Hinter Plexiglas (v.l.n.r.) Innenminister Karl Nehammer, Vizekanzler Werner Kogler, Kanzler Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober
AFP
/HELMUT FOHRINGER
S
ebastian Kurz wählt gerne
religiöse Metaphern, wenn
er deutlich machen will,
dass die Lage ernst ist. Das
Coronavirus zum Beispiel
hat er einmal als „teuflisch“ bezeich-
net, um den Unterschied zur normalen
Grippe zu unterstreichen. Schon seit
Beginn der Anti-Corona-Maßnahmen
stellt er den Österreichern außerdem
eine „Wiederauferstehung“ nach
Ostern in Aussicht, wenn sie sich an die
neuen Regeln halten. Pünktlich zum
Beginn der Karwoche hat der Chef der
christlich sozialen ÖVP nun nicht nur
skizziert, wie diese Auferstehung genau
ablaufen soll, sondern auch, welche
Opfer dafür nötig sein werden.
VON ELISALEX HENCKEL
AUS WIEN
KKKurz und seine Mitstreiter, allen vo-urz und seine Mitstreiter, allen vo-
ran Vizekanzler Werner Kogler und Ge-
sundheitsminister Rudolf Anschober –
beide von den Grünen – sowie Innen-
minister Karl Nehammer von der ÖVP,
begründeten ihre frohe Botschaft am
Montag mit einer Reihe von positiven
Zahlen. So sei die tägliche Steigerungs-
rate bei der Zahl der Infizierten von
rund 40 Prozent Mitte März auf 1,
Prozent gesunken, sagte Anschober.
Gleichzeitig sei die Zahl der Tage, in
der sich die Zahl der positiv Getesteten
verdoppelt, im gleichen Zeitraum von
3 ,6 Tagen auf 16 Tage gestiegen. Außer-
dem sei sowohl die Zahl der Hospitali-
sierten als auch jene der Intensivpa-
tienten seit mehreren Tagen stabil. Be-
reits am vergangenen Wochenende
meldeten österreichische Medien, dass
die Zahl der neu Genesenen erstmals
deutlich höher ist als jene der neu Infi-
zierten.
Österreich habe schneller und res-
triktiver reagiert als viele andere Län-
der, sagte Kurz, jetzt komme man auch
schneller aus der Krise wieder heraus –
das werde aber nur gelingen, wenn alle
die neuen Regeln auch weiterhin kon-
sequent einhalten würden. Das bedeute
auch den Verzicht auf Familientreffen
zu Ostern. „Feiern Sie nicht zusam-
men!“, appellierte Kurz an die Öster-
reicher. „Die nächste Woche wird ent-
scheidend sein.“
Der Aufruf erfolgte nur zwei Tage,
nachdem ein inzwischen zurückgezo-
gener „Oster-Erlass“ des Gesundheits-
ministeriums für Verwirrung gesorgt
hatte. Dieser hatte suggeriert, dass in
der eigenen Wohnung bis zu fünf Gäste
empfangen werden könnten. Alle Re-
gierungsmitglieder riefen nun dazu
auf, Ostern nur im kleinsten Kreis zu
fffeiern. Sollten die Zahlen wieder an-eiern. Sollten die Zahlen wieder an-
steigen, könne man jederzeit „auf die
Notbremse“ steigen – gemeint ist wohl:
den Ausstieg verlangsamen oder sogar
ganz stoppen. Damit dies nicht nötig
sein wird, wurden die derzeit gelten-
den Ausgangsbeschränkungen, die das
VVVerlassen des Hauses nur aus erlassen des Hauses nur aus fünf klar
definierten Gründen erlauben, bis En-
de April verlängert.
