Handelsblatt - 11.03.2020

(singke) #1

Krypto-Regeln


Kampf um Blockchain-Strategie


Die Große Koalition will


Deutschland zum


Blockchain-Standort Nummer


eins machen. Die Branche


sieht Nachholbedarf.


Felix Holtermann Frankfurt


S


ie ist kein halbes Jahr alt, die
deutsche Blockchain-Strategie,
und schon heiß umkämpft. Im
September hatte die Große Koalition
ihre Ideensammlung vorgestellt, die
Deutschland zum Blockchain-Stand-
ort Nummer eins machen soll. Nun
meldet sich die Branche mit einem
eigenen Forderungskatalog zu Wort.
In die dezentrale Datenbanktech-
nologie setzen Politiker aus Union
und SPD große Hoffnungen: Berlin ist
schon heute ein Zentrum der Krypto-
Welt und soll diesen Status in den
kommenden Jahren ausbauen.
Damit das gelingt, muss die Politik
endlich Tempo machen, fordert der
Blockchain-Bundesverband, der Bun-
desblock. „Die Bundesregierung hat
mit der Blockchain-Strategie einen
wichtigen Meilenstein vorgelegt. Nun
müssen wir aber von der Theorie zur
Praxis kommen, sonst geraten wir ge-
genüber anderen Staaten ins Hinter-
treffen“, sagt Verbandspräsident Flo-
rian Glatz. Er übergibt das Positions-
papier an Digitalstaatsministerin
Dorothee Bär (CSU), am Mittwoch
soll es zudem in der Bundespresse-
konferenz vorgestellt werden. Dem
Handelsblatt lag es vorab vor.


Die „Empfehlungen zur Umset-
zung der Blockchain-Strategie“ sind
umfangreich. Die Mitglieder des Ver-
bands, darunter Krypto-Start-ups, Fi-
nanzinstitute und Fachleute, haben
ihre Forderungen in 16 Gebiete aufge-
teilt, von „B“ wie Bildung bis „Z“ wie
Zivilrecht. Veränderungen fordert
der Bundesblock etwa im Gesell-
schaftsrecht. Dieses benötige ein
„grundlegendes Update“ bei Perso-
nengesellschaften und Körperschaf-
ten, speziell der GmbH. „Tokenisier-
te“, virtuell abgebildete Unterneh-
mensanteile versprächen hier eine
„Erleichterung der Gründung, der in-
ternen Willensbildung und der An-
teilsübertragung“.

Weniger Zettelwirtschaft
Voraussetzung sei eine „Demateriali-
sierung des Wertpapierrechts“, bes-
tenfalls „auch für Aktien und elektro-
nische Investmentfondsanteile“. EU-
weit sollen „Mindestanforderungen
für Wertpapierprospekte“ definiert,
eine „Überregulierung“ bei der To-
ken-Ausgabe jedoch vermieden wer-
den. Die Forderungen gehen deutlich
über das von der Großen Koalition ei-
gentlich schon für 2019 geplante
Blockchain-Anleihe-Gesetz hinaus. Es
soll die Papiererfordernis für Bonds
abschaffen, hängt aber im Bundesjus-
tizministerium fest. Im Bundesfi-
nanzministerium drängen Spitzenpo-
litiker auf eine Entwurfsvorlage in
den kommenden Wochen.
Der Bundesblock regt die Einfüh-
rung eines sogenannten E-Euros

durch die Europäische Zentralbank
(EZB) und die Bundesbank an – „mit
dem Ziel, eine universelle, digitale,
offene und kostenfreie Bezahlinfra-
struktur“ aufzubauen. Getestet wer-
den soll der E-Euro kurioserweise in
der sächsischen Gemeinde Mittweida


