Frankfurter Allgemeine Zeitung - 20.03.2020

(Nandana) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft FREITAG,20. MÄRZ2020·NR.68·SEITE 17


D


as Coronavirus hat dieWeltwirt-
schaftimGriff.Reisebeschrän-
kungen, Ausgangssperrenund
ausbleibendeKundschaftstellen zahlrei-
cheUnternehmenvor einmaligeHeraus-
forderungen.Wiekönnen Löhnefortge-
zahlt und Kredite bedientwerden, wenn
gleichzeitig die Einnahmenwegbrechen?
In dieserAusnahmesituation hat die
BundesregierungvergangenenFreitag ein
Maßnahmenpaket beschlossen, das die Li-
quidität deutscherUnternehmensichern
soll. So sollenunbegrenzt Kredite an not-
leidendeFirmen vergebenwerden. Viele
andereNationen haben ebenfalls nationa-
le Hilfsprogramme aufgelegt.
Effektive Wirtschaftspolitik istaber
auchauf Ebene der EuropäischenUnion
notwendig. Wirmüssen Kritikernden
Wind aus den Segeln nehmen, die behaup-
ten, die europäische Solidarität sei nur ein
Märchen. Wirmüssen auchdem Eindruck
entgegenwirken, nur daskommunistische
China sendewahreHilfeinder Not. Wir
sitzen alle in einem Boot. Es gilt daher
jetzt, die guten Elementedes Kreditpro-
gramms der Bundesregierung auchinder
EU durchzusetzen.Kurz gesagt:Wir müs-

sen auchauf der europäischen EbeneUn-
ternehmenmit Liquiditätsengpässen ei-
nen Rettungsring zuwerfen.
Liquiditätshilfen für europäischeUnter-
nehmengewährleistendie Rückzahlung
vonKrediten anZulieferer und Banken.
Ausbleibende Kreditzahlungen würden
Unternehmensinsolvenzen über Sektor-
und Landesgrenzen hinwegverursachen.
Darausresultierende Bankenpleitenge-

fährdetendie Finanzstabilität auf Jahre
hinaus. Ein europäisches Liquiditätspro-
gramm kommt somit auch Deutschland di-
rekt zugute: Einerseits sind deutscheUn-
ternehmen auf ihrepaneuropäischen Lie-
ferkettenangewiesen–man denkenur an
die engeVerzahnung zwischen norditalie-
nischen und deutschenFirmen –, anderer-
seits würden auchExportmärktegestärkt.
Liquiditätshilfen sind keine Transfers,

wenn sierichtigaufgesetztwerden. Es
stellt sichjedochdie Frage, wie sie in dem
notwendigengroßenVolumenfinanziert
werden können. Hierkommt der Europäi-
schen Investitionsbank (EIB), demPen-
dantder deutschen KfW,sowie den natio-
nalenSteuerbehörden eine wichtigeRolle
zu. Die EIBvergibt zusammen mit natio-
nalen Entwicklungsbanken die Kredite.
DieRückzahlungenwerden vonden natio-
nalenSteuerbehörden als zusätzlicheSteu-
erschuld eingezogen, wasdie Kredite
nochsicherer macht.
Konkretschlagen wirvor, dassdie EIB
allen europäischenUnternehmen Kredite
gibt, so dasssie jedeZahlung, die in den
kommenden Monatenfällig wird, bedie-
nen können.Voraussetzung für die Kredit-
vergabe istein Nachweis über die Dring-
lichkeit der Schuldzahlung,wobei diese
Datenvonden Banken zurVerfügungge-
stellt werden. Alle Kreditesind zinslos
undwerden über diekommenden acht
Jahreals Annuitätgetilgt.Eine Neuerung
liegt darin, dassdie Rückzahlung der Kre-
diteüber einenZuschlag zurSteuerschuld
erfolgt.Damit wirddas Kreditrisikostark
begrenzt, weil Steuerschulden auchimIn-
solvenzfallvorrangiggegenüber anderen
Verbindlichkeiten bedientwerden.

