Süddeutsche Zeitung - 21.03.2020

(C. Jardin) #1

Neues Entertainment



  • drei Streaming-Filmpremieren
    der Wochet  Seite 17


DEFGH Nr. 68, Samstag/Sonntag, 21./22. März 2020 HF2 15


FEUILLETON


Ich bin gesund – und glücklich, wie im-
mer. Es ist ungewöhnlich für mich, zu Hau-
se zu sitzen, also ist es wohl ein Zustand,
den man genießen muss. Arbeit gibt es ge-
nug – mit und ohne Klavier – und dazu
kann man Dinge tun, für die man sonst nie
Zeit hat. Ich widme mich meiner Foto-
sammlung, schaue alte und neue Filme,
die ich mir normalerweise nie ansehe. Neu-
es Repertoire kann ich mir jetzt ganz ge-
mächlich aneignen. Ich lese Bücher und
gehe spazieren, hier ist es ja noch Winter –
langweilig ist mir in keinem Moment. Wie
ich höre, ist in Europa schon Frühling.

Jan Lisiecki, geboren 1995 in Kanada, ist
klassischer Pianist

FOTO: NETFLIX

Graham Swift erzählt in
„Da sind wir“ virtuos von einer Frau zwischen
Zauberei und Magie  Seite 18

Täglich bekomme ich Mails mit Absagen.
Das bedeutet, dass ich in den kommenden
Wochen und vielleicht Monaten keine Ein-
künfte durch Lesungen haben werde. Das
ist hart. Das Geld, das ich mit Lesungen
verdiene, macht einen Großteil meines
Einkommens aus. In mageren Zeiten,
wenn die Honorare für meine Bücher be-
scheiden ausfallen, kann ich das durch Le-
sungen, Vorträge oder Seminare gut aus-
gleichen. Dieser Ausgleich fällt jetzt weg.
Jetzt kommt auch noch Pech dazu. Aus-
gerechnet in diesen Tagen ist ein neues
Buch von mir auf den Markt gekommen.
Zwar nur die Taschenbuchausgabe eines
bereits erschienenen Buches über Diet-
rich Bonhoeffer. Aber jede Neuerschei-
nung bekommt normalerweise Aufmerk-
samkeit. Der Kreis an Leserinnen und Le-
sern erweitert sich, dadurch ergeben sich
Lesungsanfragen. Das ist auch eine Wir-
kungskette, die jetzt unterbrochen ist.
Da heuer die Buchmessen in Bologna
und Leipzig ausfallen und jetzt viele Buch-
handlungen schließen, fehlt die nötige
Werbung oder Möglichkeit zur Präsentati-
on. Ich stelle mir vor, wie meine Bücher in
den Regalen einer Buchhandlung auslie-
gen und keine interessierte Leserin, kein
neugieriger Leser danach greift. Lesun-
gen oder Vorträge sind aber nicht nur eine
wichtige Einnahmequelle für mich. Sie bie-
ten eine Gelegenheit, nahe an Leserinnen
und Leser heranzukommen. Da meine Bü-
cher auch für Jugendliche gedacht sind,
werde ich oft in Schulen eingeladen. Die
Reaktionen der jungen Leute sind unver-
blümter als die von Erwachsenen und ein
wichtiges Korrektiv. Auch die Schulen
sind jetzt geschlossen. Und ich fürchte,
dass nach der Krise mit Hochdruck das
Versäumte nachgeholt werden muss. Für
Lesungen wird da kaum Platz sein.
Einen Vorteil hat die jetzige Lage. Ich
kann mich in Ruhe dem Schreiben wid-
men. Allerdings – meine Bücher leben von
der Recherche. Ich bin auf die großen Bi-
bliotheken in München angewiesen, die
Bayerische Staatsbibliothek, die Stadtbi-
bliothek im Gasteig. Beide sind geschlos-
sen. Mir fehlen wichtige Quellen. Ich muss
also schauen, dass ich mit dem zurecht-
komme, was ich habe, oder verstärkt das
Internet nutzen – oder dazu übergehen,
Krimis und Science-Fiction zu schreiben.