  • Sitz einiger Krypto-Start-ups und ei-
    ner branchenaffinen Volksbank.
    Geht es nach der Lobby, sollen
    staatliche Zahlungsmittel und private
    Coins langfristig gleichgestellt wer-
    den. Letztere sollen außerdem steu-
    erlich begünstigt werden – warum,
    bleibt offen. Grundsätzlich fordert
    der Bundesblock die Aufgabe der
    Schriftformerfordernis in allen rele-
    vanten Gesetzen und Vorgaben. Die
    europäische Datenschutz-Grundver-
    ordnung (DSGVO) müsse verschlüs-
    selt und unlöschbar in der Blockchain
    abgelegte Nutzerdaten ausklammern.
    Und der Staat solle eine „Bundes-
    Blockchain“ als „Infrastruktur in öf-
    fentlicher Hand“ aufbauen, „auf der
    private Lösungen aufsetzen können“.
    Unter Beobachtern stoßen die For-
    derungen auf Zustimmung. „Das Pa-
    pier ist sehr hilfreich und weist einige
    gute Ideen auf “, sagt etwa Thomas
    Heilmann, Blockchain-Experte der
    CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Mit
    vielen Forderungen sollte sich die Po-
    litik intensiv auseinandersetzen.“
    Heilmann hält unter anderem die
    Idee eines E-Euros für bedenkens-
    wert. „Der Druck steigt. Ich bin si-
    cher, dass wir private Stablecoins wie
    etwa Facebooks Libra nicht auf Dau-
    er verhindern können. Daher sollte


die EZB für den Interbankenverkehr
sehr schnell einen Euro-Token aufle-
gen, der Standards setzt.“ Der Stan-
dard könnte zukünftig auch von Pri-
vaten genutzt werden. Überfällig sei
auch die Einführung digitaler Aktien,
auch wenn Heilmann in dieser Legis-
laturperiode nicht mehr mit einem
entsprechenden Vorstoß rechnet.
Philipp Sandner, Leiter des Block-
chain Center der Frankfurt School of
Finance, hält die Vorschläge des Bun-
desblocks für „mehrheitlich sehr
sinnvoll“. Allerdings merke man dem
Positionspapier an, dass vor allem
Blockchain-Start-ups daran mitgear-
beitet hätten: „Daher kommt die Mei-
nung der klassischen Finanzszene
und der Industrie etwas zu kurz.“

Finanzsystem


Hedgefonds profitieren von Coronapanik


Die Börsenturbulenzen


spielen Hedgefonds in die


Hände. Viele fuhren bei den


jüngsten Kursstürzen


Gewinne ein.


Carsten Volkery London


A


ls die Capital Group vor ei-
nem Monat als neuer Großin-
vestor bei der Deutschen
Bank einstieg, machte die Aktie des
Geldhauses einen Sprung. Das Nach-
sehen hatten die Leerverkäufer, die
Millionen darauf gewettet hatten,
dass der Kurs fallen würde. Nach der
verlorenen Wette stieß der Hedge-
fonds Caxton alle Deutsche-Bank-Pa-
piere ab – und nahm einen zweistelli-
gen Millionenverlust in Kauf.
Wenige Wochen später sieht die
Lage schon ganz anders aus. In der
Coronapanik ist die Deutsche-Bank-
Aktie eingebrochen und notiert nun
40 Prozent unter dem Zwischenhoch
vom Februar. Die Leerverkäufer, da-
runter die Hedgefonds Marshall Wace
aus London und AQR Capital aus
Connecticut, dürfen sich bestätigt
fühlen. Die Position von AQR Capital
liegt aktuell mit 219 Millionen Euro
im Plus.
Die Shortseller sind nicht die einzi-
gen Fondsmanager, die von der Bör-
senpanik im Zuge der Coronakrise
profitieren. Rund 40 Prozent aller
Hedgefonds haben laut dem Daten-
anbieter Hedge Fund Research (HFR)
im Februar Gewinne verzeichnet –


