SEITE 20·MONTAG,6.APRIL 2020 ·NR.82 Wirtschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
A
ngesichts einer dergrößtenTragö-
dien, die es seitJahrzehntenerlebt
hat, gibt es für Europakeinen ande-
renWeg, als Einigkeit und Solidarität zu
zeigen. Die Covid-19-Krise erfordertauf-
grund ihrer Einzigartigkeit und ihresAus-
maßes eine beispiellose Mobilisierung der
Mitgliedstaaten und der europäischenUni-
on in Bezug auf politische Steuerung, Ent-
schlossenheit und Ressourcen.Jeder ist
sichheutebewusst,dasskein Landund
auchkein Kontinentallein in der Lagesein
werden, diegesundheitlichen Herausforde-
rungen des Coronavirus allein zu bewälti-
gen. Ebenso wirdkein Land und auchkein
Kontinent alleininder Lagesein,sichden
wirtschaftlichen Herausforderungen dieses
Planeten, auf dem heutefastvier Milliar-
den Menschen –die Hälfte der Menschheit
–Ausgangsbeschränkungen unterworfen
sind, zustellen und sie zu meistern.
Die europäischen Länder habenunverzüg-
lich Notfallpläneaufgestellt, um den Cash-
flow-Bedarf vonruhenden undstillgelegten
Unternehmen zugewährlei sten. DerZugang
zu Liquidität istder zentraleSchlüssel. Es ist
dahervon entscheidender Bedeutung, dass
dieseUnternehmensichsehr schnell durch
staatlichgarantierte Kredite auf ihreBanken
verlassenkönnen.Die EuropäischeZentral-
bank hat ihrerseitssofor teinen zusätzlichen
Betragvon750 Milliarden Eurozugesagt.
Schließlichhat die europäischeKommission
unterUrsula vonder Leyendie Regeln zur
Haushaltsdisziplinvorübergehend aufgeho-
ben, um den Mitgliedstaaten die Möglichkeit
zu geben,unter diesen außergewöhnlichen
Umständen sichjenseits derMaastricht-Kri-
terien zuverschulden.
Dieseerste Reaktion an derFront warun-
erlässlich.Aber wir müssen jetztnochei-
nen Schrittweiter gehen, um dieKris ezu
stoppen,die Unternehmen zu schützen,die
Arbeitnehmer zu schützenund dann bald,
Landfür Land,die industrielleBasisund
den Binnenmarkt derUnionneu anzukur-
beln. Es liegt natürlichanjedemMitglied-
staat, seinen eigenen Schutzschild zu ent-
werfen unddie Höhe der Beträgezubewer-
ten, die zusätzliche Anleiheemissionen auf
den Märktenerforderlichmache nwerden.
Kein europäischerStaat hataufgrund der
jeweiligenfinanziellen Situation dieMittel,
einen solchenSchockallein zu bewältigen,
ohne zusätzliche Schulden zu machen.
Kein einziger.
Um dieseFrageder Finanzierung, die im
Mittelpunktder Herausforderungen für die
Union steht, zu beantworten, müssen wir
uns vondreiGrundsätzenleiten lassen:
- Kein Land soll ausgelassen werden.
- Keine Wirtschaftdarfein isoliertes
Opfer derPandemie sein. - AlleMitgliedstaaten müssen unter
vergleichbaren Bedingungenfairen
Zugang zu der zurFinanzierung
ihrer Pläne erforderlichen
Verschuldung haben.
Eines istsicher,der Gesamtfinanzierungs-
bedarfder 27 Mitgliedstaaten mussinei-
nem angemessenenVerhältnis zu den Bei-
trägenstehen. Sostelltbeispielsweise allein
der Plan des Deutschen Bundestages, zusätz-
lich356 Milliarden Euro auszugeben,
ProzentseinesBIP.Wenn wirvon diesen 10
Prozentfür die EuropäischeUnionausge-
hen,könnteder zusätzlicheFinanzierungs-
bedarfdannineinerGrößenordnungvon
1500bis 1600Milliarden Euro liegen, di edi-
rekt in dieWirtscha ft fließenkönnten.