Alois Prinz, geboren 1958, ist Autor

Unsere Tänzerinnen und Tänzer sind erst
mal 14 Tage freigestellt. Wir müssen wäh-
renddessen Szenarien für den Rest der
Spielzeit entwickeln. Geplant waren zwei
Premieren – die eine mit Arbeiten von
Mitgliedern der Kompanie fällt auf jeden
Fall flach. Vielleicht zeigen wir sie online.
Wir denken über kostenlose Streaming-
Angebote nach, damit wir trotz der Thea-
terschließung mit unserem Publikum in
Verbindung bleiben. Die Produktion ist
fertig – es war ein Schock, sie nicht zei-
gen zu können. Inzwischen denke ich:
Lasst uns auf die Chance in alldem schau-
en. Wenn wir den Abend online präsentie-
ren, können die Jungchoreografen ihre
Kreationen persönlich vorstellen.
Ich selbst habe noch eine andere Idee,
getreu meiner persönlichen Mission: Alle
sollen tanzen! Wann wäre das wichtiger
als jetzt, wo sich das Leben in den eigenen
vier Wänden abspielt? Bisher habe ich im-
mer mal wieder unsere Zuschauer zum
Tanzen animiert – mit kleinen, einfachen
Choreografien. Damit will ich jetzt online
gehen: zehnminütige Workshops für zu
Hause. Sobald die Technik steht, soll’s los-
gehen – von meinem Wohnzimmer in Ihr
Wohnzimmer sozusagen. Und sonst? Ste-
hen wir vor großen gesellschaftlichen
Herausforderungen. Das verlangt von
uns allen etwas, das im Tanz selbstver-
ständlich ist: Solidarität und Empathie.

Eric Gauthier ist Künstlerischer Leiter
am Theaterhaus Stuttgart

Plötzlich Zeit. Keine Buchpremiere, keine
Lesereise. Gestern war ich im Keller, wo
seit einem Jahr meine alte Stereoanlage
von Sony steht, deren CD-Wechsler ka-
putt gegangen war – mit fünf Lieblings-
CDs, die das Gerät nicht mehr spielte, aber
auch nicht mehr hergab. Tatsächlich konn-
te man fünf CDs gleichzeitig einlegen und
dann, fast wie bei einer kleinen Musicbox,
per Tastendruck auf orange leuchtende
Knöpfchen eine davon auswählen. Die
schließlich, je nachdem, wie hoch oder tief
sie gerade im CD-Wechsler lag, mit einem
rhythmisch sehr klaren und erstaunlich
angenehmen „Rattammtamm-rattamm-
tamm-rattam“ (ein Geräusch wie im Zug,
als wäre man irgendwohin unterwegs, sit-
zend im eigenen Zimmer) in Abspielpositi-
on transportiert wurde. War die Fahrt zu
Ende, kam noch ein melodischer Pfiff,
sehr leise und verheißungsvoll, und dann:
die Musik. Immer hatte ich mir für einen
Tag, an dem ich „mal richtig Zeit“ haben
würde, wie man so sagt (und kaum daran
glaubt, dass dieser Tag jemals eintreten
wird) vorgenommen, die Anlage zu zerle-
gen und meine Lieblings-CDs zu befreien.
Gestern gab es diesen Tag. Vier Kreuz-
schrauben auf jeder Seite und ein biss-
chen Gewalt, was mir auch ein wenig weh-
tat – über 20 Jahre lang hatte mich dieser
silbergraue, im Dunkel orange leuchtende
„Hi-Fi-Turm“ begleitet durch meine
Schreibexistenz (in guten und schlechten
Nächten), mit seinem Radio, seinem dop-
pelten Kassettendeck und überraschen-
den Funktionen wie „Einschlafen mit Mu-
sik“. Wirklich Umwerfendes, Bahnbre-
chendes ist nicht erfunden worden seit-
dem. Oder doch: Ich kann hinterm Haus
spazieren gehen, im mittelmärkischen
Kiefernwald, und zugleich über Kopfhö-
rer die Band meines Sohnes hören (foot-
print project), die nächste Woche auf der
Buchpremiere meines Romans „Stern
111“ gespielt hätte. Für Jazzmusiker, die
von Live-Auftritten leben, von Festivals,
Engagements in Clubs oder Bars, ist die
Situation ohne Zweifel noch schwieriger
als für Schriftsteller, die eventuell Auf-
tragsarbeiten haben, die sie daheim am
Schreibtisch erledigen können, und die es
ohnehin gewohnt sind, allein zu sein mit
ihrer Arbeit. Überhaupt ist jetzt Schreib-
zeit. Die richtige Zeit, um heimzukehren
in den Heimathafen der Gedichte. „Geh
mit der Kunst in deine allereigenste Enge.
Und setze dich frei“, rät Paul Celan in sei-
ner Büchnerpreisrede, und: „Das Gedicht
sucht, glaube ich, auch diesen Ort.“