Dazu wurde die seit Montag geltende
Mundschutzpflicht auf den öffentli-
chen Verkehr sowie alle Bereiche, die
nun schrittweise geöffnet werden, aus-
geweitet. Ob der Mundnasenschutz
auch am Arbeitsplatz getragen werden
muss, sollen Arbeitnehmer und Arbeit-
geber gemeinsam entscheiden. Gleich-
zeitig sollen weitere Begleitmaßnah-
men wie ein besserer Schutz von Risi-
kogruppen oder das „Containment“, al-
so das Identifizieren und Isolieren von
Infizierten, verstärkt werden. Dabei
soll unter anderem eine App des Roten
Kreuzes helfen, die vom Beratungsun-
ternehmen Accenture entwickelt und
bereits 200.000 Mal heruntergeladen
wurde. Ob die Nutzung der App zur
Pflicht werden könnte, wollte Kanzler
KKKurz am Montag trotz Nachfrage nichturz am Montag trotz Nachfrage nicht
beantworten.
Es ist nicht die einzige Frage, die of-
fffenblieb. So äußerten etwa Juristenenblieb. So äußerten etwa Juristen
Zweifel daran, dass sich die geltenden
AAAusgangsbeschränkungen mit einerusgangsbeschränkungen mit einer
schrittweisen Öffnung des Handels
verbinden ließen. Mitglieder der SPÖ-
geführten Wiener Stadtregierung frag-
ten sich, wie eine Wiederaufnahme des
Handels ohne regulären Schul- und
Kindergartenbetrieb (dieser soll frü-
hestens Mitte Mai kommen) funktio-
nieren solle.
Der Handelsverband wiederum sah
nicht ein, wieso größere Läden erst
später öffnen dürfen. Er forderte, dass
jedes Geschäft ab demselben Zeitpunkt
einen Kunden pro zehn Quadratmeter
VVVerkaufsfläche einlassen dürfe. Loberkaufsfläche einlassen dürfe. Lob
gab es hingegen aus der Wirtschafts-
kammer, die gesetzliche Interessenver-
tretung der gesamten gewerblichen
Wirtschaft. Das schrittweise Ende des
Shutdowns sei „der Startschuss für ein
starkes österreichisches Comeback
nach der Corona-Krise“, sagte deren
Präsident Harald Mahrer, der wie
Kanzler Kurz aus der ÖVP kommt.
Die Ärztekammer hingegen hat sich
noch nicht zur geplanten „Auferste-
hung“ des öffentlichen Lebens in Ös-
terreich geäußert. Sie kämpft derzeit
mit einem dringenderen Problem: Laut
Angaben ihres Chefs Thomas Szekeres
fffehlen Millionen von Schutzmasken,ehlen Millionen von Schutzmasken,
vor allem für niedergelassene Ärzte.
Der Tod eines Hausarztes am Wochen-
ende sei ein deutliches Zeichen dafür,
„dass endlich von höchster Stelle rea-
giert werden müsse“. Ob das noch vor
Ostern geschieht, wird sich zeigen. Die
Regierung hat jedenfalls noch mindes-
tens vier weitere Pressekonferenzen
geplant, um ihre Pläne im Detail zu er-
läutern.
KKKurz’ Plan für die „Auferstehung“urz’ Plan für die „Auferstehung“
Österreichs
Regierung hat als
erste in Europa einen
Exit-Plan aus den
Maßnahmen gegen
Corona verkündet.
Die Wirtschaft lobt
ihn, Juristen sind
skeptisch
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07.04.20 Dienstag, 7. April 2020DWBE-HP
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DIE WELT DIENSTAG,7.APRIL2020 POLITIK 7
M
itarbeiter des Premierminis-
ters hatten hinter vorgehalte-
ner Hand schon seit Tagen ge-
warnt. Der Zustand von Boris Johnson
bessere sich nicht, er „huste und pruste“
bei den Videokonferenzen mit seinem
Kabinett. Die Erschöpfung sei ihm deut-
lich anzusehen, ließ sich ein Insider aus
der Downing Street in den Sonntagszei-
tungen zitieren. Am Sonntagabend wur-
de Johnson ins Krankenhaus St. Thomas
gebracht, das nur wenige Autominuten
von seinem Amtssitz entfernt auf der an-
deren Themseseite liegt.