Zusätzlich zu denvonder EZB zurVerfü-
gunggestellten Instrumentenund Mitteln
bedeutet ein solcher Betrag, dasszusätzli-
cheInstrumente gefundenwerden müssen,
um einengleichberechtigten undfairen Zu-
gang jedes Mitgliedstaates zu der zurFinan-
zierung seines jeweiligen Plans erforderli-
chen Verschuldung zugewährleisten. Die-
ses Prinzip istentscheidend, um „gleiche
Wettbewerbsbedingungen“ zugewährleis-
ten, natürlichzwischen den EU-Mitglied-
staaten, aber auchzwischen Europa und
den VereinigtenStaaten, deren Plan bereits
umgesetztworden is t. Undwie imFalle der
VereinigtenStaaten gibt es nur einZeitfens-
ter: Es ist jetzt, nicht erst in sechs Monaten.
Diesezusätzliche Unterstützungkann
aus bestehenden oder nichtvorhandenen,
nichtvertraglichvereinbartenInstrumen-
tenkommen, die eineWeiterentwicklung
ermöglichen würden.ZumBeispiel durch
die Nutzung der Interventionsmöglichkei-
tendes Europäischen Stabilitätsmechanis-
mus (ESM)–aber in einerinnovativen Art
und Weise und unterÜberarbeitung seiner
Konditionalitätskriterien, die gelockert
und auf die für die Krise nötigeAntwort
neu ausgerichtet werden müssen. Oder die
EuropäischeInvestitionsbank(EIB), die
ihreEingreifmöglichkeiten innerhalb eines
mit der Dringlichkeit der Situationkompa-
tiblenZeitrahmens erweiternkönnte.All
dieskönnteden 100-Milliarden-Euro-Me-
chanismus ergänzen, den dieKommission
gerade vorgeschlagen hat, um den Arbeit-
nehmernzuhelfen, ihr Einkommen zu si-
chern(SURE).
Angesichts der Höhe der Beträgewirdje-
dochzweifellos eine vierte Säuleeuropäi-
scher Mittel erforderlic hsein. Wiedie EZB
im Währungs- undFinanzbereich müssen
die Mitgliedstaaten nungemeinsam Ent-
scheidungs- und Innovationsgeistbewei-
sen.Zum BeispielinFormeines möglichen
EuropäischenFonds, dessenexplizite Funk-
tiondie Ausgabe langfristiger Anleihen er-
möglichen würde. Eswäre auchdurchaus
möglich,warumnicht, einem solchen un-
konventionellenFinanzierungsinstrument
Steuergelder zuzuführenund es mit einem
Governance-System auszustatten, das es er-
möglicht, jedes moralische Risikozuver-
meiden,insbesonderemit einemFinanzie-
rungsziel, dasstrikt aufgemeinschaftliche
InvestitionenindustriellerRevitalisierung
im Rahmen der aktuellen Krise begrenzt
wäre.Unter Berücksichtigungder Dring-
lichkeit und desAusmaßes der Bedürfnisse
würde diese Idee es erlauben,die vonKom-
missionspräsidentinvonder Leyengefor-
derte Aufs tockung des EU-Haushaltsvor-
wegzunehmen und zukomplementieren.
Diese Ideeliegt jetzt auchauf demTisch.
Die Zeit wirdknapp. DieUmstände erfor-
dernKreativität.
Europa hat aus früheren Krisenge-
lernt.Angesichts dergegenwärtigen Kri-
se werden wir die historische Herausfor-
derung meistern.Wirsind zuversicht-
lich, dassEuropa in der Lagesein wird,
unerschütterliche Solidaritätzuzeigen,
um gestärkt aus dieser beispiellosen Si-
tuation hervorzugehen.
DieAutoren sind die Europäischen
Kommissarefür den Binnenmarktund für
wirtschaftliche Angelegenheiten.
