Süddeutsche Zeitung - 11.03.2020

(Frankie) #1
interview: jens bisky
undlothar müller

E


s ist nicht weit vom nördlichen Berli-
ner Ortsteil Frohnau bis zum Bran-
denburger Umland. Bettina Wegner
lebt hier seit 1983, seit sie von den Behör-
den der DDR vor die Wahl gestellt wurde,
ins Gefängnis zu gehen oder ausgebürg-
fert zu werden. Die Liedermacherin teilt
ihr kleines Haus unweit der S-Bahn-Stati-
on mit einer Katze. Im Flur hängen alte Pla-
kate von Musikern und Schriftstellern.
Eben ist ihr der „Deutsche Musikautoren-
preis der Gema“ zugesprochen worden.
Der Musiker und Schriftsteller Sven Re-
gener, Mitglied der Jury, würdigt sie „kom-
promisslose und klare Künstlerin, die kon-
sequent und gegen alle Widerstände ihren
eigenen künstlerischen und politischen
Weg ging.“ Seit ihrer Abschiedstournee im
Jahr 2007 gibt Bettina Wegner keine Solo-
konzerte mehr, tritt aber immer wieder
mit Freunden auf. Im Sessel ihres Hauses
in Frohnau gibt sie Auskunft über ihre ak-
tuelle Weltsicht und raucht dabei gelegent-
lich eine Zigarette. sz


SZ: Frau Wegner, in Ihrem Lied „Von
Deutschland nach Deutschland“ aus
dem Jahr 1986 gibt es die Zeile „Was
bleibt, ist die Heimat als Niemandsland“.
Gilt das immer noch?
Bettina Wegner: Ja. Ich finde es gerade
sehr betrüblich, dass der Begriff Heimat
dauernd von bestimmten Parteien benutzt
wird, so dass man sich schon blöd vor-
kommt, wenn man das Wort auch in den
Mund nimmt. Ich kannte nur eine Heimat.
Ich bin 1947 in Westberlin geboren, mein
Vater arbeitete als Journalist in einer Ost-
berliner Zeitung, in derTäglichen Rund-
schau, und verdiente Ostgeld. Da wir damit


1949 in Westberlin die Miete nicht mehr be-
zahlen konnten, sind meine Eltern nach
Ostberlin gegangen. Sie waren ohnehin
überzeugte Kommunisten, aber der sehr
ehrenhaften Art, die schon in der Nazizeit
Kommunisten waren. Ich liebe meine El-
tern sehr, gerade auch dafür, dass sie sich,
als ich 1968 in den Knast musste, von mir
nicht distanziert haben. Heimat war für
mich die Elsa-Brändström-Straße in Pan-
kow, und das war in dem Moment weg, als
ich 1983 hierher kam, nach Frohnau.


Also ist Frohnau nicht Ihre Heimat ge-
worden?
Ich sage bis heute noch „hier“ und „drü-
ben“, und wenn ich „hier“ sage, meine ich
den Osten. Wenn ich aber in den Osten ge-
he, ist das auch nicht mehr Heimat, es ist ja
alles anders. Die Heimat ist ein für allemal
weg, es gibt sie für mich nicht mehr. Ich bin
nur noch Gast auf dieser Erde.


Welche Lieder haben Sie in Ihrer Jugend
in der DDR gehört?
In der Kindheit Stalins Lieblingslied, „Suli-
ko“, so ein schönes georgisches Volkslied,
und diese blöde Ratte nimmt sich das als
Lieblingslied. Alter Sack, der.


Mit deutschen Volksliedern wurde auch
einiges angestellt.
Ich habe eine Vorliebe für die nicht so fröh-
lichen Lieder, Marschlieder müssen sowie-
so raus aus meinen Ohren, müssen weg.
Ich singe gerne deutsche Volkslieder. Aber
es gibt deutsche Wendungen, bei denen
ich einen Schreck kriege: „Jedem das sei-
ne“ oder „Arbeit macht frei“. Das geht Jün-
geren nicht mehr so, aber bei mir ist sofort
das Bild der KZ’s da.


Aber „Ich hab die Nacht geträumet“
geht?
Ja! Und „Wenn ich ein Vöglein wär“, und
„Brüderlein und Schwesterlein“. Und Ei-
chendorff, singe ich immer noch.