VON STEFANIE BOLZEN
AUS LONDON
Am Montagmittag teilte sein Sprecher
nur mit, dass der Premier eine „geruhsa-
me Nacht“ in der Klinik verbrachte habe
und von seinem Bett aus arbeite. John-
sons „führt weiter die Regierungsge-
schäfte“. Er gab keine Auskunft, ob John-
son an einer Lungenentzündung leidet
und Sauerstoffzufuhr bekommen hat,
dementierte dies aber auch nicht. Zu an-
gemessener Zeit werde sein Büro weite-
re Details über den Gesundheitszustand
des Regierungschefs herausgeben.
Der Tory-Parteichef ist nur das promi-
nenteste Opfer von „Corona-Westmins-
ter“. Die Zahl der an Covid-19-Erkrank-
ten im Regierungsbezirk und an den
Schaltstellen der Macht ist groß. Der
Amtssitz Downing Street Number 10
selbst ist offensichtlich ein Virenherd.
WWWer das historische Gebäude einmal be-er das historische Gebäude einmal be-
treten hat, den erstaunt das nicht wirk-
lich. Verwinkelt ist der historische Bau,
er beherbergt überraschend viele Räume
und daher Mitarbeiter. Rund hundert
Büros und andere Zimmer eröffnen sich
hinter der schwarz lackierten Tür. Das
3 00 Jahre alte Haus ist verbunden mit
den anliegenden Häusern Nummer 11,
wo der Schatzkanzler residiert. Und der
Nummer 9, die wiederum im Cabinet
Office mündet, das an der Hauptstraße
WWWhitehall liegt.hitehall liegt.
Durch enge Flure huschen Beamte
und Parlamentarier, mitunter auch
Journalisten, die zum Briefing eingela-
den wurden. Treppenhäuser mit gelb
gestrichenen Wänden, an denen die
Porträts der Premierminister hängen,
führen in die drei Stockwerke, von de-
nen das oberste als Privatwohnung für
den Premier angelegt ist. Seit der Amts-
zeit von Tony Blair (1997-2007) wohnen
die britischen Regierungschefs aber im
Obergeschoss von Nummer 11, weil die-
ses größer ist.
In Nummer 11 war auch Johnson bis
Sonntagabend verbannt, nachdem er am
2 7. März positiv auf das Coronavirus ge-
testet worden war. Der Durchgang zwi-
schen Nummer 10 und 11 wurde ver-
schlossen. Mitarbeiter deponierten den
berühmten roten Aktenkoffer an der
Zwischentür, auch das Essen für Johnson
wwwurde dort abgestellt. Sein Büro hatte erurde dort abgestellt. Sein Büro hatte er
ebenfalls in die Nummer 11 verlegt, um
nicht die Gebäude durchqueren zu müs-
sen und die Mitarbeiter und Kabinetts-
kollegen nicht zu gefährden.
Denn von denen hat es eine auffallend
große Zahl ebenfalls getroffen. Gesund-
heitsminister Matt Hancock gab am sel-
ben Tag wie sein Chef bekannt, dass er
positiv getestet worden und deshalb zu
Hause in Quarantäne gegangen sei. Han-
cock war allerdings dank milder Sympto-
me eine Woche später wieder fit. John-
sons Medizinischer Chefberater Chris
WWWhitty hitty konnte am Montag ebenfalls aus
fffast zweiwöchiger Quarantäne an seinenast zweiwöchiger Quarantäne an seinen
Schreibtisch zurückkehren. Es war Whit-
ttty, der nicht so viel Glück hatte wie Han-y, der nicht so viel Glück hatte wie Han-
cock und Medienberichten zufolge hefti-
gere Symptome aushalten musste, der
Johnson seinerzeit zum Corona-Test ge-
raten und Kontakt mit dem Premier über
dessen Zustand gehalten hatte.
Es ist gut möglich, dass Whitty sich
das Virus in der Downing Street ein-
fffing, zumal er täglich mit dem Premiering, zumal er täglich mit dem Premier
und anderen Kabinettsleuten zusam-
men war und mehrfach am Pult neben
Johnson stand, wenn der seine im Fern-
sehen übertragenen Pressekonferenzen
abhielt. Und bei denen die britische
Hauptstadtpresse ebenfalls eng auf eng
in den schlecht belüfteten Räumen zu-
sammensaß.