Lutz Seiler, geboren 1963, ist Autor

Die Corona-Krise bringt uns Architekten
in eine große Unsicherheit, und wir fragen
uns: Wie wird die wirtschaftliche Lage un-
serer Auftraggeber danach sein, und kön-
nen unsere Projekte danach wie geplant
weiterlaufen? Werden unsere Leistungen,
die wir schon erbracht haben, jemals be-
zahlt werden können?
Umso unabhängig wie möglich zu sein,
habe ich mein Büro in den letzten Jahren
immer klein gehalten: Ich will flexibel auf
jeden Umstand reagieren können, ohne
übergroße finanzielle Verantwortung,
und so wird mein Büro auch durch diese
Krise kommen.
Freie Zeit habe ich derzeit eher weni-
ger: Ich arbeite an meinem Forschungs-
projekt „zoomtown“ für die Universität
Linz und für mein Büro im Home-Office,
ich telefoniere stundenlang mit Studentin-
nen und Studenten, mit Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern und kommuniziere via
Skype. Ich bin mir sicher: Vieles in Europa
muss sich jetzt verändern und vieles wird
sich jetzt verändern. Ich bin optimistisch
und weiß, in schwierigen Zeiten entste-
hen Visionen für die Zukunft.
Meine Vision: Die europäische Idee
wird eine städtebauliche und infrastruktu-
relle Entsprechung finden, und weil wir
uns jetzt menschlich distanzieren müs-
sen, werden wir Lösungen für ein Europa
entwickeln, das eine große Metropole und
eine gemeinsame Heimat ist.

Peter Haimerl, geboren 1961, ist Architekt

Offener Blick


Isabelle Fausts großer
Triumph mit Arnold Schönbergs
Violinkonzert  Seite 16

Wir werden alle gewürgt von der Tatsa-
che, dass ein bösartiger Virus uns atta-
ckiert und keinen Unterschied macht zwi-
schen reich, arm, links, rechts, Ost, West.
Wir sitzen alle im selben Boot, das sinkt.
Die Situation sieht aus wie das schlech-
te Drehbuch eines Science-Fiction-Films
mit Horrorszenen. Aber das Gute daran
ist, dass es keine Helden mehr gibt in die-
sem Film. Wir spielen alle die Rolle von
Statisten, wohl wissend, dass in diesem
Film Massenszenen streng verboten
sind. Wir sind Statisten, isoliert voneinan-
der. Jeder für sich. Wir warten alle auf
den unbekannten Helden mit der Nadel,
der den bösartigen, unsichtbaren Feind
überwältigt und uns dann aufweckt aus
diesem gemeinsamen Albtraum.
Wir sind geschockt von dem scheinbar
unvorhersehbaren Ausnahmezustand,
obwohl wir vorher alles dazu wissen konn-
ten. Wir wussten vorher, dass dieser Pla-
net eines Tages gegen uns revoltieren
würde. Aber die Mehrheit von uns wollte
das nicht wahrhaben.
Ich bin überzeugt davon, dass diese
Krise eine Chance für uns bedeutet, unse-
re Lebensweise neu zu überdenken, ge-
meinsam zu besprechen, wie wir auf be-
scheidene, freundliche Art zukünftig zu-
sammenleben wollen. Wie können wir
wieder in Einklang mit unserem Plane-
ten leben, den wir mit unserem bisheri-
gen Wirken ruiniert haben. Ist das noch
möglich? Oder ist es schon zu spät? Ich
habe keine Antwort.

Rabih Mroué, geboren 1967 in Libanon,
lebt als Regisseur in Berlin

Ich stehe kurz vor einem Dreh, der jetzt
mit hoher Wahrscheinlichkeit verschoben
wird. Noch arbeitet die Maschine auf
Hochtouren – wissend, dass alles anders
wird als gedacht und geplant. Mein polni-
scher Lehrer Krzysztof Kieślowski hat
immer von der Demut des Regisseurs ge-
sprochen. Jetzt, nach mehr als 30 Jahren,
verstehe ich, was er damit gemeint hat.


