Chance
verpasst
E
s ist heute kaum zu glauben,
aber Twitter galt mal als
ernst zu nehmender Konkur-
rent von Facebook. Im Arabischen
Frühling 2011 wurde der Kurznach-
richtendienst als Organisationstool
der Aktivisten in Ägypten und Tu-
nesien weltberühmt, und es schien,
als könnte das Unternehmen dahin-
ter die menschliche Kommunikati-
on revolutionieren.
Neun Jahre später zählt Facebook
zu den wertvollsten Unternehmen
der Welt. Twitter-Gründer und
-Chef Jack Dorsey hat mit Mühe und
zum Preis eines faulen Kompromis-
ses die Attacke des aktivistischen
Investors Elliott Management abge-
wehrt, um überhaupt im Amt blei-
ben zu können.
Elliott-Chef Paul Singer wollte
Dorseys Kopf – nun bekommt er ein
Aktienrückkaufprogramm und neue
Aufsichtsratsmitglieder, die den
Twitter-Chef und seine wolkigen Vi-
sionen in Schach halten sollen.
Nach seinem ersten Rauswurf als
Twitter-Chef 2008 gründete Dorsey
ein weiteres Milliardenunterneh-
men, den erfolgreichen Zahlungs-
dienstleister Square – ein beeindru-
ckendes Zeichen für seinen Grün-
dergeist. Dass er nun aber seit
seiner Rückkehr 2015 Twitter als
Halbtagsjob führt, hat dem Unter-
nehmen sichtlich nicht gutgetan.
Das Unternehmen hat unzählige
Chancen vergeben, seine kulturelle
Bedeutung in Umsatz und Börsen-
wert umzusetzen. Vielversprechen-
de Ideen werden nicht zu Gold,
sondern zu App-Store-Leichen.
Auch die Twitter-Plattform selbst
hat sich unter Dorsey kaum weiter-
entwickelt. Während Facebook von
Marketplace über Dating bis zur VR-
Brille Oculus Quest links und rechts
neue Produkte auf den Markt
bringt, quält sich Twitter monate-
lang, ob das Zeichenlimit für
Tweets angehoben werden soll.
Es gibt Hunderte Unternehmens-
chefs, die für weniger ihren Job ver-
loren haben. Also wäre Elliott-Chef
Paul Singer genau der Mann gewe-
sen, der Jack Dorsey zur Rechen-
schaft hätte ziehen können. Singer
gilt als eiskalter No-nonsense-Inves-
tor – schade, dass er bei Dorsey zu-
rückgezuckt ist. Gerade bei Dorsey.
Elliott-Investor Paul Singer hätte
sich gegen Gründer und CEO Jack
Dorsey durchsetzen sollen,
bedauert Alexander Demling.
„Die Lehre aus dieser Krise muss lauten:
die wichtigsten Arznei-Wirkstoffe
identifizieren und deren Produktion nach
Deutschland und in die EU zurückholen.“
Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE, fordert Politik und
Pharmakonzerne angesichts des neuartigen Coronavirus auf, die
Abhängigkeit der Pharmaherstellung von China zu beenden.
Worte des Tages
Der Autor ist Korrespondent in
San Francisco.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]
D
er Kampf gegen die Corona-Epidemie
ist eine gesamtgesellschaftliche Aufga-
be geworden. Das Gesundheitswesen
wird auf eine harte Belastungsprobe
gestellt, die Behörden auch, jeder Ein-
zelne muss mit Hygiene und Umsicht seinen Beitrag
leisten. Aber auch die Unternehmen sind gefordert.
In diesen Wochen gilt es, das Streben nach Umsatz
und Ertrag ein Stück weit hinter die Verantwortung
für Mitarbeiter, Kunden und Geschäftspartner zu
stellen. Und im Großen und Ganzen kommen die
Unternehmen dieser Verantwortung auch erstaun-
lich gut nach. Auf breiter Front wurden schon früh-
zeitig Geschäftsreisen in Risikogebiete verboten oder
Mitarbeiter zu mehr Homeoffice ermutigt.
Soweit es im Einflussbereich des einzelnen Unter-
nehmens liegt, ist das auch eine Selbstverständlich-
keit. Im gleichen Maße, wie die Unternehmen Ver-
antwortung zeigen müssen, dürfen sie aber auch
entschlossene Ansagen von Regierung und Behör-
den erwarten. Vor allem wenn es um das öffentliche
Leben geht, beispielsweise bei Messen oder Veran-
staltungen, sind klare Richtlinien nötig – und in letz-
ter Konsequenz auch Entschädigungen und finan-
zielle Hilfen für die betroffenen Firmen.