Um die Kreditezufinanzieren, verkauft
die EIB Anleihenan die EuropäischeZen-
tralbank, die dieerforderlicheLiquidität
bereitstellt. Im Anschlusskanndie EZB
frei über ihrPortfolioverfügen,einschließ-
lichdes Verkaufsder Anleihen an private
Investoren. Der paneuropäische „Rettungs-
ring“ hilftnicht nurZulieferernund Be-
schä ftigten, sondernstütztauchden Ban-
kensektor, da UnternehmenihreKreditein
denkommenden Monaten invollemUm-
fang bedienenkönnen.Die direkteLiquidi-
tätsbereitstellung ohne Intermediation
durch den Bankensektor gewährlei stet,
dass Firmen in allen EU-Staaten unabhän-
gigvon Problemen des nationalenBankwe-
sens aufdie bereitges telltenMittel zurück-
greifenkönnen.Vonder Abwendungfol-
genschwerer Unternehmensinsolvenzen
profitieren Banken, Konsumenten undalle
anderenWirtschaftsakteureinEuropa.
Der vonuns vorgeschlagene Mechanis-
muskann die Liquidität europäischerFir-
men inZeiten eines temporären ökonomi-
schen Schockssicherstellen. Alle europäi-
sche nStaatensind vonder Krisegleichzei-
tigbetroffen. Eine unzureichende Ant-
wort einiger Länder beträfeganz Europa.
ZwarkönneneinigeStaatenentsprechen-

de Maßnahmen auf nationalerEbene be-
schließen,anderejedochnicht ;Insolven-
zen und rückläufigerKonsum in einigen
EU-Staaten würden durchausbleibende
Nachfrag eund verzahnteLiefer ketten die
gesamteEUbetreffen und die wirtschaftli-
cheKrise verstärkensowie verlängern. In
der gegenwärtigen angespannten Lagean
den Finanzmärktenkann die EIB mitUn-
terstützung der nationalenSteuerbehör-
den die notwendigeLiquiditäteuropaweit
bereitstellen–untergleichzeitiger Mini-
mierung des Kreditausfallrisikos.
Viele EU-Bürgerfragen sich,obsie sich
in Krisenzeiten auf die EU als „gemeinsa-
me Heimat“verlassenkönnen.Wenn die
EU denkollektiven Herausforderungen
nichtgerechtwirdund lediglichnationale
Lösungenimplementiertwerden,werden
viele Bürgerdas gemeinsame europäische
Projekt inFragestellen, und es bestehtdie
Gefahr,dasssie si ch populistischenPartei-
en zuwenden.

MarkusBrunnermeier istWirtschaftspro-
fessorander Universität Princeton. Der
Link zumVorschlag: https://scho-
lar.princeton.edu/sites/default/files/mar-
kus/files/COVID19_Liquidity_Life_Line.pdf

EinRettungsring für Europas Unternehmeninder Liquiditätskrise


VonMarkusBrunnermeier

STANDPUNKT


D


er amerikanischePräsident Do-
naldTrumphat sichamMitt-
woch selbstwörtlichzum
Kriegspräsidenten im Kampf
gegendas Coronavirus erkoren. In einer
Pressekonferenz erinnerte er an patrioti-
sche Arbeiter,die während des Zweiten
Weltkriegs in Fabriken übernachteten,
um Kriegsschiffe schnellfertigzustellen.
Dochnicht nur die Rhetorikwirdmartiali-
scher.Trump aktivierte ein Gesetz aus
demKorea-Krieg, das es ihm erlaubt,Un-
ternehmen die Produktion wichtiger Gü-