Wirbrauchen einevierte europäische Säule
Thierry Breton undPaolo Gentiloni
STANDPUNKT
V
iele Regierungen schnüren Hilfs-
paketegegen das Coronavirus.
StrukturpolitischeFragenwer-
den aufgeschoben.Nicht so in
der Ukraine. Dortsei die Corona-Krisege-
radezuein Reformbeschleuniger,sagt Ro-
bertKirchner.Der Wirtschaftsexperte be-
rät imAuftragder Bundesregierung die
RegierunginKiew.Ersagt:„OhnedieEpi-
demie hätteesdie Parlamentsbeschlüsse
zur Landreform und das Bankengesetz
jetztwohl nichtgegeben.“
Seit JahrenbedrängenWeltbankund In-
ternationalerWährungsfonds dieRegie-
rungen, den in der Bevölkerung unbelieb-
tenHandelmit Ackerflächen zuzulassen.
Das andereGesetz, das „Bankengesetz“,
istvor allem bei einem unbeliebt:dem
Oligarchen IgorKolomoiskij. Denn der
endgültigeBeschlusswürde dieRückgabe
seinervorJahren in der Kriseverstaatlich-
ten„Privatbank“verhindern. Die alterna-
tiv vonKolomoiskijgeforderte Entschädi-
gungwäre auchobsolet. Beide Gesetze
hat derWährungsfondszur Bedingung für
Hilfengemacht.Die br aucht Kiew dringen-
der als nochkürzlichgedacht.
Im Januar hatte dieRegierung um Präsi-
dentWolodymyr Selenskijauf solider Ba-
sis geplant.Mit 3,5 Prozentwardas Wachs-
tum 2019 sostarkwie seit8Jahren nicht
mehr,die Devisenreservensohochwie zu-
letzt 2013, die Inflation lag im Zielkorri-
dor,das Defizit mit2Prozent, die Staats-
verschuldung mit 52 Prozent des Bruttoin-
landsproduktes niedrig. Selbstder Gas-
streit mitRusslandwarbeigelegt.
Zwei Monatespäter sind nicht nur der
Premierministerund wichtigeFachminis-
ternicht mehr im Amt.Das wirtschaftli-
cheBild hat sichdurch Coronagewandelt
–auchwenn es in dem 40-Millionen-Volk
nur an die 1000 bestätigte Infiziertegibt.
„Expertenmeinungen gehenvon einem
Schrumpfen derWirtschaftinder Ukraine
von5Prozent bis vielleichtsogar mehr als
20 Prozentaus“,sagt Alexander Markus,
Vorstandsvorsitzender der Deutsch-Ukrai-
nischen Außenhandelskammer in Kiew.
Gunter Deuber,Chefvolkswirt der in
der Ukrainestarkengagiertenösterrei-
chischenRaiffeisenbank International, lis-
tetProbleme auf: „Auslandsnachfrage
schrumpft, Lieferket ten werden unterbro-
chen, Gastarbeiterkehren zurück. Das ver-
schärft die Krise,weil ihrezuletzt auf bis
zu 12 Milliarden Eurogeschätzten Aus-
landsüberweisungennun erheblichgerin-
gerausfallenwerden, waswiederum die
inländische Nachfrag edrückenwird.“
Schon erwartet das Kiewer„Centerfor
EconomicStrategy“ein Budgetdefizitvon
10 statt 2Prozent.Die Außenhandelskam-
merhat dieserTage einen Brandbrief an
Präsident Selenskijgeschickt.Esbestehe
die Gefahr,dassdie Ukraine ausländische
Investorenverliere,falls dieRegierungkei-
ne flexiblerenRegeln einführewie Kurzar-
beitergeld oder die Betriebe alternativ mit
Überbrückungskrediten zu subventionier-
tenZinsen mit zusätzlicher Liquidität aus-
statte.