Ein weiteres Opfer der für jede soziale
Distanz ungünstigen Downing Street ist
womöglich auch die Verlobte Johnsons
geworden. Carrie Symonds hatte am
WWWochenende auf Twitter mitgeteilt, sieochenende auf Twitter mitgeteilt, sie
sei eine Woche lang mit Corona-Symp-
tomen krank gewesen, aber auf dem Weg
der Besserung. „Ein Test war nicht nö-
tig“, teilte die 31-Jährige mit. Sie habe
„den Leitfaden für Schwangere sehr
nützlich gefunden“, den die Gesellschaft
fffür Geburtshilfe verfasst hat, fügte sieür Geburtshilfe verfasst hat, fügte sie
hinzu. Symonds ist mit dem ersten ge-
meinsamen Kind schwanger, das im
Frühsommer zur Welt kommen soll. Bei-
de Botschaften in Symonds Tweet hat-
ten auch einen politischen Inhalt. Zum
einen will die ehemalige Kommunikati-
onschefin der Tory-Partei jeder Diskus-
sion vorbeugen, ob sie als Verlobte des
Premiers einen der schwierig erhältli-
chen Covid-19-Tests bekommen hat.
Zum anderen nutzt sie ihre Plattform für
den Hinweis auf offizielle Leitlinien.
Symonds ist Medien zufolge schon vor
einigen Tagen aus der Downing Street
ausgezogen und wohnt wieder in ihrer
eigenen Wohnung in Süd-London. Zu
Hause ist auch eine weitere prominente
Figur aus Johnsons engstem Kreis. Chef-
berater Dominic Cummings ist ebenfalls
mit Symptomen in häuslicher Quarantä-
ne, und das seit mehr als einer Woche.
Ob er getestet wurde, wollte die Regie-
rung am Montag nicht mitteilen.
Bereits Mitte März hatte der Wissen-
schaftler Neil Ferguson auf Twitter ge-
warnt, „es gibt eine Menge Covid-19 in
WWWestminster“. Ferguson ist der Autor ei-estminster“. Ferguson ist der Autor ei-
ner Studie, die das Risiko von Johnsons
anfänglich sehr passiven Maßnahmen im
Kampf gegen das Virus kalkulierte. Die
erschreckend hohe Zahl von bis zu
2 50.000 Toten in Großbritannien leitete
eine Kehrtwende der Regierung ein, die
seit dem 23. März strenge Auswärtsbe-
schränkungen fährt. Auch Ferguson,
Professor für mathematische Biologie,
steckte sich an, hat das Virus aber unbe-
schadet überstanden. Sehr gut möglich,
dass er sich das Virus bei Treffen im Re-
gierungsbezirk holte, bei denen er auch
mit dem Premierminister selbst sprach.
VVVirenherd Downing Street?irenherd Downing Street?
Premier Boris Johnson und mehrere Mitarbeiter haben sich mit Corona angesteckt. Ein Blick in die Regierungszentrale lässt ahnen, warum
Nr. �� Nr. ��
Bild: Google Maps
Gebäudekomplex
Downing Street
Boris Johnson und seine Verlobte Carrie
SSSymonds wohnen derzeit nicht zusammenymonds wohnen derzeit nicht zusammen
AP
/KIRSTY WIGGLESWORTH
B
leichmittel oder Knoblauch hel-
fen gegen das Corona-Virus.
Händewaschen zum Schutz vor
Coronaviren ist völlig nutzlos. Das Vi-
rus ist harmlos und kann mit Kochsalz-
lösung in vier Tagen gestoppt werden.
Das sind drei typische Beispiele für
Falschinformationen, die gezielt in so-
zialen Netzwerken platziert wurden.