terzubefehlen. Erwolle zu dem Mittel
nur ingrößterNotgreifen,kündigteer
an. Dochdie könntekommen.
Aufder ganzenWelt fehlenwegender
Pandemie Beatmungsgeräte, Schutzklei-
dung, spezielle Gesichtsmasken, Brillen
und Desinfektionsmittel, um nur die of-
fensichtlichen Mangelwaren zu nennen.
Die Produzenten arbeiten in derRegelan
derKapazitätsgrenze. Dochdas reicht
nicht.Kein Wunder,dassman sichnun
auf einRezeptaus Kriegszeiten besinnt.
Volkswirtschaftenstellten damals oft
ihreProduktion auf sogenannte kriegs-
wichtigeGüter um, in derRegelauf An-
weisungvonRegierungen.
Nach dem japanischen Angriff auf
PearlHarborimDezember 1941 legtePrä-
sidentFranklin DelanoRoosevelt der dar-
auf nichtvorbereiteten amerikanischen
Industrie erstaunliche Produktionsziele
auf: 65 000Kampfflugzeugesollten 1942
und 125 000 Kampfflugzeugesollten
1943 ausgeliefertwerden, zudem 120 000
Panzer und 55 000 Flugabwehrkanonen.
Amerikas Autoindustrie transformierte
sichbinnen kürzesterZeit.Stelltesie
1941 noch3MillionenAutosher,redu-
zierte sichdie Zahl aufwenigehundert.

Ford baute Kriegsbomber,Chrysler pro-
duzierte Flugzeugrümpfe, und General
Motors stellteFlugzeugmotoren, Geweh-
re und Panzer her.
Undheute?Nachdem diegroßenAuto-
fabrikenstillgelegt wurden,kursieren ent-
sprechendeÜberlegungen. General-Mo-
tors-Chefin MaryBarra hat TrumpsWirt-
schaftsberater Larry Kudlowschon ange-
boten, zu prüfen, ob ihrUnternehmen Be-
atmungsgeräteherstellenkann. Dafür ist
die Aktivierung des Kriegsbewirtschaf-
tungsgesetzes nicht nötig, denn dieAuto-
produktionsteht ohnehinstill. Dasses
trotzdem sinnvoll seinkönnte, zeigt ein
anderes Phänomen. Amerikanische Kran-
kenhaus-Gesellschaftenzöger nmit der
BestellungvonBeatmungsgerätenwegen
der hohenKosten und der Sorge,sie nach
dem Ende der Krise nicht mehr sinnvoll
nutzen zukönnen. Das berichten zumin-
destBranchenbeobachter.Das könnte
auchder Grund sein,warumdie deutsche

Regierung beimMedizintechnik-Spezialis-
tenDrägerdirekt 10 000 Beatmungsgerä-
te georderthat –unterUmgehung der
klassischen Bestellwege.
Die Rolle vonNotregeln wirdauchin
Italien deutlich. DieRegierung hat einen
Kommissar mit Sondervollmachten er-
nannt.Erhat die Befugnis, mit seinen
Entscheidungen eine Schneise durch den
italienischen Genehmigungswirrwarrzu
schlagen. Erkann inkurzer Zeit alle Ge-
nehmigungen erteilen, die für denStart
neuerUnternehmen oder für dieAuswei-
tung bestehender Produktion nötig sind.
Italien hat zwar bisher jeweils einen Her-
steller für Mundschutz und für Beat-
mungsgeräte, beidesind jedochkleineUn-
ternehmen undkönnen mit dergestiege-
nen Nachfrag enicht mithalten.
Gerade bei Beatmungsgeräten zeigt
sichallerdings auchdie Problematik einer
Konversion. Medizingerätemüssen ers-
tens strengenAuflagen entsprechen und