Dochauchder Regierungfehlt es an
Geld. „Die Regierung hatgegenwärtig
Schwierigkeiten,Geld an den internatio-
nalen Märkten aufzunehmen“, sagt Kirch-
ner. Dabei brauche sie allein zur Schulden-
tilg ung vier Milliarden Dollar. In der Lage
hatteIWF-Direktorin Kristalina Georgie-
wa Ende Märznocheinmal klargestellt,
dassBank-und Landreformgesetz Bedin-
gung für das neue Hilfsprogramm sei, das
dann aber „ingrößeremUmfang alsvor-
her angekündigt“ ausfalle. Tatsächlich
will der IWF der Ukraine nun8Milliarden
Dollarstatt 5,5 Milliarden Dollargeben.
Zwei Milliarden DollarvonEUund Welt-
bankkönntenfolgen.
Vordem Hintergrund berietdas Parla-
ment zweiTage späterbeide Gesetze. Es
sei ein „wahrerPolitkrimi“gewesen,sagt
BeateApelt, Projektleiterin Ukraine der
Friedrich-Naumann-Stiftung in Kiew.
Während das Bankgesetz nochendgültig
beschlossenwerden muss, istdie Landre-
form angenommen. DemnachkönnenPri-
vatleutevon Juli2021 an bis zu 100 Hekt-
ar Ackerland kaufen. Ab 2024 dürfen
dann auchjuristische Personen bis zu
10 000 Hektar erwerben. Derzeit profitie-
rengroße Landwirtschaftskonzernevon
den niedrigen Beträgen, zu denen Kleinbe-
sitzer ihr Landverpachten. DieWeltbank
weistschon langeauf das auchvolkswirt-
schaftlichePotentialhin, das brachliege,
weil Ackerbodendem Wirtschaftskreis-
lauf weitgehend entzogen sei.
Zwarverfügedie Ukrainemit 33 Millio-
nen Hektarüber diegrößten Landwirt-
schaftsflächen in Europa.Dochzeigten
alleIndikatoren,dasssiediemitAbstand
niedrigstenPachtpreise, diegeringste Pro-
duktivität, Investitionsquote und Wert-
schöpfung habe. Apelt bewertet das Ge-
setz deshalb positiv:„Die Möglichkeit,
Ackerland zukaufen und zuverkaufen,
wirdder Landwirtschaft–eigentlicheiner
Lokomotiveder ukrainischen Ökonomie–
einenerheblichen Schubgeben.“
Der ukrainische PräsidentSelenskijmit Mundschutz imParlament FotoEPA
Virusals Reformbeschleuniger
Mitten in der
Corona-Krise beschließt
Kieweine umstrittene
Landreform. Das hat
besondereGründe.
VonAndreas Mihm,Wien
Sinnvoll wäre ein
EuropäischerFonds, der
Anleihenausgebenkann.
BRIEFE AN DIE HERAUSGEBER
Als am 31. Märzder italienische Minis-
terpräsident die Deutschen ansprach,
fiel uns der unvergessliche Ciceroein,
der denrömischen Senat zum entschlos-
senen Handeln aufrief, als Catilina das
Imperium bedrohte: „Quo usque tan-
dem abuterepatientia nostra–Wie lan-
ge willstduunsereGeduld missbrau-
chen!“ Werheuteeuropäischdenkt,
dem brennt dieselbeFrageauf den Lip-
pen:Wielang wollen wir nochwarten?
Europa istbedroht, seineWirtschafts-
ordnung, Grundrechtesind außer Kraft,
Lastwagen transportieren Leichen zu
Tausenden, dochdie Staaten igeln sich
ein, Ängste und alteVorur teile regieren.
Wieschlimm müssen die Bilder noch
werden, ehe Europa als Ganzes er-
wacht, um im MiteinanderstattGegen-
einander sein Heil zu suchen?
Der italienische PublizistPhilippe Da-
veriohat an jenen Mythos Homersund
Vergils erinnert, der sichseit 2750 Jahren
im schönstenSinne „pandemisch“ und
identitätsstiftend in Europaverbreitete:
Äneas entflieht dem BrandTrojas,Vater
und Sohn auf seinenSchultern.Vergil hat
dies denRömernals Mahnungvorgehal-
ten: Humanität, Pflicht und Liebegegen-
über Hilfsbedürftigen, ja sogar die Migra-
tion alsKeimzelle und tragende Säule
Roms zuverstehen: ein Appell in erstaun-
licher zeitlicherNähe zur GeburtChristi
und direkt anKaiser Augustusgerichte t.
