMittelständlerdieKrisemitKurzarbeitüberbrückenwillSeite 14
Stumm
geschaltet
E
sistdunkel,einkleinesWesen
steht am Bett, es hat seine
Plüschkatzedabei: „Mama,heute
Kitazu?“
Dasfragt die Dreijährige jeden
Tag.Meistensantworteich:Nein,die
Kita hat auf.Heute sage ich:„Ja, die
Kitaistzu,morgenundübermorgen
auch.“InlängerenZeiträumenkann
die Dreijährige nicht denken.Nie-
mandkanngeradeinlängerenZeit-
räumen denken. FünfWochen soll
dieKitageschlossenbleiben!So viel
Zeithabenwirnochnieaufneunzig
Quadratmeternverbracht. „Wann
gehenwirzuJustusundLene“,fragt
der Fünfjährigeverschlafen.Justus
und Lene sind dieNachbarskinder,
stehenabernichtumhalbsechsauf.
DieKinder frühstücken, ziehen
sich an, putzen sich die Zähne.Ich
spielemitmeinemSohneine Runde
MalefizundschaueaufdieUhr:Vier-
telnachsieben,noch13Stundenbis
zur Schlafenszeit. Mein Mann
kommtmitTomatenundMilchvom
Supermarkt, Gemüse und Fleisch
gab es nicht.Er setzt sich an seinen
Arbeitsplatz, der einmal unser Ess-
tischwarundaufdemsichLegound
Ausmalbücherstapeln.EristGrafik-
designer und hat dreiBildschirme
vorsichaufgebaut.
Punkt neun stehen Justus und
Lene vorderTür ,umunsereKinder
abzuholen.Wirteilen uns dieTage
mit derNachbarin auf.Vormittags
kümmertsie sich, nachmittags
nehme ich die vierKinder,und sie
kannetwasarbeiten.ZumGlückha-
benwireinenGartenhintermHaus.
Ichsitzeaufdem Sofa,fahr emei-
nen Computer hoch, durch die ge-
schlossene Tür höreich, wie mein
Mann den Bildschirmanschreit.
Homeoffice sei einPrivileg, das sa-
genviele,vorallemKinderlose.Aber
recherchieren, schreiben, lesen, An-
rufetätigen,nachdenkenundkleine
Kinderbetreuen–daspasstnichtzu-
sammen.Undweder das eine noch
das andererichtig machen zu kön-
nen, er zeugt eine innereSpannung.
Ichkenne das schon,vondiesem
langenWinter,ind emdie Kinderoft
krankundzuHausewaren,während
ichversuchte,KolumnenundLeitar-
tikelzu verfassen.
UmzwölfholeichdieKindervon
der Nachbarin ab.Mittagszeit. Es
gibt Rührei. „Bäh“, sagt meinSohn
und rennt zu meinemMann, der in
einer Videokonferenz steckt.Mein
Sohn will wissen, was seinPapa
macht undwerdiese Menschen auf
seinemBildschirmsind. Ichtrage
ihnzurückindieKüche.Spätergibt
esbeiunseineTelefonkonferenz.Ich
setzedie Kinder vorden Fernseher.
Siegucken „Beat-Bugs“, eineSerie
mit singenden Käfern. Ichwähle
michindieLeitungein.„IchwillPaw
Patrol“, ruft meineTochter.Mein
Mannsagt:„DieInternetverbindung
istMist.“Ichversuche,michaufdie
Konferenzzukonzentrieren.„Nein“,
schreit meinSohn. Er boxt seiner
SchwesterinSeite.Sieweint.
„Sie wurden stumm geschaltet“,
sagt eineweibliche Stimme in der
Leitung.Dann bricht dasInternet
zusammen.
MorgenimHomeoffice:Christine Dankbar
überdie Einsamkeit in ihremHausinS teglitz, in
dem nunauch nochQuarantäne herrscht.
Homeoffice
SabineRennefanznimmt
an einerTelefonkonferenz
teil, während im Kinderfern-
sehen Käfer singen.
Kreditealleinereichennicht
FirmenundBeschäftigtensollschnellgeholfenwerden.IHKfordertSofortunterstützungstattneuerSchulden
VonAnnika Leister und Elmar Schütze
I
mmer mehr Unternehmen
stehen wegen der rigiden
Schließungen zur Bekämp-
fungdesCoronavirus vordem
wirtschaftlichenAus. Landes- und
Bundespolitiklegenderzeitzahlrei-
cheHilfenauf –Verbändeaberkriti-
sieren: Dasreichtnochlangenicht.
DerBerliner Senat gab amMitt-
wochabend bekannt, ab Donners-
tag Liquiditätshilfen für kleine und
mittlereUnternehmen bis 250Mit-
arbeiter anzubieten. Bundesar-
beitsministerHubertus Heil (SPD)
kündigte außerdem an, neueGe-
setzeerlassenzuwollen,die„unver-
hältnismäßige Lohneinbrüche“ bei
einem Arbeitsausfall wegen not-
wendigerKinderbetreuungvermei-
den sollen.Auch Lohnlücken beim
KurzarbeitergeldwilldieBundesre-
gierungabfedern.