Und die angelsächsische Musik?
Das war die Musik, die wir gehört und nach
der wir getanzt haben,Rolling Stones,Bea-
tles. Zu meiner Musik gehörten Jimi Hen-
drix und Janis Joplin. Und zu meinem Pro-
gramm gehörten immer auch jiddische, he-
bräische und deutsche Volkslieder. Inzwi-
schen gehören zu meiner Musik auch die
Rapper, mit denen ich anfangs nicht viel an-
fangen konnte, aber zum Glück erziehen ei-
nen die eigenen Kinder. Und ich liebe Amy
Winehouse, eine Wahnsinnsfrau.


Noch einmal zurück zu 1968, was bedeu-
tete das Jahr im Osten?


In erster Linie Prag. Alle, die ich kannte, al-
le in meinem Alter haben gehofft, dass we-
nigstens etwas davon sich auch in der DDR
verwirklichen kann. Wir haben Dubcek be-
wundert. Ein tschechisches Volk findet sei-
nen kommunistischen Präsidenten toll,
das gab’s ja eigentlich nicht. Und dann ka-
men die Panzer und walzten das nieder.
Für mich gab es politische Orientierungs-
punkte. Spanien, das war lange her, und da-
nach gab es für mich eben nur die CSSR
Dubcek und Allendes Chile. Das eine ha-
ben die Amis kaputt gemacht, das andere
die Russen.

Sie haben Flugblätter geschrieben, wur-
den verhaftet, vom Prozess gibt es Ton-
aufnahmen.
Ich habe mir die Bänder erst spät angehört,
ich habe da so ein kleines Stimmchen, und
ich hatte ja schon mein Kind, habe noch ge-
stillt. Aber das hat den Gefängnisarzt über-
haupt nicht interessiert. Der hat nur ge-
fragt, ob ich mir das Leben nehmen will.
„Sind Sie blöde“, habe ich geantwortet,
„ich habe gerade ein Kind gekriegt“. Und
damit war ich dann haftfähig.

Was war der Anlass der Verhaftung?
Viele meiner Freunde hatten schon Flug-
blätter verteilt. Ich wusste, was darauf
stand, von Thomas Brasch, mit dem ich
das Kind hatte. Dann wurde Thomas ver-
haftet, und da habe ich Blätter in vier Teile
zerrissen und die gleichen Parolen darauf
geschrieben „Es lebe das rote Prag!“ „Hoch
Dubcek!“ „Glaubt nicht den Zeitungslü-
gen, sonst werdet Ihr mitschuldig!“

Waren Sie sich über die Konsequenzen
im Klaren?
Ich kannte den Paragrafen über „staats-
feindliche Hetze“, ich wusste, dass man da-
für zwischen einem und fünf Jahren be-
kommt. Ich habe mit zwei Jahren gerech-
net. 16 Monate habe ich bekommen. Aber
die Strafe konnte ausgesetzt werden, und
da wir alle Kinder von Genossen waren,
wurde das auf uns angewandt.
Wie wichtig war für Sie die zweite Zäsur,
das Jahr 1976, die Ausbürgerung Wolf
Biermanns?
Das war auch eine Frechheit, aber das hat
das Herz nicht so getroffen. Und was die
Gruppe damals formuliert hat, die sich bei
Stephan Hermlin getroffen hat, das war ja
noch ein liebenswürdiger Brief: „Wir bit-
ten die Genossen, ihre Entscheidung zu-
rückzunehmen.“ Ich hätte das nicht schrei-

ben dürfen, bei mir hätte gestanden: „So-
fort zurücknehmen! Seid Ihr verrückt ge-
worden?“ Aber da gab es wirklich massen-
haften Protest, erst die Schriftsteller, dann
die Musiker, die Schauspieler, die bilden-
den Künstler.

