8 |SA./SO.,21./22.MÄRZ 2020 Agenda:AgendaCoronavirus-Krise DERSTANDARDWOCHENENDE
Foto: Lois Hechenblaikner
Landkreis positiv getestet, groß-
teils, schätzt man, wegen Ischgl.
„Wir hatten gar keine Kapazität,
umjemandeninTirolzuinformie-
ren“, sagt Dietterle. Zudem sei der
Landkreis dazu auch nicht ver-
pflichtet. Die Meldung geht von
unten nach oben: vom Landkreis
ans Landesgesundheitsamt, ans
Ministerium, ans Robert-Koch-
Institut. In Hamburg hingegen
dachte man in der Hektik an Tirol.
Auch dort häuften sich die Coro-
na-Fälle bei Personen, die aus
Ischgl heimgekehrt waren. „Wir
konnten einen Cluster feststel-
len“, sagt Dennis Krämer, der
Sprecher von Gesundheitssenato-
rin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD).
Diese bat dann das RKI, eine Ein-
stufung Tirols als Risikogebiet zu
prüfen. „Mitte vergangener Wo-
che wurden von uns auch die Ti-
roler Gesundheitsbehörden infor-
miert“, heißt esim Gesundheitsse-
nat gegenüber demSTANDARD.
Das unsichtbare Souvenir
Das Virus entwickelte sich zum
gefährlichen Tirol-Souvenir. In
ganz Europa verteilten Skiurlau-
ber die Krankheit, was auch mit
der hektischen Abreise am 13.
März zu tun hat. Der eilig zusam-
mengeschusterte Passierschein,
den Urlauber für die Ausreise aus
dem Quarantänegebiet vorweisen
mussten, hatte ein Manko: Man
verließ sich auf die Kooperation
jener Touristen, die man eben
noch durch chaotische Kommuni-
kation in Panik versetzt hatte.
Nach der TV-Ansprache von
Kanzler Kurz wollten die Gäste
schnellstmöglich nach Hause.
Viele, gerade Pauschalreisende
aus Großbritannien oder Skandi-
navien,hattenihreRückflügeaber
erst am Samstag oder gar Sonntag.
DiezügigeAusreiseohneweiteren
Zwischenstopp, wie auf den For-
mularen gefordert, konnte also gar
nie funktionieren.
Und so passierten wieder Feh-
ler. Eine Gruppe von 159 Briten
fuhr am Freitagabend mit Bussen
und Polizeieskorte in ein abgerie-
geltes Imster Hotel. Mehrere hun-
dert andere verteilten sich eigen-
ständig über Hotels in ganz Tirol,
primär in Innsbruck.
Einige Hoteliers erkannten die
Gefahr und stornierten diese Bu-
chungen. Viele nahmen aber auch
unwissend diese Gäste auf. „Man
hat das Virus sehenden Auges in
die Welt getragen. Es wäre über-
fällig, sich das einzugestehen und
sich zu entschuldigen“, ist ein
Innsbrucker Hotelier erzürnt.
Auch in St. Anton beklagen Hote-
liers den entstandenen Image-
schaden. Offizielle Entschuldi-
gungen vonseiten der Politik?
Fehlanzeige. Landesgesundheits-
rat Bernhard Tilg (ÖVP) sprach
von einer „richtigen Gesamtvorge-
hensweise“. Man habe „alles rich-
tig gemacht“.
Das chaotische Krisenmanage-
mentblieb imAusland nicht unbe-
merkt.SoheißtesaufNachfragebei
Hotelplan, einem der größten Rei-
severanstalter fürbritischeGäste in
Tirol,dervergangenenFreitagrund
500Kunden und Mitarbeiter in der
Arlbergregion hatte:„Verglichen
mitähnlichen Situationen in
Frankreich oder Italien war die
Lageinder Quarantänezoneun-
übersichtlicherundchaotischer.“
Hotelplanwurde vomTourismus-
verband St. Antonam 13.März um
16.23 Uhrvia E-Mail mitdem Be-
treff„Wichtig,wichtig,wichtig“da-
rüber informiert,dassalleGäste
schnellstmöglichdasGebietverlas-
sen müssten.Eine Falschinforma-
tion, denn eigentlich solltenjene,
derenFlüge erstspäte rgingen,bis
dahin bleiben. Eiligorganisierte
Hote lpla nBusse undbrachteseine
Gäste ausdem Quarantänegebiet.
Ähnlich ergingesSTS Alpresor,
demgrößtenskandinavischenSki-
reisenveranstalterfür Tirol, derfür
flüchtendeGästekurzfristig Hotel-
zimmer in Münchenorganisierte.
Dass die Entscheidungfür die
Quarantäne des Paznaunsund St.
