Handelsblatt - 11.03.2020

(singke) #1
„Unser Immunsystem als
Firma ist sehr intakt.“
Frank Appel, Vorstandsvorsitzender
der Deutschen Post

„Wir waren sehr stark gestartet ins
Jahr. Dieser Vorsprung schmilzt
im Augenblick ab.“
Fritz Joussen, Tui-Chef, bereitet den weltgrößten
Touristikkonzern auf möglicherweise länger
anhaltende Folgen der Coronakrise vor.

A


merika und China waren lange Zeit die Zugpfer-
de der Weltwirtschaft. China mit seinem hohen
Wachstum, Amerika mit seiner unersättlichen
Nachfrage. Außerdem hat sich immer wieder gezeigt,
dass die US-Wirtschaft besonders robust ist. Sie ist rela-
tiv wenig vom Weltmarkt abhängig, flexibel und verfügt
mit dem Dollar als Weltwährung über praktisch unbe-
grenzte Finanzierungsquellen
China ist jetzt durch das Coronavirus ausgebremst
worden. In Europa hat die Krankheit ausgerechnet Ita-
lien, das wirtschaftlich schwächste der großen Euro-
Länder, zuerst getroffen; es ist offen, wie weit zum
Beispiel auch Deutschland in eine ähnliche Situation
gerät. Das Virus deckt aber auch Schwächen in den
USA auf.
Dort ist vor allem die Sorge groß, dass eine Menge In-
fektionen nicht entdeckt werden, weil womöglich viele
Leute erst gar nicht zum Arzt gehen. Eine berechtigte
Befürchtung. Schließlich haben Millionen von Amerika-
nern keine Krankenversicherung, weil sie sich keine
leisten können. Und auch wer eine hat, scheut die Ein-


kommenseinbußen für den Fall, zu Hause bleiben zu
müssen. Denn die Fortzahlung im Krankheitsfall ist
zum Teil gar nicht vorhanden, zum Teil auf wenige Tage
beschränkt. Dazu kommen relativ lockere Kündigungs-
regeln.
Das alles führt dazu, dass die Krankheit sich mögli-
cherweise schneller ausbreitet, als offen zutage tritt.
Und dazu, dass viele Leute sehr schnell ihr Einkommen
verlieren, wenn die Krise hochkocht. Laut Umfragen
gibt es zudem eine Menge amerikanischer Haushalte,
die kaum über liquide Mittel als Notfallgroschen verfü-
gen.
Diese Schwächen sind zum Teil einer in Amerika weit
verbreiteten Meinung zuzuschreiben, dass Kapitalismus
und Wohlstand angeblich unvereinbar mit einem gut
funktionierenden Sozialsystem sind. Man kann darüber
streiten, ob diese These bei einer ruhigen Konjunktur
überhaupt zutrifft. Spätestens in der Krise wird ganz
deutlich, dass ein schwaches Sozialsystem auch zum
wirtschaftlichen Problem wird.
Es gibt noch eine weitere Schwäche: Die amerikani-
sche Ölproduktion ist stark davon abhängig, dass der
Ölpreis nicht zu sehr sinkt und die Investoren weiterhin
willig sind, die zum Teil hochverschuldeten Unterneh-
men weiter zu finanzieren. Deswegen gab es zuletzt
deutliche Zeichen von Stress am Markt für Hochzinsan-
leihen.
US-Präsident Trump versucht zurzeit, trotz dieser
Probleme Vertrauen zu schaffen. Ob ihm das gelingt,
wird man immer wieder nicht nur in New York, son-
dern weltweit an den Kapitalmärkten ablesen können.

US-Wirtschaft


Amerikas Schwächen


Ein schlechtes Sozialsystem und
hochverschuldete Unternehmen


  • die US-Wirtschaft ist weniger
    robust als sie scheint. Das hat
    Folgen, beobachtet Frank Wiebe.


Der Autor ist Leiter Geldpolitik.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

In der


Krise wird


deutlich,


dass ein


schwaches


Sozial system


auch zum


wirtschaftli-


chen Pro-


blem wird.


dpa (2), Bloomberg

Deutsche Post


Krise? Welche


Krise?


W


enn das kein Schnäpp-
chen ist! Wer am Montag
Aktien der Deutschen
Post zum Kurs von knapp 24 Euro
erwarb, den wird der Konzern zur
Hauptversammlung am 13. Mai mit
einer Dividende von 1,25 Euro be-
lohnen. Das jedenfalls stellt Kon-
zernchef Frank Appel nun in Aus-
sicht, der die Ausschüttung je An-
teilsschein um zehn Cent zu erhö-
hen gedenkt. Rechnerisch ergibt
sich daraus eine Dividendenrendite
von 5,25 Prozent – und das in nur
zwei Monaten.
Appel, der auf ein Rekordjahr mit
4,1 Milliarden Euro Betriebsgewinn
zurückblicken kann, will damit
nicht zuletzt Aktionäre einfangen,
die ihm in den vergangenen vier
Wochen in Scharen davongelaufen
sind. Fast 33 Prozent an Wert verlor
die Aktie zwischen 12. Februar und
vergangenem Montag. Weit mehr
noch als das teure Aus für den
Streetscooter, das 2020 einen Son-
derverlust von rund 400 Millionen
Euro hinterlassen wird, bereitete
Anlegern zuletzt das Coronavirus
Sorgen.
Daran ist die Post nicht unschul-
dig. 60 bis 70 Millionen Euro habe
die Krise den Konzern im Februar
gekostet, berichtete Appel vor zehn
Tagen. Ob man die angepeilten fünf
Milliarden Euro Betriebsergebnis
2020 halten werde, sei ungewiss.
Die Auswirkungen der weltweiten
Virusepidemie seien eben kaum
vorhersehbar. In einer solchen Si-
tuation nun eine Rekorddividende,
die den Konzern gut 1,75 Milliarden
Euro kosten wird? Ein riskantes Un-
terfangen ist das nur auf den ersten
Blick. Denn der Post-Konzern, in
den vergangenen Wochen noch Op-
fer des weltweit ins Stottern gerate-
nen Welthandels, könnte in den
nächsten Wochen von den absehba-
ren Lieferengpässen profitieren.
Wer dringend Ersatzteile benötigt,
wird sie sich dann per Express be-
sorgen müssen. Nach dem Ein-
bruch im Februar ziehe die Nach-
frage in der Sparte schon wieder
an, heißt es. Sogar Engpässe seien
zu erwarten. Posttochter DHL ist
mit ihrer Airline Marktführerin in
Asien, da dürfte die Kasse dem-
nächst wieder klingeln.

Post-Chef Frank Appel pokert
hoch – das aber mit einem
guten Blatt, meint Christoph
Schlautmann.

Der Autor ist Redakteur im
Ressort Unternehmen und Märkte.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Unternehmen & Märkte


MITTWOCH, 11. MÄRZ 2020, NR. 50
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