Mit dem Lied „Kinder“ sind Sie so be-
kannt geworden sind, dass die Zeilen
„Sind so kleine Hände“ und „Leute ohne
Rückgrat/Hab’n wir schon zuviel“
sprichwörtlich wurden. Wie ist das ent-
standen?
Das war eine ganz ulkige Situation. Ich saß
in einem Zug und war schon sehr ange-
zählt in der DDR. Die GruppeMTS, mit der
ich damals unterwegs war, haben immer
auf die Plakate geschrieben „MTS und Sän-
gerin“, weil mein Name ja nicht auftauchen
durfte. Und der Werner Sellhorn hat ein
Programm gemacht „Tucholsky und Lie-
der von heute“. Auf diese Weise konnte ich
mich noch ernähren. Und durch Auftritte
in Kirchen. Ich saß also im Zug, weil das Au-
to der Gruppe MTS voll von Musikinstru-
menten war, und weil der Veranstalter die
Reise bezahlt hat, habe ich in der ersten
Klasse gesessen. Da setzte sich ein dicker
Herr mir gegenüber, der hatte so etwas wie
einen Diplomatenkoffer und tippte andau-
ernd mit seinen dicken Fingern auf dem
Koffer rum, und sah überhaupt nicht aus
wie ein glücklicher Mensch. Und dann ha-

be ich an die Hände meiner Jungens ge-
dacht, als die noch Babys waren. Die Fahrt
dauerte vielleicht zwei Stunden, und als
ich ausgestiegen bin, war der Text fertig.

Wie wurde es so erfolgreich?
Durch Dirk Sager. Der war ja lange Korre-
spondent für das ZDF in Ostberlin und ein
richtiger Freund geworden. Bevor er als
Korrespondent nach Moskau ging, hat er
für „Kennzeichen D“ einen Abschiedsfilm
gedreht. Also kam er zu mir in die Woh-
nung und fragte: „Bettina, hast Du ein neu-
es Lied?“. Ja, hab ich gesagt, und er wollte
das Allerneueste hören. Ich aber fand „Kin-
der“ wichtiger, und das habe ich dann ge-
sungen. Nach der Ausstrahlung gingen in
Westberlin die Leute in die Läden und woll-

ten die Platte kaufen. Und dann gab’s ir-
gendwann die Literaturtage International
in Kreuzberg, im Kulturhaus Bethanien.
Da durfte ich auftreten, ich war die einzige,
die auf diesem Schriftstellertreffen gesun-
gen hat. Hans-Georg Soldat vom Rias hat
das mitgeschnitten und dann wurde das
über Biermann und andere an CBS gege-
ben. Biermann hat gesagt, die wird bald
verboten, macht daraus `ne Platte.

In einem Lied aus den Neunzigerjahren
singen Sie: „Dieses neue große Deutsch-
land macht mich stumm.“
Das ganze große Land macht mir derzeit
richtig Angst, und zwar nicht wegen Coro-
na. Ich fürchte mich weniger vor den Fa-
schisten, sondern vor deren Wählern. In
meinem Bekanntenkreis gibt es einen ein-
zigen jungen Mann, der sie wählen wollte.
Aber da ich den als einzelnen Menschen
kenne und schätze, konnte ich mit ihm
über alles reden. Ich hab ihm gesagt, er soll
sich einmal Gauland mit seinem „Wir wer-
den sie jagen“ anschauen. Der Höcke
macht mir Angst und Leute, die in einer
Partei sind, wo solche Leute sagen, was sie
sagen, und am meisten Angst machen mir
eben die Wähler. Kann sein, dass die nur je-
manden ärgern wollen, aber die machen
mir mehr Angst als die Köppe in der Partei.
Warum?
Weil die Partei auf etwas trifft, das nie weg
war. Ich glaube, dass die Studenten im Wes-
ten mehr Druck ausgeübt haben auf das
westdeutsche Volk sich mit der eigenen Be-
teiligung an der Nazi-Zeit auseinanderzu-
setzen. Wir in der DDR waren immer das
antifaschistische Land. Wir hatten aber
nach 1945 in der DDR genauso viele Nazis
wie im Westen. Und das wurde nicht bear-
beitet. Also wares nie weg.

Nun ist aber Gauland aus dem Westen,
Höcke auch. Meuthen und Weidel sind
auch aus dem Westen.
Ja, das kennen wir, die Führer kommen
aus Österreich, und wer hat sie gewählt?
Die Deutschen. Und die setzen sich auf die
Parole von damals drauf, „Wir sind das
Volk“, und reden von „Wende 2.0“, diese
Westhälse.