trotz des Bärenmarkts. Besonders
Anleihefonds und Makrofonds, die
auf allgemeine Markttrends setzen,
hätten in den ersten beiden Monaten
des Jahres gut abgeschnitten, sagt
HFR-Chef Ken Heinz. Anleihefonds
etwa hätten um 1,5 Prozent zugelegt.
Im Vergleich zu den kräftig eingebro-
chenen Aktienmärkten ist das viel.
Die Mehrheit der Hedgefonds liegt
zwar auch leicht im Minus, hat sich
aber deutlich besser gehalten. Der
Eureka Hedge Fund Index, der mit
2233 Fonds einen breiten Quer-
schnitt der Branche abdeckt, hat seit
Jahresbeginn nur um 1,5 Prozent
nachgegeben. Im Februar hätten
Hedgefonds ihre beste Performance
relativ zum Aktienmarkt seit Februar
2009 gezeigt, teilte der Datenanbie-
ter am Dienstag mit.
Und es gibt etliche Ausreißer nach
oben: So haben zwei der Volatilitäts-
indizes von Eureka Hedge seit Jahres-
beginn zweistellig zugelegt. Das ist
angesichts der Marktturbulenzen we-
nig verwunderlich.
Insgesamt hat sich die Perfor-
mance der Hedgefonds und der Ak-
tienindizes umgekehrt. Im vergange-
nen Jahr hatten sich erstere schwer-
getan. Trotz ausgefeilter Strategien
schafften sie es nicht, mit dem Bul-
lenmarkt mitzuhalten. Im Schnitt er-
zielte die Branche laut HFR nur Ver-
mögenszuwächse von rund zehn Pro-
zent – während der S&P 500 und der
Dax fast dreimal so stark wuchsen.
„Im vergangenen Jahr konnten An-
leger nichts falsch machen“, sagt Pa-

trick Ghali, Managing Partner bei der
Hedgefonds-Beratung Sussex Part-
ners. Man habe mit allen Anlageklas-
sen Geld verdient. Inzwischen jedoch
seien Aktien so teuer, dass die Leute
wieder stärker die Risiken sähen.
„Die Coronakrise erinnert daran,
dass man nicht nur Aktien im Portfo-
lio haben sollte.“
Hedgefonds hingegen profitieren
vom Abwärtstrend. Die rund 50 Hed-
gefonds, mit denen er zusammenar-
beite, hätten in der vergangenen Wo-
che im Schnitt zwei, drei Prozent zu-
gelegt, sagt Ghali. Die besten hätten
sogar bis zu 15 Prozent geschafft. Na-
men darf er nicht nennen.
Nicht nur mit Wetten gegen euro-
päische Banken lässt sich gerade
Geld verdienen. Auch das Spekulie-
ren gegen Fluggesellschaften, Kreuz-

fahrtschiffbetreiber und Energiefir-
men ist für einige sehr lukrativ. Bei-
spiel Saba Capital Management:
Fondsmanager Boaz Weinstein konn-
te das Vermögen seines größten
Fonds laut Finanznachrichtendienst
Bloomberg in den ersten beiden Mo-
naten des Jahres um 25,5 Prozent ver-
mehren. Unter anderem hatte er im
Dezember Kreditausfallversicherun-
gen (CDS) zu Royal Caribbean Cruises
und United Airlines gekauft und die-
se im Februar zu einem höheren
Preis verkauft.
Zu den Gewinnern zählt auch Ken
Griffin, Gründer des US-Hedgefonds
Citadel in Chicago. Er machte zuletzt
Dutzende Millionen mit Leerverkäu-
fen gegen die Fluggesellschaften Luft-
hansa und Easyjet. Aktuell hat er
auch die Ölfirmen Petrofac und Tul-
low Oil im Visier. In London wettete
Crispin Odey von Odey Asset Ma-
nagement erfolgreich gegen amerika-
nische Schieferölfirmen.
HFR-Chef Heinz erwartet nicht,
dass sich die Aussichten für Hedge-
fonds bald ändern. „Wir sind in ei-
nem anderen Marktumfeld als 2019“,
sagt er. Es sei zu erwarten, dass die
Turbulenzen vorerst anhalten. „Die
Hedgefonds, die sich im Februar gut
geschlagen haben, werden auch im
März gut abschneiden.“
Auch Ghali ist zuversichtlich. Für
Jahresprognosen sei es noch zu früh,
aber im Moment sehe es so aus, als
würden Hedgefonds den breiteren
Markt übertreffen. „Wir sind vorsich-
tig optimistisch.“

Moment/Getty Images

New Yorker Börse:
Nicht alle Anleger
fürchten Kursstürze.

AFP

Finanzen & Börsen
MITTWOCH, 11. MÄRZ 2020, NR. 50
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