Süddeutsche Zeitung - 21.03.2020

(C. Jardin) #1
Ein Teil des Zaubers der Serie „Sex and the City“ ging bekannt-
lich von ihrer völligen Lebensferne aus. Carrie Bradshaw, Frei-
beruflerin und Autorin einer Zeitungskolumne, verdiente mit
dieser Tätigkeit ausreichend Geld für teure Kleider und Schuhe
und verschwendete auch nur so wenige Stunden auf den Job,
dass sie täglich Zeit zum Shoppen hatte. Wenn Carrie doch mal
arbeiten musste, dann tat sie das natürlich im Home-Office, an
ihrem Macbook, und anders als die vielen Jogginghosenträger
dieser Tage, war sie immer mindestens Lunch-tauglich angezo-
gen. Nicht wegen drohender Videokonferenzen natürlich. Nur
für den Fall, dass Mr. Big an der Tür klingelt. kar

Jeff Bridges hat viele Rollen gespielt, aber nie war er so echt
wie in „The Big Lebowski“, der lustigsten Komödie der Neunzi-
gerjahre. Bridges spielt den Dude. Einen Mann, der mit sich
und seinem Äußeren im Reinen ist, solange er nur mit seinen
Kumpels abhängen und bowlen kann. Im Film trägt der Dude,
ein großer Bequemlichkeitskünstler, karierte Shorts, verwa-
schene Hoodies, derangierte Bademäntel und die legendäre
braune Strickjacke mit den indianischen Mustern – ein Klassi-
ker für „Lebowski“-Fans, fürs Home-Office aber eher weni-
ger geeignet. Damit so ein Auftritt als Dude nicht in die Schlab-
berhose geht, sollte man schon die ungekünstelte Lässigkeit
eines Jeff Bridges haben. Darauf einen White Russian! chrm

Der Mainstream unter uns wird nach ein paar Tagen zu Hause
ungefähr so aussehen wie Winona Ryder alias Lelaina in „Reali-
ty Bites“. Als sie arbeitslos wird, hängt sie den ganzen Tag mit
Kippe, Oversized-T-Shirt oder Schlabberbluse in der WG ab, da-
zu Boyfriend-Jeans, die wirklich nur ganz knapp nicht vom Hin-
tern rutschen. Vorteil: Hat man selbst alles im Schrank, und der
Hosenbund lässt Spielraum für ein paar zusätzliche Quarantäne-
Kilos. Nachteil: Die wenigsten haben diese It-Frisur aus den
Neunzigern, die wie gemacht zum verzweifelten Haareraufen
ist. Kette rauchen, um die Zeit totschlagen wie Ryder damals, ha-
ben sich die meisten längst abgewöhnt. Obwohl: Das zumindest
ginge in den eigenen vier Wänden vielleicht wieder. wich

Keine Sorge, bevor gleich das Kopfschütteln losgeht: Das hier
ist nicht ernst gemeint. Und es war auch damals nicht ernst ge-
meint, 1934, als Jean Harlow gerade zur berühmtesten Blondine
Hollywoods wurde. Im Film „Dinner at Eight“ von George Cukor
wird gezeigt, was die Menschen am dringendsten brauchten: ei-
ne Scheinwelt, einen Traumort, an den man neunzig Minuten
lang im Kino fliehen konnte und vielleicht noch ein paar Stun-
den danach. Es waren die Jahre der Wirtschaftskrise, natürlich
lief kaum eine Frau zu Hause in Satinpantöffelchen und glamou-
rösem Morgenrock mit Marabu-Besatz herum. Das Outfit sollte
zur Schau stellen, was gerade alle nicht hatten: Zeit, Geld und
Muße, um sich am Frisiertisch mit untergeklemmtem Telefon-
hörer schnatternd die Nägel zu machen. Übertragen auf die Co-
ronazeiten ergeben sich daraus zwei Möglichkeiten. Entweder
man imitiert Hollywoods eskapistische Verkleidungsfilme aus
den Dreißigern und probiert aus, ob sich ein Tag in den eigenen
vier Wänden besser anfühlt, wenn man so tut, als wäre man je-
mand anderes (Faschingskiste, möglichst mit Federboa). Oder
man sieht sich in frei wählbarer Kluft einen der Filme an und
lässt sich ein bisschen Grandezza vorgaukeln. goeb

Schön im Schlaf


Vergesst das kleine Schwarze, die modische Offenbarung in
„Breakfast at Tiffany’s“ ist in Wahrheit das große Weiße. Als
der neue Nachbar Paul das erste Mal an Hollys Tür klingelt,
wacht sie auf und wirft sich ein langes weißes Smokinghemd
über. Dazu trägt sie die legendäre Schlafbrille mit Wimpern in
Tiffany-Türkis, Ohrstöpsel mit langen Troddeln daran, damit
sie wie Ohrringe aussehen. Die perfekte Ausstattung für alle,
die in der Selbstisolation vor allem viel Schlaf nachzuholen
haben. Grundsätzlich sind weiße Männerhemden die einzige
Abhängvariante, die lässig und gleichzeitig sexy ist. Besser
allerdings, man hat Fußbodenheizung zu Hause. wich