Seuchenkönnen jeden treffen, wie Fi-
nanzkrisen,Klimaveränderung, Flächen-
brände: all daskann mangemeinsam mit
Wissen undVernunftbewältigen. Doch
jedeKette, jedeStaatengemeinschaftist
nur sostarkwie ihr schwächstes Glied.
WerKranken die Hilfeversagt, handelt
unmoralisch.Ein Staat, der dem befreun-
detenStaat Hilfeinder Notversagt,han-
delt dazu nochbrandgefährlich, denn ein
scheiternderStaat isteine Gefahr für die
Demokratie.Das wissen wir Deutschen
und Italiener.
„Nicht der Kranke, sonderndie Seu-
cheist zu bekämpfen“–war mein Cre-
do, als Aids ausbrach. Dashat seine Gül-
tigkeit undkann eins zu eins auf diePoli-
tik übertragenwerden: Nicht Staaten,
sonderndie Krisensind zu bekämpfen!
Gefährlicher als jedesVirussind die epi-
demischenNebenwirkungen im politi-
schen Bewusstsein:Populismus, Schuld-
zuweisungen und alles,wo jeder nur
sichselbstder Nächsteist.Staatenkön-
nen nichtgerettetwerden,wenn die Hil-
fe nichtweitsichtigkommt.Esgeht jetzt
um die europäische Zukunft, das istim-
mer auchdie unsrige, esgeht um das
Vertrauen, das sichDeutschland erwor-
ben hat.Die Folgen unseresHandelns
wirkenüber die akutemedizinische Kri-
se hinaus, deshalb gilt:Vertrauenstär-
ken, Gegensätze überwinden, europäi-
sche Strategien entwickeln, die wirt-
schaftliche Lastverteilen, zumNutzen
aller.Esgeht um uns,wenn wir über Ita-
lien, Spanien oderFrankreichreden
und diese Länder zuwanken beginnen.
Es geht jedenTagumuns im Europa,
das aufVertrauen undHilfsbereitschaft
gebaut iststatt aufVerachtung und
Nichtbeachtung. Gemeinsamkann Eu-
ropa alles schaffen, aberkaum zu schaf-
fenist es für ein Land, jeneVerachtung
zu überwinden, die es trifft,wenn es
sichvon derVerzweiflung undNoteines
anderen Landes gleichgültig abwendet.
ULRICHVON PETERSDORFF UNDSABINA
MAGNANI-VONPETERSDORFF,BERLIN
„Corona istkeineStrafe Gottes.“ So hat
es unser hochverehrterMünchnerKardi-
nal Marxbehauptet. Undwenn es doch
eineStrafeGottes ist, das Coronavirus?
Könnteesnicht eineStrafefür unseren
Hochmut sein,ohne Gott auskommen
zu wollen,wodoch nur nochgut die
Hälfte der Deutschen Mitglied derka-
tholischen oderevangelischen Kirche
ist? Istnichtwahrlic hjetzt diegroße
Pause gegeben zumNachdenken über
das Wesentliche unseres Lebens? Eine
stille Zeit für unserganzesVolk und für
ganz Europa ohneall das laute Trallala
vonden Fußballplätzen, Beat- undPop-
Shows in unserenZentren, dasswir
deutlich spüren, wir haben unser Leben
nicht in der Hand?