Sie sagen, es war nie weg, aber irgendet-
was muss auch neu sein.
Neu ist, denke ich, dass sich die ehemalige
DDR-Bevölkerung benachteiligt fühlt. Die
Jungen ziehen weg, die Alten bleiben ho-
cken. Es ist ja auch viel zerklatscht worden,

aber ein solches Gefühl der Benachteili-
gung könnte sich auch anders äußern.
Man hätte auch in die Gewerkschaft eintre-
ten und sagen können: Baut uns das Werk
wieder auf, das Ihr uns weggenommen
hat. Diese Salzmine zum Beispiel, große
Sauerei. Wir – jetzt sage ich schon wieder
wir – hatten das bessere Salz. Und was ma-
chen sie zu? Unser Salz, die Kalimine in Bi-
schofferode. Das regt mich auf. Aber weil
das so ist, muss ich ja nicht zu Pegida und
zu diesen Schranzen gehen.

Und welche Lieder ließen sich jetzt, in
der Gegenwart, machen?
Ich schreibe keine Lieder mehr. Schon lan-
ge nicht mehr. An irgendeinem Punkt habe
ich bei dem Versuch ein Lied zu schreiben,
gemerkt, das hast Du alles schon gesagt,
nur besser. Was ich sagen konnte, habe ich
gesagt. Ich schreibe auch keine Hymnen
für die Kinder am Freitag ich liebe diese
Kinder, aber meine Umweltlieder habe ich
alle geschrieben. Und auch über Nazis. Da
muss ich mich jetzt doch nicht hinsetzen
und mir einen Reim auf Höcke machen
oder Gauland oder die Zippe da.
Was ist Ihr letztes Lied?
Ich habe ja viel nachgedichtet. Nachdich-
tungen sind schwieriger als Alleindichtung
und ich hatte mich festgebissen an Leo-
nard Cohens „Dance me to the end of
Love“. Auch, weil ich wusste, dass er das
für die Menschen geschrieben hat, die im
KZ umgekommen sind und weder ihre Lie-
be zu Ende leben noch Kinder in die Welt
setzen konnten. Ich wollte die Poesie so las-
sen, wie er sie geschrieben hat.

Es bleiben also nur Konzerte mit den al-
ten Liedern?
Ja, und genau das mache ich.
Was wären die aktuellen alten Lieder?
Die „Kinder“ sind drin, „Heimat“ ist drin,
„Von Deutschland nach Deutschland“ ist
drin, dann Roma-Lieder, Lieder über
Krieg. Der Konstantin Wecker, mit dem ich
zusammengearbeitet habe, hat mal ge-
sagt, er hätte am Anfang Angst gehabt,
weil ich so eine Feministin sei. Das stimmt
aber nicht. Ich bin eine Frau, so ist das nun
mal. Einmal haben mich Frauen aus musli-
mischen Ländern, die einen Film machen
wollten gefragt, ob ich einverstanden wä-
re, wenn eine Sängerin darin „Kinder“ auf
Arabisch singt. Sie wollten das tun, weil
muslimische Frauen oft glauben, dass Prü-
gel zur Erziehung gehören. Da habe ich
mein Lied wieder geliebt.

„Das ganze große Land
machtmir
derzeit richtig Angst.“

Ausgerechnet wenn es um Fantasy geht,
mangelt es Filmemachern derzeit an Fanta-
sie: Überall dieselben Elfen, Feen, Trolle
und Einhörner, überall dieselben Referen-
zen zu J.R.R. Tolkien, J.K. Rowling oder
C.S. Lewis.
Auch der Animationsfilm „Onward –
Keine halben Sachen“ beginnt mit Figuren
aus dem Stammrepertoire. Dann aber hält
der technische Fortschritt Einzug, aus El-
fen werden pubertierende Jungs mit Han-
dys, aus Feen Rockerbräute auf fliegenden
Harleys. Und die Einhörner ziehen durch
die Straßen und fressen Müll. Da es sich
um einen Film des Disney-Animationsstu-
dios Pixar handelt, wundert sich darüber
aber niemand. Man erwartet das sogar,
werden doch in Pixar-Produktionen stän-
dig Mythen auf den Kopf gestellt: siehe die
quicklebendige Totenreichrevue „Coco“,
siehe „Die Unglaublichen“ mit einer Under-


cover lebenden Superheldenfamilie. In
„Die Monster Uni“ aus dem Jahr 2013 ließ
Regisseur Dan Scanlon ein einäugiges Un-
geheuer von einer Akademikerkarriere
träumen, sieben Jahre später möchte er
jetzt das Fantasy-Genre aufmischen.