Andres Veiel, geboren 1959, ist Filmregis-
seur


Mein neuer Roman („Death in Her
Hands“) erscheint in den USA am 21.
April. Die Tourpläne wurden wegen der
Pandemie durchkreuzt. Nachdem der
Frühling und Sommer für Publicity reser-
viert waren und ich wie eine Wahnsinnige
gearbeitet habe, um vor der Veröffentli-
chung mehrere Filmprojekte fertig zu be-
kommen, bin ich jetzt zu Hause und bli-
cke auf meine unerklärlich leere Zukunft.
Meine Konzentration wurde die Toilette
hinabgespült, aber ich versuche, mich zu
beschäftigen. Ich arbeite am Morgen,
spreche am Telefon mit Freunden und Fa-
milie, nie ziehe ich meinen Schlafanzug
aus. Mein Mann, die Hunde und ich ma-
chen jeden Nachmittag einen Spazier-
gang, kochen, rücken Möbel durch die Ge-
gend und versuchen, mit unserer Angst
rational umzugehen. Ansonsten bin ich
hier zu Hause in Kalifornien in totaler Iso-
lation. Ich versuche, nicht zu sehr über
den Weltuntergang nachzudenken, aber
ich lese wie besessen die Nachrichten. Ich
versuche nur, irgendwie etwas Ruhe zu
finden. Ich drücke die Daumen, dass das
alles früher oder später vorbei ist.

Ottessa Moshfegh, geboren 1981, ist ameri-
kanische Schriftstellerin

Was jetzt?


Alles abgesagt, keine Proben, Lesungen, Konzerte, Drehs.


Wie gehen Künstlerinnen und Künstler mit dieser Situation um?


Im Moment habe ich großes Glück, da ich
in den vergangenen zwei Jahren sehr viel
zu tun hatte und sowieso kürzertreten
wollte diesen Sommer. Die Verluste halten
sich deshalb im Rahmen. Konkret werden
ein paar Konzerte ausfallen mitWeb Web
und Max Herre. Eine Live-Aufzeichnung
mit Joy Denalane wird verschoben. Aber
man weiß natürlich noch gar nicht, wel-
ches Ausmaß das alles annehmen wird, ob
in drei oder vier Monaten wieder alles sei-
nen gewohnten Gang nehmen kann.
Sonst könnte es schon kritisch werden.
Studioarbeit ist momentan noch mög-
lich. Wir haben gerade den Titelsong für
einen Kinofilm abgemischt. Diese Art der
Arbeit und Kommunikation funktioniert
ja Gott sei Dank bestens übers Internet,
da muss man nicht in Gruppen zusam-
menstehen. Aber es herrscht allerorts
Schockstarre. Ein vollkommen neuer Zu-
stand. Jeder muss sich erst einmal ord-
nen. Wigald Boning und ich haben gerade
eben beschlossen, eine „Corona-Suite“
zu schreiben und damit eine Art Spenden-
aktion ins Leben zu rufen für Freischaf-
fende, die dringend und sofort Geld brau-
chen. Wir wissen noch nicht genau wie,
wann, wo, aber wir machen was.
Bis dahin werde ich versuchen, die Zeit
zu genießen, mit meiner Familie, mit mei-
nen Freunden hier im Hof. Und mich fra-
gen: Wie kann ich wem helfen, was kann
man Gutes tun? Nichts ist tragisch, außer
der Gesundheit unserer Eltern, Großel-
tern und älteren und angeschlagenen
Menschen. Wir haben jetzt absolut größt-
mögliche Verantwortung und dürfen
nichts aufs Spiel setzen mit verantwor-
tungslosem Handeln und Tun.

Roberto di Gioia, geboren 1965, ist Jazz-
pianist und Produzent

Gestern war ich mit den Kindern im
Wald, weit weg von anderen Leuten, habe
Bärlauch gepflückt und daraus eine so-
gar leckere Suppe gekocht. Heute dann
Unruhe: Das Leben für unbestimmte Zeit
aufholdoder stark eingeschränkt. Was
das bedeuten soll, frage ich mich, für Fa-
milie, Arbeit, uns als Gesellschaft. Das
sprengt im Moment noch mein Vorstel-
lungsvermögen und zeigt, wie privile-
giert mein Leben bisher war. Ansonsten
erscheinen die Tage länger: Die Kinder
fordern ab Wachsein bis zum Abend al-
les, spüren eben auch, dass diese Ausnah-
me nicht nur unverhoffte Ferien bedeu-
tet. An Schreiben ist deshalb erst mal
nicht zu denken. Stattdessen versuche
ich, Geld einzutreiben von den wenigen
Lesungen, die ich vor dem Lockdown
noch hatte. Denn vorerst kommt nichts
mehr rein. Die Lesereise ist verschoben,
aber wohin? Im Sommer wird diese Welle
vermutlich noch nicht hinter uns liegen.
Die schon vorher prekären Lebens- und
Arbeitsbedingungen von Autor*innen
werden sich dramatisch verschärfen,
wenn die Politik jetzt nicht schnell und
unbürokratisch handelt. Für morgen ha-
be ich mir erst mal nur vorgenommen,
mich wieder ein Stück mehr an die neue
Situation zu gewöhnen und, wie jeden
Tag seit Corona, mit meinen Eltern zu te-
lefonieren.

