Der Standard - 21.03.2020

(Ron) #1

DERSTANDARDWOCHENENDE Agenda SA./SO., 21./22. MÄRZ2020 | 7


wieder. Ausnahmslos alle wurden
nach ihrer Rückkehr aus Tirol
positiv auf das Virus getestet. „Ich
schäme mich in Grund und Bo-
den. Wie soll ich diesen Men-
schen jemals wieder in die Augen
schauen?“, so der Hotelier. Wie
viele Touristiker im Land verließ
er sich auf die Einschätzungen der
Behörden.
Ähnlich erging es Touristen aus
Norwegen. Über ihre heimischen
Medien erfuhren sie von der
Gefahr in den Tiroler Bergorten.
Am 13. März war schon die Hälf-
te der damals 750 Corona-Fälle in
Norwegen auf Österreich zurück-
zuführen. Knapp eine Woche
zuvor hatte die norwegische
Gesundheitsbehörde FHI das
Gesundheitsministerium in Wien
über den Alarmmechanismus der
europäischen Gesundheitsbehör-
de ECDC informiert. Die Nach-
richt sei laut einem Ö1-Bericht am
darauffolgenden Tag auch nach
Tirol weitergeleitet worden. Die
betroffenen Touristen erreichte
die Warnung nicht.


Teilwarnungen


Auch die tausenden Gäste aus
Deutschland–dem mit Abstand
wichtigsten Herkunftsmarkt für
Tirols Tourismus–wedelten sehr
lange im Ungewissen. Wenn etwa
Salvatore Iavarone vom Ischgl-
Urlaub spricht, dann fällt vor al-
lem ein Wort: „Mega.“ „Wir hatten
eine total schöne Zeit“, sagt der
41-Jährige aus Krefeld. Am 6.
März kam er mit Freunden an. Pis-
tenangebot und Après-Ski ent-


sprach den Erwartungen. Man be-
suchte alle Bars, auch das am 9.
März behördlich gesperrte „Kitz-
loch“, wo sich ausgehend von
einem Barkeeper dutzende, ja wo-
möglich hunderte Personen an-
steckten. Ein Bekannter, der zuvor
in Ischgl gewesen war, rief Iavaro-
ne just am Tag der Schließung an

und erzählte ihm, dass er sich im
Urlaub mit dem Coronavirus infi-
ziert habe. Iavarone fuhr am 11.
März heim und ließ sich testen:
positiv. Niemand hatte ihn in
Ischgl gewarnt oder informiert. So
wie viele andere Gäste, Mitarbei-
ter und Hoteliers auch nicht. Er
weiß von etlichen Personen,

denen es nach ihrem Ischgl-
Urlaub gleich geht. Auch Marcus
Beyerle, 47, aus Ubstadt ist nach
seinem Ischgl-Trip in Quarantä-
ne. Er hat sich infiziert. Er kam mit
Freunden am 5. März in Ischgl an,
am Sonntag fuhren sie wieder re-
tour. Im „Kitzloch“ waren er und
seine Freunde nie, Corona-positiv

Agenda:Coronavirus-Krise


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Bei der Ausreise aus Quarantänegebieten am Freitag bezeugten viele, sie würden
keinen Zwischenstopp machen. Die meisten Flieger starteten aber erst am Samstag.

Foto: Lois Hechenblaikner

seien trotzdem alle. Eine Woche
später wird es im ganzen Dorf In-
fizierte geben. Genaue Zahlen
sind ob mangelnder Tests kaum
zu eruieren.
Das Robert-Koch-Institut (RKI)
in Berlin, eine dem Gesundheits-
ministerium unterstellte Bundes-
behörde, hatte jedenfalls schon
früh Zahlen. Allein 340 Erkran-
kungen von Rückreisenden aus
Tirol wurden gemeldet. Am 13.
März wurde Tirol vom RKI darauf-
hin als „Risikogebiet“ einge-
schätzt. Auf die Frage, ob das RKI
angesichts der vielen Fälle die
dortigen Behörden kontaktiert
habe, heißt es in Berlin: „eher
nicht“. Keinen Kontakt nach Tirol
gab es auch vom Ostalbkreis aus.
Dieser liegt in Baden-Württem-
berg. Am 12. März wurden dort
zwei Personen positiv getestet,
beide hatten zuvor–unabhängig
voneinander–inI schgl geurlaubt.
Am 13. März war ein dritter Test
positiv. Daraufhin begann „die
große Welle“, wie es die Spreche-
rin des Kreises, Susanne Dietter-
le, beschreibt.
Denn schnell stellte sich her-
aus:DreiBusunternehmenderRe-
gion waren eben erst mit je zwei
vollen Bussen aus Tirol zurück-
gekommen. Um die 200 Betroffe-
nen zu erreichen, wurden Sonder-
schichten geschoben. Ischgl@ost-
albkreis.de lautete die Adresse,
unter der man sich melden sollte.
„Wir haben hunderte E-Mails
geschrieben und Telefonate ge-
führt“, sagt Dietterle. Über 100
Menschen wurden bis dato im

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