An tons am Freitag ohne Vorwar-
nung kam, ist offenbar auf den
Druck zurückzuführen,unter dem
die BehördenzudiesemZeitpunkt
standen.Wurde bis dahin stets be-
schwichtigt und verharmlost, so
war diesangesichts der internatio-
nalen Aufmerksamkeit nun nicht
mehr möglich. Die Augen der
europäischen Öffentlichkeit wa-
ren auf Tirol gerichtet. Es blieben
nur zwei Möglichkeiten: Entweder
man informiert die Bürgermeister
und Hoteliersvorab. Doch dann
hätten diese die Gäste vorabzur
Abreisebewegt, ohne dass eine of-
fizielleBegründung vorgelegen
wäre.Odereben:Quarantäneohne
Vorwarnung. Man entschied sich
fürs Letztere, was allerdings zum
beschriebenen Chaos führte.
Seilbahner vs. Politik
Das Land Tirol sagt, man habe
am 13. März in enger Abstimmung
mit dem Bund auf Basis des Epi-
demiegesetzes von 1920 die Qua-
rantäneverordnung erstellt. Ein
Kraftakt für sich, denn es gab kei-
nerlei Vorlagen, auf die man dabei
zurückgreifen konnte. Das Covid-
19-Maßnahmenpaket, auf dem die
aktuellen Verordnungen beruhen,
wurde erst am Sonntag darauf im
Nationalrat beschlossen.
Die zuständige Bezirkshaupt-
mannschaft Landeck hat die Ver-
ordnung am 13. März schließlich
erlassen. Doch verkündet wurde
sie von Bundeskanzler Kurz in
einer TV-Ansprache. Die Insze-
nierung als durchgreifender
Staatsmann, der auch zu harten
Maßnahmen bereit ist, ließ sich
der Kanzler offenbar nicht neh-
men. Aus dem Bundeskanzleramt
heißt es dazu, man werde nach
dem akuten Krisenmanagement
alle Vorgänge–nicht nur in Tirol
–evaluieren, um für die Zukunft
besser gerüstet zu sein.
Warum aber hat man überhaupt
so lange gewartet? Wie wir heute
wissen, sahen sich die Tiroler Be-
hördennebendemViruslangemit
einemanderen,mächtigenGegner
konfrontiert: den Tiroler Seil-
bahnbetreibern.
Diese wollten trotz aller Horror-
meldungen aus Italien, wo schon
am 9. März eine komplette Sperr-
zone ausgerufen worden war, die
Saison möglichst lange fortsetzen.
Am 12. März soll es im Innsbru-
cker Landhaus nachSTANDARD-
Informationen zum lautstarken
Showdown zwischen Landes-
hauptmann Günther Platter und
dem mächtigen Seilbahn-Lobby-
isten und ÖVP-Nationalrat Franz
Hörl gekommen sein.
Der Zillertaler–selbst Hotelier
in Gerlos–ist bekannt für sein un-
wirsches Auftreten. Die Tiroler
Seilbahner stört das nicht, Hörl ist
ihr Mann fürs Grobe. Diesen Auf-
trag dürfte er auch an diesem Don-
nerstagabend gehabt haben. Er
sollte die Landesregierung dazu
bringen, eine weitere WocheSki-
zirkusabseits der Quarantänege-
biete zuzulassen.
Doch Platter war zu diesem
Zeitpunkt das Ausmaß der sich
anbahnenden Katastrophe klar. Er
wollte um jeden Preis verhindern,
dass es am Samstag erneut zum
Urlauberwechsel kam. Das hätte
150.000 neue Touristen bedeutet,
die sich in Tirol mit dem Virus in-
fizieren könnten. Hörl hingegen
habe eine weitere Woche bis 22.
März für die übrigen Tiroler Re-
gionen gefordert. Dabei hatte Dä-
nemark zu diesem Zeitpunkt be-
reits eine explizite Reisewarnung
für Tirol ausgesprochen.
Platter stellte die Seilbahner vor
die Wahl: „Entweder ihr geht mit,
oder wir machen das ohne euch.
Am 15. März endet die Saison in
ganz Tirol!“ Das kolportierte
Schreiduell dementiert Hörl; er
schätze den Landeshauptmann
und habe nicht geschrien.
Am Freitag stand er unzufrie-
den bei der Landespressekonfe-
renz in Innsbruck und erklärte
kleinlaut, dass man mit dem Kri-
senstab einen Konsens gefunden
habe.SeitdemvergangenenSonn-
tag stehen alle Tiroler Bergbahnen
still. Das Land Tirol hat am Frei-
tag zudem die Quarantäneverord-
nung für alle 279 Gemeinden bis
zum 13. April verlängert.
Die Idalp istder Hotspotvon Ischgl. In diesem Jahrendetedort dieParty abrupt, als das Paznauntalunter Quarantänegestellt wurde.
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für 14 Tage in Quarantäne. - März 2020
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net Ischgl wegeninfizierter Urlauberals „No-Go-Area“, am - März warnt Dänemark vorReisen nach Österreich.
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In ganz Deutschland melden sich aus Tirol heimgekehrte
Skiurlauber, die Anzeichen einer Infektion aufweisen. Am
Abend des 13. März fällt das Robert-Koch-Institut die Ent-
scheidung, Tirol zum Risikogebiet zu erklären.
WieIschglzur No-Go-Area wurde
FAKTEN
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