Es bekommt uns nicht,wenn wir mei-
nen, unser Leben selbstbestimmenzu
können,wenn wir nur nach Cashund
Gold schielen,wenn wir abtreiben,weil
es unsgerade nicht in den Kram passt,
ein Kindzuhaben,wenn wir unserLe-
ben selbstendenlassen wollen,wenn
wir leben, „wie es euchgefällt“, und
nicht mehr nachdem Schöpfer und Erlö-
ser fragen? Es zeigtWirkung, dassder
Name JesusinunseremVolk immer
mehrverstummt, dasswir Gott ins Mit-
telalterverbannen wollen,zueinem
„Märchenbuch-lieber-Gott“ (Wolfgang
Borchert) machenwollen, dassviele
ziellosdurch ihr Leben taumeln undwe-
der vomDornbuschnochvon denZehn
Geboten,nochvom Kreuz Christi und
seiner Erlösungetwaswissen.
Waskönnen wir dagegen tun? Haben
wir Christen jetzt nocheine Chance?
Liegt es nur an unserer (Kirchen-)Spra-
che–wie jetzt wiederbehauptet wird?
Oder liegt es nicht vielmehr daran, dass
auchvielen unter uns der lebendige
Glaube abhandengekommen istüber all
den maßlosen, angeblichsowichtigen
Überflüssigkeiten unsererZeit, mit de-
nen wir tagtägl ichgefüttertwerden?
Die Corona-Zeit–wir können sie nicht
besser nutzen, als uns darauf zu besin-
nen, dassjetzt die Gelegenheit da ist,
aus diesergroßenPause eineFasten-
und Bußzeit zu machen, eineZeit zum
Gebetund zumUmdenken.
GERHARDNÖRR, GRÜNWALD
StefanTrinks(F.A.Z. vom27. März)
schreibt zuRecht, jederstehe kopfschüt-
telnd vorleergekauftenKlopapierrega-
len. DiesenNotstand kannteman aller-
dingsnur in der unmittelbarenNach-
kriegszeit und nicht in den Jahren bis
zur Grenzöffnung 1989, als man,woran
StefanTrinksentgegen der Logik,aber
amüsant erinnert, mit blütenzartem
Vierlagigem die Ostverwandtschaft
über das sandpapierrauhegraue DDR-
Klopapierhinwegtröstenkonnte. Als
historischeReferenzzeit legitim istda-
her nur der Hinweis auf die unmittelba-
re Nachkriegszeit.
Hilfreichwäreallerdings gewesen,
wenn erwähnt worden wäre,wie diege-
plagtenMenschen aus derNachkriegs-
zeit diesemNotstand begegneten. Als je-
mandem, der dieseZeit nochbewusst
miterlebt hat, steht mirein kleines
selbstgebautes Holzkästchen vorAu-
gen, welches neben dem Klosettstand
oder angehängtwordenwar. Hierin la-
gendie sorgfältiggeschnittenenStücke
der Tageszeitung mit dem positivenNe-
beneffekt,manches bequem sitzend in
Ruhe nocheinmalnachlesenzukön-
nen.
Alleindie Samstagsausgabe dieser
Zeitungmit 20 Blätternhilftzueinem
Vorrat von514 StückKlopapier (
cm^2 20 =72000 cm^2 :140 cm^2 =
514,2857142)! „Atemlosigkeit über
das mühseligeErbeuten des Schatzes
wie auch der unbedingte Wille zu des-
sen Verteidigung“könnenalsovermie-
den werden. Das Zuhausebleibenkann
somitgesundheitsfördernd mitgeduldi-
gemZuschneiden nicht nur dieserZei-
tung ausgefülltwerden.
DR.DIETERRABE, FREIBURGI.B R.
In Ihrem Bericht „Diegroße Fehlkalku-
lation“vonHeikeSchmoll (F.A.Z.vom
- April)wirdder Nothilfedirektor der
WHO,MichaelRyan,mit denWorten
zitiert, er ratedavon ab, Mundschutz zu
tragen, „wenn man nicht selbstkrank
ist“. Die eklatanteBesonderheit des Co-
vid-19-Infektes besteht darin, dassin
der sogenannten präsymptomatischen
Phase Patienten bereits ansteckend
sind. Die Ansteckungsgefahr beginnt
etwa 2,5 Tage vorAusbruchder Sympto-
me und isteinen halbenTagvor der sub-
jektivenWahrnehmung der Erkrankung
durch den Patienten am höchsten.