werden zweitens ausTeilen zusammenge-
baut, die inruhigenZeiten aus allerWelt
kommen. Dochdie klassischen Produkti-
onsketten sind wegender Pandemie er-
schüttertoder gebrochen.
Unternehmen, die wegender Krise
ihreProduktion umstellen, setzen des-
halb aufwenigerkomplexe Produkte: Die
spanische Modekette Zar awill OP-Klei-
dungfertigen. Der deutscheKosmetik-
KonzernBeiersdorfstartet die Herstel-
lungvonmedizinischen Desinfektionsmit-
teln. Im ersten Schritt würden mindes-
tens 500Tonnen Desinfektionsmittel in
Fabriken in Deutschland und Spanien her-
gestellt, teiltedas Unternehmen mit.Das
Beispiel desLuxusherstellersLVMH,der
Desinfektionsmittelstatt Parfüm produ-
ziert, macht Schule. Die guteTat kann
sichals lukrativ erweisen. Als eine der ers-
tenFirmen derWelt hatteder australi-
sche Safthersteller TheFood Revolution
Group die Chance der Konversion er-
kannt:Seine Aktie legteinMinuten um
60 Prozent zu, als er MitteFebruar erklär-
te,seine neueAbfüllanlagefortanauf
Desinfektionsmittel umzustellen.
Besondersgefragt sind derzeit dieNä-
hereien Asiens: Denn siestellen auf die
Fertigung der auf derganzenWelt gefrag-
tenMasken um.Zwarwerden dieRohstof-
fe dafür knapp, da die medizinische Baum-
wolle undFilter stoffe vorallem aus Chi-
na kommen. Die Herstellung aber istver-
gleichsweise einfachund das Geschäftda-
mit lukrativ.
Eine Hoffnung, dieKonversion zu be-
schleunigen, bietetauchdie 3D-Druck-
Technologie.Unterdem Namen Corona
VirusMaker sorganisiertsichinSpanien
die Do-it-yourself-Bewegung. Mehr als
2000 Mitglieder sind onlinevernetzt und
tüfteln an neuen Masken undRespirato-
ren, die sichvia 3D-Print ausdruckenlas-
sen. Entwürfe und Erfahrungenwerden
geteilt, man gibt sichgegenseitig Hinwei-
se undkommuniziertauchmit den Ge-
sundheitsbehörden.
In Italien hat ein 3D-Unternehmen
kur zfristig Spezialventile für Beatmungs-
geräte gedruckt und an ein Hospitalgelie-
fert,nachdem der Originalproduzent mit
der Lieferung nicht mehr nachkam. Der
Unternehmer GerritCoetzee aus San
Francisco hat auf dem einflussreichen
Blog HackadayIngenieureund Erfinder
aufgefordert, ein „Open Source“-Beat-
mungsgerät zu entwickeln. Es sei der Ap-
parat, der über Leben undTodentschei-
de. DieAufforderung hat zumindesteine
konstruktiveDebatteunter Spezialisten
ausgelöst, wie das Problem zu lösen sei.

Wie lange wirddas öffentlicheLeben in
Deutschlandwegen Corona stillstehen?
Wiesichdie Fallzahlen unter diesen neu-
en Bedingungenentwickeln, zeigt sichfrü-
hestens in ein bis zweiWochen.

Sind dann auch Ausgangssperren vor-
stellbar,die von der Polizei durchgesetzt
werden?
Alle Beteiligten arbeiten mit Hochdruck
daran, dassdas nicht notwendig sein
wird.

China hat ja vorgemacht, dass es funk-
tioniert.
Die Chinesen haben die Krise erst igno-
riertund sind dann mit drakonischen,
auchmilitärischen Maßnahmen dagegen
vorgegangen. Soetwaskann ichmir in un-
serer freiheitlichen Ordnung nichtvorstel-

len.Wichtig istjetzt, dassdie Bevölke-
rung, wie empfohlen, zu Hause bleibt.

Wie lange reichen die Intensivbetten und
Beatmungsgeräte?
Wirhaben in Deutschland mit 28 000 Bet-
tenfür Intensivpatienten die umfangreichs-
te Ausstattung in Europa.Und dieseKapa-
zitätenwerden jetzt nocheinmal massiv
aufgestock t. Außerdem versuchen wir,so
viel Personalwie möglichzurekrutieren.
Pensionierte Ärzteund Pflegekräfte und
Studenten sollenhelfen, damit allePatien-
tenweiterhin bestmöglichversorgtwerden.

Wird man,wenn eshart auf hartkommt,
alte Menschenabweisen und sterben las-
sen,umjunge Mütter zu retten?
Ichkann Ihnenversichern: Alle im Ge-
sundheitswesen arbeiten daran, dasses

nicht soweit kommt.Das, wasaus Italien
berichtet wird, istsehr dramatisch und
eine nur schwer erträgliche Situation.