Beim Kurzarbeitergeld habe die
Bundesagentur für Arbeit einen
Puffer von26M illiardenEuro,so
Heil.Zielseies ,Firmenzuerhalten
und Entlassungen zuverhindern.
Auch Lohnausfälle durchKurzar-
beitergeld,beidem60oder67Pro-
zentdes Netto-Einkommensausge-
zahlt werden, sollen möglichst ge-
ring gehaltenwerden, „umKauf-
kraft zu sichern, gerade auch bei
Einkommensschwachen“,soHeil.
Kurzarbeit beantragen Arbeitge-
ber für ihreArbeitnehmer.Wird
Kurzarbeit gewährt–wofür der
Bund nun dieZugänge erleichtert
hat–zahlenweiterhindieArbeitge-
ber dasGehalt und bekommen es
vomAmtzurückerstattet.Arbeitge-
ber könnten „durchaus auch mehr
zahlen“ als die bisher geltenden
Sätzefür Kurzarbeit, sagte Arbeits-
ministerHeil am Mittwoch .Politik
und Wirtschaft würden sich dazu
nunberaten.
Beiden Unternehmernist ans
„mehrZahlen“ohnepolitischeUn-
terstütz ungd erzeit nicht zu den-
ken. Siebangen um ihreExistenz.
Undüben seit Mittwoch scharfe
Kritik an demBerliner Senat: Der
tuezuw enig, zu langsam.In ande-
Nicht nur dasPartyleben ist in Berlin zum Erliegen gekommen. DPA
„Bei uns herrscht die blanke Angst.“
Thomas Lengfelder,Hauptgeschäftsführer des DehogaBerlin
„DerAnsturmaufdie Systemeisteinbisschen
heftig, aber zu bewältigen.“
HolgerWenk,Sprecher der Regionaldirektion
„Die BerlinerWirtschaft
braucht auch eineBazooka“
Beatrice Kramm,Präsidentin der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin
renBundesländerngebe es schon
Notfallfonds,aus denenUnterneh-
merschnellundunbürokratischab-
gesichertwürden. Bayern zum Bei-
spielwilldieSchuldenbremseaußer
Kraft setzen und stellt einSonder-
vermögenvonzehnMilliarden Euro
zur Absicherung derWirtschaft be-
reit,inklusiveeinesHärtefallfonds.
DerHotel- undGaststättenver-
band Dehoga fordertSoforthilfen,
mindestens nach demVorbild Bay-
erns .Auch müsse schnellstmöglich
geklärtwerden, obMietbürgschaf-
ten vomBund odervomLand ge-
währtwürden. „Die Lage ist kata-
strophal“,sagteThomasLengfelder,
Hauptgeschäftsführer desDehoga
Berlin, dieserZeitung. Es brauche
einen Hilfsfonds–sofort. „Bei uns
herrschtdieblankeAngst.“
Am Sonnabend mussten Knei-
pen undBars schließen, seitMitt-
woch dürfen auchRestaurants nur
nochvon6bis18 Uhröffnen.Viele
Besitzer wüssten schon jetzt nicht,
wie sie ihreAngestellten bezahlen
sollten. Vorallem in derGastrono-
mie sei das Angebot zurKurzarbeit
für viele nutzlos:EinGroßteil der
Besitzer sei dabei auf dieHilfe von
Steuerbü rosangewiesen–die aber
seienzurzeitheillosüberlaufen.Bis
der Antrag durch sei, seien dieBe-
triebe pleite.„Es muss jetzt gesagt
werden:Wann fließtGeld? Undwie
viel?“,soLengfelder.Zuletzthatdie
Branche lautDehoga 13Milliarden
Euro erwi rtschaftet, 2,5Milliarden
Euro Steuer nabgeführtund 90 000
sozialversicherungspflichtige Mit-
arbeiterin Berlinversorgt.
„Die BerlinerWirtschaft braucht
auch eineBazooka“, forderteBea-
triceKramm,PräsidentinderIndus-
trie- und Handelskammer (IHK)
Berlin –inA nlehnung an einZitat
vonBundesfinanzminister Olaf
Scholz. Kramm will ganz konkret
Geldfür kleine und mittlereUnter-
nehmen sowie für Freiberufler,
schnellundunbürokratisch.Keinen
Kredit –sonderneine nicht rück-
zahlbareSofortunterstützung.
Darüber,wie groß dieser Topf
sein sollte undwelche Unterneh-
menprofitierensollten,müssenoch
geredetwerden,heißt es vonder
IHK. DenHärte fallfonds inBayern
siehtdieIHKkritisch.Erseizuklein
geraten –einUnternehme nmitfünf
Beschäftigtenkönnedort5000Euro
erhalten, maximal würden 30 000
Euroausg eschüttet.