Ein einfacher Mundschutz würdege-
nau in dieserZeit andereMenschenvor
Ansteckung schützen. Der Rat, erst
dann einen Mundschutz zu tragen,
wenn man krank ist, istgefährlich,weil
das Tragen des Mundschutzes damit zu
spät begonnen wird, um dasWeitertra-
gendes Viruszuverhindern. DieserRat,
erst dann einen Mundschutz zu tragen,
wenn man Symptome hat, hilftgerade-
zu, dasViruszuverbreiten.
Es wäre auchnicht nützlich,wenn in
dieser Phase eine FFP2-Maskegetragen
werden würde, weil ein kranker
Mensch, der eine FFP2-Maske trägt,
durch das Ausatemventil dasVirusver-
breitenkann. Beim krankenPatienten
istder einfache Mundschutz sinnvoller
als die FFP2-Maske. Die FFP2-Maske
hilftnur einem sichergesunden Men-
schen (Krankenschwester, Krankenpfle-
ger, Arzt), sichvor einem sicher kran-
kenPatienten zu schützen. Durch diffe-
renzierte und sinnvolle Anwendungvon
Atemschutzmaskenkönntedie Verbrei-
tungdes Virussehrwirksam undkosten-
günstig eingedämmtwerden.
DR.MED. CLAUSCZAKANSKI,
FRANKFURT AMMAIN
JaspervonAltenbockumschließt seine
nachdenklichmachende Leitglosse
„KeinTrost?“ (F.A.Z.vom31. März)
mit denWorten: „Wer Trostsucht oder
spenden will, wirdihn derzeit ohnehin
eher nicht inPolitik,Wirtschaftoder
Wissenschaftfinden.“Nachder Vernei-
nung erwartet man eine mit „sondern“
eingeleiteteErgänzung.Noch vorein,
zwei Generationen hättesie wohl gelau-
tet: sondernimGlauben. Man kann
sichnur verwundertdie Augenreiben,
dassRepräsentanten der Kirchen ange-
sichts der Corona-Krise wiestumm wir-
ken. Als Gesprächspartner sucht man
sie in den Medienvergeblich.Könnte es
sein, dasskaum jemand sie dortver-
misst?Wie soll man sicherklären, dass
selbstdas Verbotfür die Christen, sich
zur Feier des Gottesdiensteszuversam-
meln–ein Wesensmerkmal der Kir-
chen seit ihren allerersten Anfängen,
nicht einmalvonden Nationalsozialis-
teninFrage gestellt –,statt weithin hal-
lender Klageallenfalls ein zustimmen-
des Gemurmel ausgelösthat?
DR.NORBERTOHLER, HORBEN
Es istschade, dassder Beitrag „Ge-
schlossene Gesellschaft“vonGertrude
Lübbe-WolffimFeuilletonder F.A.Z.
vom24. Märzsteht und nicht imPolitik-
teil. Die Mahnung derAutorin, dasses
auf das „Maß und Ziel“ der Einschrän-
kungen ankommt, die imKampfgegen
das Coronavirus umgesetztwerden, rich-
tetsichnämlichinersterLinie an diePo-
litik! Diese musssichüberlegen, ob eine
rigorose „Schließung“vonGesellschaft
und Ökonomie opportun ist.
Die Politik istauf eine funktionieren-
de („offene“) Gesellschaftund Ökono-
mie essentiell angewiesen: Hier–und
nirgendwosonst–wirdder Reichtum
produziert, der staatliches Handeln
überhaupterstmöglichmacht .Dassauf
den Straßen Menschen sterben (ein
Tempolimit 130 odergar100 würde die
Automobilindustrie in denAbgrund rei-
ßen!), wirdgenauso achselzuckend hin-
genommen wie dieTodesopfer,die Ta-
bak,Alkohol und Zuckerfordern. Bei
den Abgasen gibt es Grenzwerte für das
abwägende Kalkül, welches Maß an
Schädigung derVolksgesundheitman
sichleisten will–ohnedassdie produkti-
ve Basis der Gesellschaftzusehr zu be-
einträchtigtwerden würde.