Er konfrontiert Fabelwesen mit den Pro-
blemen des modernen Lebens, mit Ver-
kehrskontrollen, Rollenspielen und
schlechten Google-Bewertungen. Im Zen-
trum der Geschichte stehen die pubertie-
renden Elfenbrüder Ian und Barley, die mit
einem Zauberstab und reichlich Hokuspo-
kus ihren toten Vater herbeizaubern wol-
len. Da sie aber im digitalen Zeitalter le-
ben, gibt es qualitativ minderwertige Kris-
tallware und die üblichen Übertragungs-

schwierigkeiten: Der Beam aus dem Jen-
seits bricht ab und der Papa steht ohne
Oberleib da. Um auch den Rest zu Gesicht
zu bekommen, müssen Ian und Barley auf
große Fahrt gehen, in einem klapprigen
Van, den Unterleib des Vaters nehmen sie
mit. Solche Heldenreisen sind für Pixar-Fil-
me typisch, die Figuren halten zusammen,
erleben Abenteuer, wachsen über sich hin-
aus. „Onward“ feierte vor ein paar Wochen
bei der Berlinale Premiere, zwar nicht im
Wettbewerb, aber mit großem Brimbori-
um und rotem Teppich am Marlene-Diet-
rich-Platz.
Bei der Pressekonferenz sagte Regis-
seur Dan Scanlon, dass es ihm weniger um
Fantasy ging, als um seine eigene Biogra-
fie: Auch er habe früh seinen Vater verlo-
ren, auch er habe sich dessen Stimme im-
mer wieder auf einem alten Kassettenre-
korder angehört. Leider habe dieser nicht

mehr als „Hello“ und „Goodbye“ auf Ton-
band hinterlassen. Da ist der Elfen-Papa
im Film vergleichsweise geschwätzig: Die
Szene, in der Ian eine mit „Dad“ beschrifte-
te Kassette abspielt und sich einen Dialog
mit seinem Erzeuger ausdenkt, ist eine der
schönsten des Films. Sie erinnert an all die
Vatergespräche, die man sich immer vor-
nimmt, dann aber doch nie führt. Aber das
kriegen Pixar-Filme ohnehin besser hin
als die Produktionen anderer Animations-
studios: Sie sind nicht nur turbulent und
lustig, sondern erzählen emotional starke
Geschichten. Die Reise der Brüder mag
nicht die originellste sein, ans Herz geht sie
am Ende aber doch. josef grübl

Onward, USA 2020 – Regie: Dan Scanlon. Mit den
Originalstimmen von: Tom Holland, Chris Pratt, Ju-
liaLouis-Dreyfus, Walt Disney, 103 Minuten.

Der spanische Opernsänger Plácido Do-
mingohat seine für März und April geplan-
ten Auftritte im Rahmen der „Italienischen
Opernwochen“ an der Hamburger Staats-
oper wegen des Coronavirus abgesagt.
„Die Absage erfolgt auf Grund von medizi-
nischen Empfehlungen bezüglich Alter
und Komorbidität, was ein hohes Risiko im
Falle einer Infektion mit Covid-19 bedeu-
tet“, teilte die Staatsoper mit. Der 79 Jahre
alte Domingo gilt demnach als gesundheit-
lich angeschlagen. Er hätte in der Oper „Si-
mon Boccanegra“ am 22. und 26. März so-
wie am 2. April auftreten sollen. dpa

Immer wieder hieß es: Auf keinen Fall dür-
fe man in Brumadinho das Inhotim verpas-
sen. Schließlich sei es eines der besten Mu-
seen der Welt, einzigartig, ein Erlebnis!
Doch kaum hat man den Eingang passiert,
kommen erste Zweifel. Der Parkplatz: Ver-
waist. Nur ein paar wenige Autos stehen
verschämt in einer der hinteren Ecken.
Auch an der Kasse keine Schlangen, im Ge-
genteil: Es scheint hier mehr Mitarbeiter
als Besucher zu geben. Natürlich, das Inho-
tim im brasilianischen Bundesstaat Minas
Gerais, ist eines der größten Freilichtmuse-
en der Welt, 140 Hektar groß, voll wie im
Louvre wird es hier nie. Andererseits gibt
es aber mehr als 500 moderne Kunstwerke
zu sehen, von Künstlern wie Matthew Bar-
ney, Chris Burden und Ólafur Elíasson. Da-
zu noch ein atemberaubender Park mit Or-
chideen, Flamingoblumen und Palmen. Ei-
gentlich müsste es hier also von Menschen
wimmeln. Aber kaum jemand ist hier. Auf
ausgestorbene Pfaden wandert man durch
verwunschene Haine, Schmetterlinge
schwirren durch die Luft und Fragen
durch den Kopf: Kann es Kunst ohne Men-
schen geben? Brauchen Werke den Be-
trachter? Ist das Inhotim wirklich eines
der besten Museen der Welt? Und wenn ja:
Wo, bitteschön, sind dann die Besucher?