Bundesweitgibtesbereitseinen
AnsturmvonUnternehme naufdas
erweiterte Kurzarbeit ergeld.Eine
Sprecherin des Bundesarbeitsmi-
nisteriums sagte,„dass es momen-
taneinenenormenAnstieganBera-
tungsbedarfgibt“ .Viele Unterneh-
menwollten Kurzarbeit ergeld erst-
mals in Anspruch nehmen. Die
Zahlenfür Berlinsollenlautzustän-
diger Regionaldirektion an diesem
Donnerstag erscheinen. DieAr-
beitsagenturen verweisenbereits
auf Service- Hotlines ,mit denen
BerlinersichbeiihremAmtmelden
können,umdieBundes-Hotlinezu
entlasten.
Dabeibewältigen Jobcente rund
Arbeitsagenturen den Ansturmun-
terCorona-Bedingungen:DerBesu-
cherverk ehr wurde eingestellt,
Wachmänne rkontrollieren den
Eingang,nur Mitarbeiter dürfen
rein.SieversuchenMindestabstand
zuhalten,„sogutesgeht“,wieeiner
versicherte.
EinGutes:L angwierigePrüfver-
fahr en wurden gestrichen.Vonei-
nem „erleichterten Antragsverfah-
ren, ganz unbürokratisch“, spricht
Holger Wenk,Sprecher derRegio-
naldirektion.Wenk:„DerAnsturm
aufdie Systemei steinb isschenhef-
tig,aberzubewältigen.“
Parlamentund
Senatdroht
Quarantäne
AuchMüllerhatteKontakt
zuCorona-Infiziertem
VonElmarSchütze
B
erlinsteuertaufeinepolitische
Situationzu,wieessienochnie
gab.DenwichtigstenSäulen,Regie-
rungund Parlament,drohtdieQua-
rantäne.Der Regierende Bürger-
meisterMichaelMüller(SPD),seine
Stellvertreter Klaus Lederer (Linke)
undRamonaPop(Grüne)sowiePar-
lamentspräsident Ralf Wieland
(SPD) würden jetzt getestet.Daser-
fuhr dieBerliner Zeitung amMitt-
wochausderSenatskanzlei.„DerRe-
gierende Bürgermeister bleibt am
Donnerstag undFreitag sowie am
Wochenende zuHause“ ,sagte Se-
natssprecherinMelanieReinsch.
GrundistderpositiveCorona-Be-
fund des israelischenBotschafters
Jeremy Issachar off. Der65-Jährige
hatte am 9.MärzimA bgeordneten-
haus an derEnthüllung des Ehren-
bürger-Porträts der Holocaust-
ÜberlebendenMargot Friedländer
teilgenommen.Beider Enthüllung
waren nebenParlamentspräsident
WielandundRegierungschefMüller
unter anderen auch dieFraktions-
chefs BurkardDregger (CDU), Antje
Kapek(Grüne)undRaedSaleh(SPD)
dabei.
Inzwischen ist die turnusmäßige
Plenarsitzung des Abgeordneten-
hausesamDonnerstagabgesagtund
gleichzeitig verschoben worden.
ParlamentspräsidentWieland hatte
dasineinerE-MailamMittwochan
Abgeordnete angeregt. DasPräsi-
dium sei in engemAustausch mit
dem Gesundheitsamt, hieß es.Alle
Anwesenden beim Botschafterter-
minhabeninzwischeneinenFrage-
bogendesAmtsausgefüllt.
Damit droht auch dem Senat
Quarantäne.Soh atMüllerunteran-
deremdieSitzungamDienstagdie-
serWochegeleitet,beideresumwei-
tereMaßnahmen ging, dieVerbrei-
tung desViruseinzudämmen.Rein
rechnerisch könnte dieQuarantäne
bis zum nächsten Montag, dem
23.März,dauern.Daswären14 Tage
nachdemAuftrittdesBotschafters.
Nach Worten AntjeKapeks habe
mansichdieAbsagederParlaments-
sitzung nicht leicht gemacht,weil
man keinePanikverbr eiten wolle.
Manwolle den Termin schnellst-
möglich nachholen. Am Montag
sollederÄltestenrattagen.
Ob letztlich alleTeilnehmer der
Porträt-En thüllun gund auchMit-
glieder des Senats in Quarantäne
müssten,müssenjetztdieAmtsärzte
entscheiden. „Ich habe jedenfalls
keine Symptome“,sagteAntjeKapek
derBerlinerZeitung.Bisherhabesie
sich nicht testen lassen und warte
aufAnweisungenderAmtsärzte.
DemVernehmennachgehtesder
98-jährigenMargotFriedländergut.
Es kann sein, dass der Regierende Bür-
germeister in Quarantäne muss. DPA