Hauptsache, bequem


Klar kann man den ganzen Tag im karierten Pyjama rumhän-
gen. Aber das sogenannte „Slipdress“ ist ungleich attraktiver
und das einzige wirkliche 24/7-Kleidungsstück, weil es sowohl
Nachthemd wie auch Ausgehkleid sein kann. Charlotte Ram-
pling hatte im champagnerfarbenen Negligé 1969 ihren ersten
großen Auftritt in Viscontis „Die Verdammten“. In den Neunzi-
gern zogen Kate Moss und Courtney Love die schlichten, seide-
nen Unterziehkleider dann einfach an, um darin durch die
Clubs zu ziehen und einen Rockstar abzuschleppen. In den ver-
gangenen Jahren wurden Slipdresses – mit T-Shirt oder Roll-
kragenpullover drunter – sogar tagsüber getragen. Empfeh-
lenswert für alle, die weder Talent noch Lust haben, sich auf-
wendig zurechtzumachen, aber in jedem Fall verhindern wol-
len, sich in der Selbstisolation hoffnungslos gehen zu lassen.
Harmoniert außerdem perfekt mit all den minimalistischen
Wohnungseinrichtungen heutzutage. Einziges Problem der All-
in-One-Option: Nach Tag drei oder vier müsste das hübsche
Nichts dann vielleicht doch mal gewaschen werden, geht mit
Seide zu Hause aber schlecht. Wer bringt das Teil jetzt bloß in
die Reinigung? Und hat die überhaupt noch auf? wich

Nein, nein. Keinesfalls soll hier die Meinung vertreten werden,
dass man dieser Tage im Schlafanzug gut angezogen ist. Es
braucht vielmehr Schlaf- und Jogginganzugsvermeidungsstra-
tegien, um sich in Quarantänezeiten einen Rest von Menschen-
würde zu bewahren (siehe unten etwa Catherine Deneuve). Soll-
te nach einer Woche aber dennoch der Moment gekommen
sein, in dem die Energie fehlt, spätestens zum Mittagessen den
Schlafanzug abzustreifen, dann sollte es bitte ein Pyjama sein.
Das klassische Modell, einfarbig hellblau, zart kariert oder wie
hier bei Doris Day mit Blockstreifen, vermittelt einen letzten
Rest von Angezogenheit. Ein seidener Morgenmantel darüber-
geworfen, bekommt er fast schon was Mondänes. tar

Ein Sweatshirt ist der Inbegriff des informellen Kleidungs-
stücks für viel Bewegungsfreiheit, das sagt schon der Name. Als
Sportoberteil mit saugfähiger Anti-Schweiß-Oberfläche kam
es lange nicht über Trainingsplätze oder Stadien hinaus und hat-
te ein entsprechend muffelndes Image, irgendwo zwischen un-
gelüftetem Spind und sandverklebten Tennisschuhen. Dann
kam 1983 Jennifer Beals in „Flashdance“ angeweht wie eine
Frühlingsbrise, und seitdem ist das Graumelierte ein Klassiker
in jedem Kleiderschrank: lässig (ehrlicher gesagt: saubequem)
und trotzdem vorzeigbar. Ideal also als 24-Stunden-Begleiter
durch alle Tag-und Nachtphasen, da engt nichts ein, trotzdem
kann man dem Briefträger aufmachen. Aber ein paar Regeln
gibt es, ganz zwanglos natürlich. Erstens, in Kombination mit ei-
ner Hose aus dem gleichen Stoff verliert das Sweatshirt sofort
neun von zehn Punkten auf der Lagerfeld-Skala. Zweitens hat
die modische Aufwertung durch „Flashdance“ nicht nur mit
Jennifers notorisch freigelegter Schulter zu tun (solche Eighties-
Modelle sind gerade wieder zu haben). Sondern auch mit dem
blitzsauberen Gesamteindruck. Da modert nichts mehr. Also:
ab und zu waschen, das gute Stück. goeb