Die Niederlande verfolgendie Strategie
der „Gruppenimmunität“, wonach es
sinnvoll sei, dass sich viele jungeMen-
schen infizieren,umImmunitätsschutz
für dieAlten und Vorerkrankten zu bil-
den.Ist das für Deutschland denkbar?
Jeder Infizierte steckt im Durchschnitt
drei weiter eMenschen an. Das heißt:
Jede Infektion beschleunigt dieAusbrei-
tung desVirusund erhöht das Risikofür
die Gemeinschaft. Deshalb setzenfast
alle Staaten auf „Social Distancing“, das
Abstandhalten.Auchwir.

SAP-Gründer Dietmar Hopp, der an
dem Tübinger Impfstoffentwickler Cure-

vac beteiligt ist, glaubt, dass es im
Herbstein Corona-Vakzin geben wird.
Hat er recht?
Ichhoffe,dasserrecht hat.Ich bin zurück-
haltend,wenn es umZeithorizontegeht.
Weltweit wirdmit Hochdruckanneuen
Medikamenten und Impfstoffengearbei-
tet. Wann genau das zu Ergebnissen führt,
kann aber niemandverlässlichsagen.

Sie sind Generalarzt, seit 36 JahrenSol-
dat. Mussineiner solchen Krise militä-
risch geführt werden?
Ichbin eingroßer Anhängerder demokra-
tischen Zivilgesellschaft. MinisterJens
Spahn hat aber erkannt, dassExpertise in
Sicherheitsfragen auch im Gesundheitsbe-
reich wichtigergeworden is t.

Das GesprächführteChristianGeinitz.

dc./ppl./sju.BERLIN/LONDON/FRANK-
FURT. Die Corona-Krise droht die deut-
scheWirtschafthärterzutreffenals die
Finanzkrise 2008/2009:Neue Konjunk-
turprognosen lassen eine Schrumpfung
der Wirtschaftskraftumbis zu9Pro-
zent in diesem Jahr erwarten –gleich-
zeitigstellt sichdie Regierung nun auf
mehr als zwei Millionen Arbeitnehmer
in Kurzarbeit ein. Daswärenumdie
Hälfte mehr als in derFinanzkrise.
In einem aktuellenVerordnungsent-
wurf, der dievereinbartenLockerun-
gendes Zugangs zukonjunkturellem
Kurzarbeitergeld regelt, rechnetdas
Bundesarbeitsministerium nun mit
2,15 Millionen Beziehern; weitere
200000 Bauarbeiter mit Saisonkurzar-
beitergeld kämen hinzu, heißt es in
dem der F.A.Z. vorliegenden Doku-
ment.Die dadurch verursachten Mehr-
kosten, die aus der Beitragskassefinan-
ziertwerden, beziffert das Ministerium
mit 10 Milliarden Euro. Davonfällt al-
lein die neue ErstattungvonSozialabga-
ben für Betriebe inKurzarbeit mit6Mil-
liarden Euroins Gewicht.Ziel der Lo-
ckerung istfreilich, durch vorüberge-
hende Hilfedauerhafte Arbeitslosigkeit
zu vermeiden.
BrisanteAusblicke liefertenzugleich
die Konjunkturforscher:Das Kieler In-
stitut fürWeltwirtschaft(IfW)rechnet
nun mit einemRückgang des Bruttoin-
landsprodukts (BIP) um mindestens 4,
Prozent in diesem Jahr.Diese Größen-
ordnung gelteaber auchnur dann,
wenn sichdie Lagevon Mai an wieder

