Handelsblatt - 11.03.2020

(singke) #1
Moritz Koch, Dietmar Neuerer Berlin

D


ie Kanzlerin spricht von „Abhängig-
keiten, die wir auf Dauer in Wert-
schöpfungsketten nicht für richtig
halten“. Der Bundesinnenminister
mahnt: „Wir können nur mit solchen
Anbietern zusammenarbeiten, die unsere Sicher-
heitsvorgaben einhalten und damit unsere digitale
Souveränität gewährleisten.“ Der Wirtschaftsminis-
ter treibt den Aufbau einer „eigenständigen“
Cloud-Plattform, Gaia-X, voran, um Europas
Selbstbehauptung in der neuen globalen Daten-
ökonomie sicherzustellen. Und von der EU-Kom-
mission in Brüssel kommt die Warnung: „Wer digi-
tale Technologien kontrolliert, wird im 21. Jahrhun-
dert zunehmend in der Lage sein, ökonomische,
gesellschaftliche und politische Entwicklungen zu
bestimmen.“
In den vergangenen Monaten ist so viel über di-
gitale Souveränität diskutiert worden, dass man
fast den Eindruck erhält, es sei ein neues Staatsziel
im Grundgesetz verankert worden. Das Kanzleramt
lässt eine Datenstrategie erarbeiten, die für Europa
einen „dritten Weg“ ins Digitalzeitalter auskund-
schaften soll – jenseits von amerikanischem Daten-
kapitalismus und chinesischer Digitaldiktatur.
Doch während die Experten beraten, werden im
Alltag Fakten geschaffen. Fakten, die schwer mit
dem Ziel der digitalen Souveränität zu vereinbaren
sind. Es geht um einen der sensibelsten Bereiche
der Digitalisierung: das „smart policing“, mit
Künstlicher Intelligenz (KI) gestützte Polizeiarbeit.
Nach Hessen hat auch Nordrhein-Westfalen be-
schlossen, Ermittler mit digitalen Hilfsmitteln der
umstrittenen US-Firma Palantir auszustatten, die
auch mit den Geheimdiensten der USA und dem

Pentagon zusammenarbeitet. Die Palantir-Software
soll verschiedene Datenbanken der Polizei ver-
knüpfen, gleichzeitig aber auch Onlinenetzwerke
wie Facebook durchleuchten, um Verdächtigen
nachzuspüren und Täterprofile zu erstellen.
Doch gegen den Einsatz von Palantir regt sich
nun Widerstand, vor allem im Bundestag. „Die Si-
cherheitsbehörden der Länder bewegen sich in ei-
ne neue Abhängigkeit“, sagte der digitalpolitische
Sprecher der SPD-Fraktion, Jens Zimmermann,
dem Handelsblatt. „Die digitale Souveränität
Europas und ihre Rückgewinnung sind für die
SPD-Bundestagsfraktion eines der drängenden di-
gitalpolitischen Themen der Stunde“, ergänzt der
stellvertretende SPD-Fraktionschef Sören Bartol.
„Gerade in sicherheitsrelevanten Bereichen muss
gewährleistet sein, dass der Umgang mit sensiblen
Daten der Bürgerinnen und Bürger unseren daten-
schutzrechtlichen Bestimmungen entspricht.“
Auch in der Unionsfraktion tut man sich mit Auf-
trägen für Palantir schwer. Einerseits sollten „unse-
re Polizeibehörden das beste Produkt für ihre
Arbeit bekommen“, sagte Tankred Schipanski,
digitalpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. An-
dererseits sei es wichtig, „dass wir – gerade im si-
cherheitsrelevanten Bereich – unsere deutschen
und europäischen Anbieter so stärken, dass sie in-
ternational konkurrenzfähig sind“.
Noch deutlicher wird FDP-Fraktionsvize Stephan
Thomae: „Wenn man immer mehr Daten sammelt
und hochleistungsfähige Werkzeuge zu ihrer Aus-
wertung einsetzt“, drohten „tektonische Verschie-
bungen“ für die Bürgerrechte: „Der Bürger wird
gläsern: Big Data für Big Brother.“ Und noch eine
Sorge treibt Thomae um: „Wie will man eigentlich

eine demokratische Kontrolle solch gigantischer
Überwachungsinstrumente gewährleisten?“
In den Büros der Bundestagsabgeordneten ging
Ende Februar ein Schreiben von Gerhard Schindler
und Fritz Rudolf Körper ein. Der frühere Chef des
Bundesnachrichtendiensts und der ehemalige In-
nenstaatssekretär verweisen darin auf den Zusam-
menschluss der deutschen Anbieter Empolis und
Intelligent Views. Die Firmenfusion sei „ein Beitrag
zur nationalen digitalen Souveränität im Sinne von
‚deutsche KI für deutsche Sicherheitsbehörden‘“,
schreiben die Ex-Beamten – und verweisen auf ei-
nen Schlüsselsatz, den die Bundesregierung in ih-
rem Strategiepapier zur Sicherheits- und Verteidi-
gungsindustrie selbst formuliert hat: „Zur Erlan-
gung einer digitalen Souveränität und Resilienz
gegenüber einer hybriden Bedrohung soll die Ab-
hängigkeit von ausländischen Informationstechno-
logien reduziert werden.“
Palantir wird in dem Schreiben nicht erwähnt.
Doch auch so ist die Schlussfolgerung klar: Im Be-
reich der Sicherheitsinformatik wird mit der Auf-
tragsvergabe an Palantir die „Abhängigkeit von aus-
ländischen Informationstechnologien“ nicht redu-
ziert, sondern vergrößert. Schindler und Körper
arbeiten inzwischen für ein Lobbybüro im Berliner
Regierungsviertel. Ihr Engagement folgt kommer-
ziellen Interessen. Doch die früheren Spitzenpos-
ten im Staatsapparat verleihen ihren Stimmen auch
heute noch politisches Gewicht.
Das Auftragsvolumen in Nordrhein-Westfalen ist
eigentlich gering: Auf 14 Millionen Euro beläuft es
sich nach offiziellen Angaben. Doch die Entschei-
dungen der zwei bevölkerungsreichen Bundeslän-
der dürften Signalwirkung entfalten. Bayern prüft

Big Data für Ermittler

Deutsche Polizeibehörden setzen auf die Dienste der umstrittenen US-Firma Palantir.


Gegner sehen darin eine Gefahr für die digitale Souveränität.


Polizisten im
Einsatz, Palantir-
Chef Alex Karp:
Seine Firma hat ein
Fahndungspro-
gramm entwickelt.

dpa, Peter Klaunzer/EPA-EFE/Shutterstock

dpa

Die


Abwägung


des Staates


darf nicht


nur einseitig


auf eine


Revolutio -


nierung der


Polizeiarbeit


ausgerichtet


sein.


Johannes Caspar
Hamburger
Datenschützer

Titelthema


Digitale Polizei


MITTWOCH, 11. MÄRZ 2020, NR. 50
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