Verena Güntner, geboren 1978, ist Schrift-
stellerin

Ich bin zu Hause, lese Theatertexte, die
ich schon lange lesen wollte, lese Romane
und sozialwissenschaftliche Texte, die
seit Monaten oder Jahren auf meinem
Nachttisch liegen. Den Unterricht mit mei-
nen Studierenden halte ich über Whats-
app oder Skype ab. Wir diskutieren ge-
rade, wie ein „Theater ohne Menschen“
aussehen könnte. Ich telefoniere viel mit
alten Freunden, bleibe in Kontakt mit
Kollegen, um zu hören, wie die mit der
Situation umgehen. Ich shoppe online für
meine Mutter, damit sie zu Hause bleiben
kann, und gehe jeden Tag joggen. Ich
schaue viel auf Twitter, Facebook und
überhaupt in den sozialen Netzwerken
nach Artikeln und Informationen zur aktu-
ellen Lage.
Ich bereite die nächsten Projekte vor
und stehe mit meinem Team über Telefon
und Skype in ständigem Kontakt. Zur Er-
öffnung der Kammerspiele plane ich ein
Projekt mit der Choreografin Anouk van
Dijk für Schauspieler und Tänzer. Ich ma-
che mir Gedanken darüber, wie eine Dra-
maturgie der sozialen Distanz in einem
Tanztheaterstück aussehen kann. Berüh-
rungen sind so essenziell wichtig für uns
Menschen. Ohne Intimität können wir
nicht überleben. Jetzt wird der andere
zum potenziellen Träger eines im
schlimmsten Falle tödlichen Virus. Diese
Angst wird unsere Gesellschaft einschnei-
dend verändern: Jede Berührung, sogar je-
des Zusammentreffen mit einem Abstand
von weniger als zwei Metern wird zur Ge-
fahr. Wen lasse ich jetzt noch in meine Nä-
he? Von wem schotte ich mich ab? Das The-
ater ist das künstlerische Medium der Nä-
he, ist der Ort, wo eine Gemeinschaft zu-
sammenkommt, wo viele Menschen ge-
meinsam etwas erleben und sich darüber
austauschen. Jetzt denke ich über Forma-
te nach, in denen wir mit unseren Zuschau-
ern kommunizieren können, für sie Thea-
ter machen – ohne Nähe, ohne Berührun-
gen, ohne im selben Raum zu sein. Zumin-
dest vorübergehend. Bis das alles hoffent-
lich wieder vorbei ist.


Falk Richter, geboren 1969, ist von Herbst
2020 an Hausregisseur an den Münchner
Kammerspielen


Der Comiczeichner Mawil hat ein
Schild entworfen, das hilft, sich vor
Ansteckung zu schützen  Seite 20

Großformat


Möbelrücken Corona-Suite


Haustanz


Irgendwohin


On hold Heimat Europa


Glücklich


Soziale Distanz


Albtraum


Science-Fiction?


Demut


Weitere Beiträge finden Sie im Internet un-
ter sz.de/kultur.

Auch die Zeichnerin Bea Davies ist jetzt fast immer zu Hause, mit ihrem Mann und achtjährigen Sohn. „Ich versuche, zu
schreiben und mir nicht zu viele Sorgen zu machen“, sagt sie. „Die Freiheit in der Quarantäne“ hat sie ihre Illustration
überschrieben. Davies wurde 1990 in Italien geboren, lebt seit acht Jahren in Berlin. Zuletzt erschien von ihr die Gra-
phic Novel „Der König der Vagabunden“. Die Zwangspause nutzt sie, um an ihrem neuen Comic zu arbeiten, es geht um
eine Naturkatastrophe. Das Thema: „Wie gehen wir miteinander um in einer Krise?“ MARTINA KNOBEN / ILLUSTRATION: BEA DAVIES

Mühelos
FOTO: FELIX BROEDE

Schwebend

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