In der aktuellen Corona-Krise
scheint all dasvergessen zu sein,von
MarkusSöder populistischauf den
Punktgebracht:„JederToter istein To-
terzu viel.“ Dagegen plädiereich dafür,
auchinder Corona-Krise nicht nur den
Kopf, sondernauchdie Achseln zu nut-
zen! Dennwenn die Ökonomie auch
nur mittelfristig in einen Shutdown ein-
gefroren wird,werden wir uns bald
nicht einmal mehr ein Gesundheitssys-
temleistenkönnen!
PD DR.BERNDKIEßLING,BIELEFELD
Lisa Beckerzitiertinihrem Bericht am
- März(„Keine Schule–aber Unter-
richt“) einen engagierten Gymnasialleh-
rer, der Videokonferenzen mit seinen
Schülernfür verzichtbarhält.Sein Argu-
ment: „Schon bestehendeUnterschiede
könnten sichvertiefen.“ Dieser Satz gilt
für Unterricht mit digitalen Medien all-
gemein, und er giltfatalerweise ganz be-
sondersindieserZeit, da der direkte,
persönliche Kontakt zwischen Lehrer
und Schülerfehlt.
Jeder Lehrer,der digitale Medien in
seinemUnterricht auchzunormalen
Zeiten eingesetzt hat,kennt das: Die
leistungsstarkenSchüler laufen den an-
deren davon, auchwenn es nur um eine
zeitlichbegrenzteUnter richtsphase so-
genannten selbständigen Arbeitens im
Klassenzimmergeht.Ein Schüler,der es
gelernt und derFreude an problemlösen-
dem Denken hat, wirdjetzt die media-
len Angebote mit Gewinn nutzen.Wer
bereits im Klassenverbandwenig moti-
viertwar und Schwierigkeiten mit dem
Stoff und mit derTechnik hatte, der
wirdnochschneller aufgeben,wenn der
anleitende und ermunternde, jederzeit
Fragen beantwortende Lehrer nicht an
seiner Seiteist.TechnischeAusstattung
istdas eine, Handhabungskompetenz ist
das –wichtige–andere. Das beginnt be-
reits bei kleinen technischen Proble-
men. Eine E-Mail oder das Dokument
mit den Arbeitsaufträgen lassen sichzu
Hause nicht spontan öffnen; die sorg-
sam zusammengestellten Materialien
lassen sichauf dem heimischenRechner
nicht darstellen; der Zugang zu der in
letzterZeit of terwähnten undvonvie-
len SchulengenutztenKommunikations-
plattformIServfunktioniertnicht ;Da-
teien sind plötzlichverschwunden oder
unvollständig heruntergeladen. Schü-
ler,denenes„vorCorona“schon
schwerfiel, mitZeit und Materialien ef-
fektiv umzugehen,sindmit dem hohen
Maß an Eigenverantwortung überfor-
dert.
Wer„vorCorona“ eineschlechte
Note im Arbeitsverhalten hatte, der ist
jetzt auchkein guter E-Learner.Gut ha-
ben es diejenigen, deren Eltern sich
kümmern.Noch besser dran sind dieje-
nigen, die sich womöglichmit Vater
oder Mutter austauschenkönnen, die
im Homeoffice durchausvor ähnlichen
Herausforderungen stehen. Es kann
garnicht anderssein:Die Leistungsun-
terschiedewerden sichvergrößern. An-
erkennunggebührtdeshalb denLeh-
rern,die jetztWege suchenund finden,
nicht nurimNetzpräsent, sondern
auchfür ihreSchüler persönlich da zu
sein. Sie sindsystemrelevant.Für die
Zeit na ch Corona.
ULRIKE ORDON,SALZGITTER
Es geht um die Zukunft Europas
Wann Mundschutz sinnvoll ist
Ohne lautesTrallala
NurGemurmel
In derNotwächs tdas Erfinderische auch
Gegen Schließung
Digitale Medien schaden Schülern