Ob man zu Hause schon an der Wohnungstür den Jeansknopf
öffnet oder sich auch samstags die Haare kämmt, das sind In-
formationen, die der Mensch im Allgemeinen nur mit seinen
engsten Angehörigen teilt. Die große Ausnahme von dieser Re-
gel ist die Lebenszweckgemeinschaft, die WG, in die ja nicht je-
der mit seiner Freundin aus Schulzeiten zieht. Der Wohnge-
meinschaft ein filmisches Denkmal gesetzt hat der Film „Not-
ting Hill“ aus dem Jahr 1999. Der wunderschöne und so zart
besaitete Hugh Grant teilt darin ein schmales Londoner Häus-
chen mit einem Herren namens Spyke (Rhys Ifans), das Letzte-
rer mangels Erwerbsarbeit so gut wie nie verlässt. Und wäh-
rend der Hauptdarsteller den ganzen Film über ordentliche
Hemden zum Hundeblick trägt, ist Spykes Heimgarderobe ein
wenig extravaganter. Er hängt rum in Taucheranzug oder in
T-Shirts mit Botschaften, am allerliebsten aber trägt er einen
Hauch von gar nichts. Die Vorteile, ganze Tage in Unterwäsche
zu verbringen, liegen auf der Hand: wenig Verkehrsaufkom-
men in der Waschmaschine, völlige Unabhängigkeit von Tages-
zeiten, und man kann sich überall kratzen. Steht allerdings die
britische Presse vor der Tür, ist ein Bademantel ratsam. kar


Es ist an der Zeit, die Renaissance eines aus der Mode gekomme-
nen Kleidungsstückes einzuläuten: des Hauskleides. Es mag auf
den ersten Blick spießig wirken, zumal wenn es so kariert ist wie
das von Catherine Deneuve in „Das Schmuckstück“, es mag an
alte Jungfern und strenge Gouvernanten erinnern und optisch
ein paar Lebensjahre draufpacken. Doch es zeigt Haltung. Nicht
zu weit geschnitten, dann auch wieder nicht so eng, dass der
Mann, der die Supermarktbestellung anliefert, auf falsche Ge-
danken kommen könnte. Der Rock kniebedeckend, der Stoff ro-
bust, das Muster so großformatig, dass Soßenspritzer nicht wei-
ter auffallen. Es istdasKleid für die Krise. tar

Allzeit bereit zum Lunch


Wenn, dann der


Für Couch-Potatoes


Haltung bewahren


Lügen mit Grandezza


S


ogar wir hier im Stil-Teil, die wir Oberflä-
chen für durchaus tiefgründig halten, müs-
sen einräumen, dass es in diesen heillosen
Zeiten weit Wichtigeres gibt als Kleidung.
Andererseits! Ob man sich in das Elend er-
gibt oder Widerstand leistet, das ist eben auch eine
Frage der Garderobe. Ein kleiner Streifzug durch die
Filmgeschichte zeigt, dass das Leben in geschlosse-
nen Räumen seinen unmittelbaren Ausdruck im Tex-
tilen findet, zur Auswahl stehen: der ganz groß parfü-
mierte Auftritt, der elegante Schneewittchenschlaf,
das eiserne Fashionistatum, das Vogel-Strauß-Phä-
nomen (sieht mich ja keiner, wenn ich die 17-Uhr-
Nachrichten immer noch im Schlafanzug gucke), ela-
borierte Oversize-Verschlufftheit und die totale
Selbstaufgabe. Es ist praktischerweise also für jedes
Temperament etwas dabei.
Dass man, ob bei Primark oder Prada, derzeit eher
nicht losziehen wird, um sich mit den neuesten Früh-
jahrstrends einzudecken, eröffnet andererseits auch
eine große zweite Chance – für den Kleiderschrank.
Da mal wieder tiefer reingeschaut? Schubladen geöff-
net, Mottenkugeln beiseite geräumt, in den hinteren
Ecken gekramt? Erstaunlich, was sich alles findet!
Wohlfühljeans, längst vergessene Lieblings-T-
Shirts, ganze Outfits, die als Fehlkäufe abgeheftet wa-
ren, und in denen man bei neuerlicher Betrachtung
gar nicht mal schlecht dasteht.
Zuletzt noch eine kleine praktische Handreichung
fürs Home-Office. Stellen Sie sich vor, der Chef käme
auf die verrückte Idee, Ihnen einen Hausbesuch abzu-
statten, um nachzusehen, ob es Ihnen auch gut geht.
Klar soweit? Fein. Schauen Sie jetzt bitte an sich hin-
unter: Was sehen Sie? Eben. tanja rest

Ständiger Begleiter Das 24-Stunden-Kleid


Minimalistisch


Stilvoll


daheim


Jogginganzug, Schlabbershirt,


Bademantel – die


Versuchung ist groß.


Doch es geht auch anders.


Zehn Outfits für Krisenzeiten


von den Helden des Kinos


FOTOS: COLLECTION CHRISTOPHEL/ACTION PRESS, IMAGO STOCK (5), DDP/EVERETT COLLECTION, MCA/COURTESY EVERETT COLLECTION, MOVIESTORE COLLECTION/ALL4PRICES, MAURITIUS IMAGES

54 STIL Samstag/Sonntag, 21./22. März 2020, Nr. 68 DEFGH

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