entspanne,teiltedas IfW mit.Bessere
sichbis Augustdie Lagenicht, drohe
ein Minus von8,7 Prozent.ImJahr
2009 wardie Wirtschaftumknapp 6
Prozentgeschrumpft. Die Prognose für
2021 fällt indes viel positiver aus: Das
BIPkönne dann wie ein Jojo wieder
hochschnellen. Durch Nachholeffekte
erwartet das IfW dann ein Plus zwi-
schen 7,2 und 10,9 Prozent.
Auch das Münchener Ifo-Institut ver-
öffentlichtezweiSzenarien–mit einem
Rückgang des BIP zwischen 1,5 und 6
Prozent.„Niemandweiß genau,wie sich
die Absagen und Schließungen wirt-
schaftlichauswirken“, sagteder Ifo-Prä-
sident ClemensFuest.Dassdie Krise
den Unternehmen massiveSorgenberei-
tet, zeigt der ebenfallsamDonnerstag
veröffentlichte Geschäftsklima-Index
des Ifo-Instituts.ImVergleichzum Vor-
monat sank das Barometerum8,3 Punk-
te auf 87,7 Punkte–den niedrigsten
Wert seit 2009. Derartrasantverschlech-
tert hatte sichdie Stimmung derUnter-
nehmen zuletzt 1991; die Erwartungen
verfinsterten sichwie nie zuvor.
DieVolkswirteder Großbank JP Mor-
gansprechen mit Blickauf dieWeltwirt-
schaftvon einem„Tag, an dem die Erde
stillsteht“. Bis zumFrühsommerwerde
die Wirtschaftsleistung sehr stark
schrumpfen, dann aber auchwieder
hochschnellen. Im Euroraum prognosti-
zieren sie im ersten Quartal einenRück-
gang um 15 Prozent, im zweiten Quartal
garum22Prozent. Im dritten Quartal,
ab Juli,werdesichdie Wirtschaftsleis-
tung dann aber um 45 Prozent erholen.

Ford-Fabrik:Entstehen hier bald Medizingeräte? FotoBloomberg

chs. PARIS.Inder Coronavirus-Krise
zeigtvorallem dasPersonalimfranz ösi-
schen Gesundheitswesen bewunderns-
werten Einsatz. Dochinanderen Sekto-
renkommt eswegender wachsenden
Angstvor Ansteckung zu Spannungen
–zumal überall Gesichtsmasken, Desin-
fektionsmittel und Handschuhefehlen.
Die Frage,werzur Arbeitgehen muss
undwerzuHause bleiben darf, wird
zum sozialen Sprengstoff.
NichtwenigefranzösischeArbeit-
nehmer sind mit derRollenverteilung
nicht einverstanden. „Ihr sollt zur Ar-
beitkommen,sagt dieFirmenleitung
den Arbeitern–die leitenden Ange-
stellten dürfendagegen zu Hause arbei-
ten“, klagtebeispielsweiseJean-Chris-
tophe Leroy, ein Lagerarbeiter undVer-
treter der GewerkschaftCGT beimVer-
sandunternehmenLaRedouteimnord-
französischenWattrelos, in derTages-
zeitung„LeMonde“. DieFrage,wasin
diesen Tageneine unverzichtbare
Dienstleistung ist, spaltet.„Es istab-
surd, uns arbeiten zu lassen, damit
T-Shirtsverkauftwerden“, klagt Leroy.
Die CGTfordert, zum Schutz der Ar-
beitnehmer nur nochdie „unverzicht-
baren“Unternehmen arbeiten zulas-
sen, die „dem essentiellen Bedarfder
Bevölkerung dienen“. Ansonstenwür-
den dieUnternehmen „auf demRü-
cken der Arbeitnehmer ihreProfite ma-
chen“, wie die Gewerkschaftsvertrete-
rinCélineVerzeletti sagte.Das sei
auchfür die Allgemeinheit schädlich,
denn die Arbeitnehmerführen in öf-
fentlichen Transportmitteln und kä-
men sichbei der Arbeit zu nahe.
Der Manager einesAutozulieferers
in Frankreichbeschreibtgegenüber der
F.A.Z., wie heikel das Thema ist. „Es
stimmt ja, dassSie die Bürojobs leich-
terauf Homeoffice umstellenkönnen,
die Arbeiten in der Produktion aber
nicht.“ Sein Unternehmen versuchte