VON CHRISTOPH B. SCHILTZ
AUS BRÜSSEL
Vera Jourova, EU-Kommissarin für
Justiz, Verbraucherschutz und Gleich-
stellung sagte WELT, es gebe derzeit
„einen großen Zuwachs an Corona-be-
zogener Desinformation“. Ziel sei eine
Destabilisierung der westlichen Gesell-
schaften durch Falschinformationen,
aber auch die Verstärkung bereits exis-
tierender Feindbilder bis hin zur Beein-
flussung von Wahlen.
Wie das genau aussieht, hat der Euro-
päische Auswärtige Dienst (EAD) in den
vergangenen Wochen ausgewertet. Der
Bericht aus Brüssel trägt den Namen:
„Covid-19 Desinformation“. Der EU-Au-
ßenbeauftragte Josep Borrell spricht
von „einer Pandemie an Informatio-
nen“. Systematisch fluten vor allem rus-
sische Medien die westlichen Staaten
mit Märchen über Corona. Aber auch
Peking rührt kräftig mit bei den Desin-
formationskampagnen.
Die dreistesten Lügen, die derzeit in
russischen Medien wie Sputnik, Rossija
24 oder auch dem Auslandssender RT
über das Virus verbreitet werden: Das
Coronavirus ist nicht in der chinesi-
schen Stadt Wuhan ausgebrochen, son-
dern in weltweit verstreuten Labors, die
in Besitz der US-Regierung sind. Der
grenzfreie Schengen-Raum existiert
nicht länger – die Europäer sind unter
Quarantäne und nur noch Flüchtlinge
können sich frei bewegen. Ein verborge-
ner Staat („Deep State“) nutzt das Co-
rona-Virus zur Bevölkerungskontrolle.
Laut Auswärtigem Dienst bereiten
russische Medien auch unterschiedliche
Botschaften für unterschiedliche Ziel-
gruppen auf. „Nachrichten, die das ein-
heimische russische Publikum errei-
chen sollen, beschreiben das Virus als
eine Form von ausländischer Aggressi-
on“, schreiben die Experten. In der Ana-
lyse heißt es weiter: „Nachrichten, die
sich an ein internationales Publikum
richten, stellen vor allem ab auf Ver-
schwörungstheorien über ‚globale Eli-
ten‘, die das Virus für eigene Zwecken
benutzen.“
Solche Verschwörungstheorien wür-
den auch gezielt auf dem Westbalkan
(Albanien, Serbien, Montenegro, Koso-
vo, Bosnien-Herzegowina, Nordmaze-
donien) eingesetzt. Ziel könnte sein, so
der Auswärtige Dienst, politische Geg-
ner zu diskreditieren oder die anstehen-
den Wahlen in Serbien und Nordmaze-
donien zu beeinflussen. Gleichzeitig
kann mit diesen Theorien auch Stim-
mung gegen Migranten in der Westbal-
kan-Region geschürt werden.
Aber auch China setzt gezielt Falsch-
informationen zu Propaganda-Zwecken
ein. Ein beliebtes Narrativ in den sozia-
len Medien lautet: Der Westen instru-
mentalisiert das Virus, um China zu
schaden und antichinesische Stimmung
zu verbreiten – dafür muss sich der
Westen bei China und beim chinesi-
schen Volk entschuldigen.
Ein weiteres Märchen lautet: China
und im Speziellen Parteichef Xi Jinping
haben einen herausragenden Job bei der
Eindämmung des Virus gemacht – das
beweist auch, dass ein zentralistischer
Staat mit solchen Krisen viel besser fer-
tig wird, weil es mehr Kontrolle gibt. Ein
weitere Botschaft, die gerne vom Regime
in Peking verbreitet wird: Der Westen,
und dabei vor allem die USA, sollten Chi-
na dankbar sein für die schnelle Eindäm-
mung des Virus – der Westen hat dage-
gen viel zu langsam gehandelt und befin-
det sich darum jetzt im Chaos.
Erfundene
Corona-News als
Propaganda
Russland und China
geben dem Westen Schuld
am Corona-Ausbruch
EINE PANDEMIE AN
INFORMATIONEN
JOSEP BORRELL,
EU-Außenbeauftragter
,,
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