Man hätte gerne ein paar Antworten,
nur ist niemand da, den man fragen könn-
te. Ein großer braungefiederter Vogel
stakst bedächtig durchs Unterholz. Immer-
hin, das WLan ist exzellent, selbst im hin-
tersten Winkel des Parks. Und so sitzt man
auf einer Bank mit Blick über die sanft-grü-
nen Hügel von Minas Gerais und liest da-
von, wie Krankheit, Katastrophen und Kor-
ruption der Kunst im Wege stehen.
Tatsächlich hat das Inhotim ein paar
schlechte Jahre hinter sich. Gegründet
2004 vom Minenmagnaten und Kunst-
sammler Bernardo de Mello Paz, öffnete es
2006 seine Pforten. Schnell wurde es zur in-
ternationalen Sensation, aus der ganzen
Welt kamen Kunstfans hierher, in eine Ge-
gend, die zuvor vor allem für schmutzigen
Bergbau und deftiges Essen bekannt war.
Doch dann wurde Mello Paz 2017 wegen
Geldwäsche zu neun Jahren Haft verur-
teilt. Im Jahr darauf gab es eine Gelbfieber-
Epidemie und dann brach 2019 ein nahes
Rückhaltebecken mit Abfällen aus dem
Bergbau. Eine giftige Schlammlawine wälz-
te sich durch die Landschaft, begrub Häu-
ser, Brücken, Bäume und Menschen unter
sich. Mindestens 259 Menschen kamen
ums Leben, ein naher Fluss wurde ver-
seucht, es war der größte Industrieunfall
in der Geschichte Brasiliens – und ein wei-
terer Rückschlag für das Inhotim.
Die Besucherzahlen fielen, Hotels muss-
ten schließen und es gab sogar Gerüchte,
dass auch das Inhotim dichtmachen muss.
Soweit kam es nicht und langsam, so
scheint es, erholt sich das Museum. Der Be-
treiber der Mine muss vor Gericht, gleich-
zeitig wurde Museumsgründer Mello Paz
im Februar wieder freigesprochen. Eine
Reihe neuer Werke und Pavillons soll noch
dieses Jahr eingeweiht werden und auch
die Besucher kommen langsam wieder,
heißt es, auch wenn man davon heute
nichts sieht. Nach einem halben Tag ist je-
denfalls klar: Das Museum ist wirklich
spektakulär. Jedem Bekannten, der von
nun an in die Gegend reist, wird man ab
jetzt sagen: Das Inhotim darf man auf kei-
nen Fall verpassen! christoph gurk

„Ich bin
eineFrau, so ist
das nun mal.“

Wie reagieren Fabelwesen auf schlechte Google-Bewertungen?


Trickregisseur Dan Scanlon schickt in seinem Pixar-Film „Onward – Keine halben Sachen“ zwei pubertierende Elfenbrüder auf eine große Abenteuerreise


„Die Heimat ist ein für allemal weg“


Die Liedermacherin Bettina Wegner über Volkslieder, die DDR, die Rückkehr der Faschisten


und wie ihr Song „Sind so kleine Hände“ entstand, der zur Ostwesthymne der Wendezeit wurde


Domingo sagt


in Hamburg ab


Der Regisseur hat wie seine
Helden früh seinen Vater verloren

Krankheit, Katastrophe und
Korruption setzten
der Kunst zu

DEFGH Nr. 59, Mittwoch, 11. März 2020 (^) FEUILLETON 13
Die Brüder Ian und Barley auf Roadtrip. FOTO: DISNEY
„Ich sage bis heute noch ,hier‘ und ,drüben‘“ – Bettina Wegner zu Hause in Frohnau. FOTO: REGINA SCHMEKEN
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