alle sanitären Bestimmungen einzuhal-
ten, dochdie Unruhe in der Belegschaft
blieb. Inzwischen habe dasUnterneh-
menganz geschlossen,weil dieAuto-
konzerne dieNachfrag eherunterfuh-
ren. „Ehrlichgesagt,warenwir erleich-
tert“, sagt der Manager.
Zu heftigen Konfliktenkommt es
auchbei Amazon,wo das Versandge-
schäfterwartungsgemäß starkzuge-
nommen hat.NachAngaben der CGT
würden an den nordfranzösischen
Standortendie sanitären Bestimmun-
gennicht respektiert. Rund 100 Be-
schäftigtehabenvonihrem „Recht auf
Fernbleiben vomArbeitsplatz“ Ge-
brauchgemacht,welches das französi-
sche Arbeitsrecht einräumt, wenn
„mangelnde Schutzmaßnahmen in den
Unternehmen zu einer Bedrohungvon
Leben oder Gesundheit der Arbeitneh-
mer führen“, wie es im Gesetzsteht.
Daraufhin setzteAmazon die Gehalts-
zahlungen aus. „Dieser Druckauf die
Beschäftigten istnicht akzeptabel. Wir
werden das Amazon wissen lassen“, er-
widerte der französischeWirtschafts-
und FinanzministerLeMaireamDon-
nerstag.
Die Arbeitgeber sind sichder heiklen
Lagebewusst.„EinenradikalenWan-
del in der Haltung der Beschäftigten“
hat der Vizechef des Arbeitgeberver-
bandes,Patric kMartin,festgestellt.Im
Baubereich sindetliche Baustellen da-
her zu einemvölligenStillstand gekom-
men.Auchdie Autohersteller haben
ihreFabrikengeschlossen DerRegie-
rung geht dasteilweise zuweit.Präsi-
dent Macronforderte die Unternehmen
und die Beschäftigten am Donnerstag
dazu auf, die Produktion „unter Einhal-
tung der sanitärenVorschriften“ nicht
zumStillstand zu bringen. Dabeiver-
spracher, auchein „System vonGe-
haltszuschlägen“ für die physisch Anwe-
senden einzuführen.

„KeineZeitho rizonte zumImpfstoff nennen“


DerLeiter des Krisenstabs im Gesundheitsministerium, Hans-UlrichHoltherm,zweifelt anVorhersagen


itz. BERLIN.Die deutschen Pflege-
einrichtungen sollen durch das Coro-
naviruskein Geldverlieren. Das Bun-
desgesundheitsministerium hat den
Betreibern deshalb zugesichert, für ei-
nen „zeitlichbegrenzten unbürokrati-
schen Ausgleich“ zu sorgen. Ausden
Töpfen der Pflegekassen würden zum
einen die Mindereinnahmenkompen-
siert,falls sichbestimmteBetreuun-
genund Behandlungen nichtrealisie-
renließen.Zumanderen sollen die
Kosten für Masken, Schutzkittel und
Desinfektionsmittel übernommen
werden sowie für zusätzlichesPerso-
nal. Für die rund vier Millionen Be-
dürftigen stehen in Deutschland
11 700 vollstationäreHeime und
15 000 ambulanteDienstezur Verfü-
gung.Patienten und Betreuer bedürf-
teneines besonderen Schutzes und
besonderer Unterstützung, sagte
GesundheitsministerJens Spahn
(CDU). Deshalb sei mit den Pflege-
kassen und Pflegeverbänden auchdie
befristete Aussetzung bürokratischer
Anforderungen vereinbartworden,
etwades „Pflege-TÜV“ zur Qualitäts-
überprüfung der Einrichtungen.
Oberstes Ziel sei, „dassPflegekräfte
gesund bleiben und Pflegebedürftige
nicht mit dem Coronavirus inKon-
takt kommen“.

Schlimmer als in derFinanzkrise


Prognosen: MehrKurzarbeiter undwenigerWachstum


Trumpgreift zu Mitteln wie im Krieg

VonChristoph Hein,
Tobias Piller und
WinandvonPetersdorff

Corona-Klassenkampf


in Frankreich


Macron: Mehr Geld für alle, die zur Arbeitgehen


Spahn: Hilfe


für Pflege


In Amerikasleeren


Autofabrikenkönnten


bald Beatmungsgeräte


produziertwerden.Auch


inanderenLänderngeht


mandiesenWeg.


Liquiditätshilfen sindkeine
Transfers,wenn sierichtig
aufgesetztwerden. Dann ist
das Ausfallrisikobegrenzt.
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