In Deutschlands Unternehmen werden derzeit die
gleichen Diskussionen geführt wie in der gesamten
Bevölkerung. Die Ausbreitung des Coronavirus be-
reitet den meisten Mitarbeitern Angst. Allerdings
stellen sich viele Mitarbeiter auch die Frage, ob die
Reaktion nicht hysterisch ist. Manager und Unter-
nehmer müssen sicher abwägen, was eine angemes-
sene Reaktion ist. Im großen Stil entscheiden sie sich
im eigenen Einflussbereich aber richtigerweise für
den verantwortungsvollen Umgang mit dem Virus.
In den großen Konzernen haben sich rasch Krisen-
teams gebildet, zuerst wurden Geschäftsreisen nach
China und dann nach Italien untersagt. Reihenweise
stornieren Unternehmen eigene Veranstaltungen – in-
terne Treffen wie Managementtagungen oder Be-
triebsversammlungen, aber auch externe Präsentatio-
nen wie Pressekonferenzen werden per Video oder
Telefon angeboten. Viele Unternehmen schränken
selbst interne Meetings ein und bitten ihre Mitarbei-
ter in großem Rahmen, von zu Hause aus zu arbeiten.
Das mag im Einzelfall schmerzen – die Deutsche
Bank hat lange gezögert, bis sie ihre 150-Jahr-Feier
abgesagt hat. Doch die Entscheidungen sind wirt-
schaftlich verkraftbar, und sie helfen, die Ausbrei-
tung des Coronavirus zu verlangsamen. Damit kom-
men die Unternehmen nicht nur ihrer gesamtgesell-
schaftlichen Aufgabe nach, sie schützen auch sich
selbst. Eine von den Behörden verhängte Quarantä-
ne in einer Konzernzentrale oder einem Werk kann
teuer werden. Und je schneller die Epidemie be-
kämpft werden kann, umso schneller wird die Wirt-
schaft wieder zur Normalität zurückfinden – und die
Auswirkungen auf die Bilanzen werden gedämpft.
Geschäftsreisen lassen sich für eine gewisse Zeit
einschränken, Managementtagungen vergleichswei-
se leicht verschieben, Pressekonferenzen im Internet
übertragen. Es gibt aber Entscheidungen, die nicht
so leicht zu fällen sind. Mit und auf Messen werden
viele Millionen bewegt. Sport- und Kulturveranstal-
tungen mögen gemessen an jedem Todesfall, der
vermieden werden kann, verzichtbar erscheinen.
Für die Veranstalter aber sind sie ein großes Ge-
schäft – es geht um Umsätze und Existenzen.
Für die Politik ist es legitim, die Gesundheit der
Bürger über wirtschaftliche Interessen zu stellen.
Wenn auch Virologen oder das Robert-Koch-Institut
dringend dazu raten, die Ausbreitung des Virus mit
maximalem Einsatz einzudämmen, ist das richtig. Es
gibt bisher eben weder Medikamente zur Behand-
lung noch einen Impfstoff. Die Folgen einer flächen-
deckenden Verbreitung sind nicht abzuschätzen.
Für Unternehmen ist es aber legitim, die Verhält-
nismäßigkeit infrage zu stellen. Hier ist es Aufgabe
des Staates, die nötigen Entscheidungen zu treffen.
Wenn es darum geht, Veranstaltungen abzusagen,
um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen,
müssen Regierungen und Behörden klare und zügige
Entscheidungen treffen. Die Aussage von Bundesge-
sundheitsminister Jens Spahn vom vergangenen Wo-
chenende, er würde empfehlen, Veranstaltungen
mit mehr als 1 000 Teilnehmern abzusagen, muss
von den zuständigen Behörden in Bundesländern
und Landkreisen zügig umgesetzt werden.
Im gleichen Maße müssen Unternehmen, die über
Gebühr unter Vorsichtsmaßnahmen leiden, finan-
ziell unterstützt werden. Viele Gewerbetreibende,
aber auch etliche Mittelständler geraten in eine erns-
te Schieflage. Die von der Bundesregierung beschlos-
senen Hilfszusagen sind deshalb wichtig, sie werden
aber vermutlich nicht reichen.
Die Bewältigung der Coronakrise ist eine gesamt-
gesellschaftliche Aufgabe. Die Unternehmen müssen
mit all ihrer Verantwortung dazu beitragen, die Epi-
demie zu beherrschen und die Zahl der Todesfälle
möglichst gering zu halten. Sie können im Gegenzug
aber weitgehende Unterstützung durch den Staat er-
warten.
Coronavirus
Die Gesundheit
geht vor
Die Viruskrise zeigt:
Unternehmen
tragen eine hohe
Verantwortung
für Mitarbeiter
und Kunden. Sie
brauchen vom
Staat aber auch
klare Anweisungen
- und Hilfen, meint
Jürgen Flauger.
Sport- und
Kulturveran-
staltungen
mögen ver-
zichtbar
erscheinen.
Für Veranstalter
aber geht es um
Existenzen.
Der Autor ist stellvertretender Ressortleiter.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]
Meinung
& Analyse
MITTWOCH, 11. MÄRZ 2020, NR. 50
22