Handelsblatt - 11.03.2020

(singke) #1

die Beauftragung von Palantir schon, in Hamburg
gab es Streit um einen geplanten „Palantir-Paragra-
fen“ im Polizeigesetz. Palantir selbst gibt sich ver-
schwiegen. Eine Anfrage des Handelsblatts ließ das
Unternehmen unbeantwortet.
Datenschützer sind alarmiert. Anbieter, die nicht
nur ausländischen Überwachungs- und Spionagere-
gelungen unterworfen seien, sondern auch für dor-
tige Geheimdienste und das Verteidigungsministeri-
um arbeiteten, seien „als Partner bei der Verarbei-
tung personenbezogener Daten kaum geeignet“,
sagte der Hamburger Datenschützer Johannes Cas-
par. Im Bereich der Verarbeitung personenbezoge-
ner Daten habe der Staat seinen Bürgern „höchst-
möglichen Schutz“ zu gewährleisten. „Hier darf die
Abwägung nicht nur einseitig auf das kriminalpoli-
tisch Mögliche und eine Revolutionierung der Poli-
zeiarbeit ausgerichtet sein, sondern muss auch die
Wahrung der Rechte und Freiheiten von Betroffe-
nen zentral im Blick haben“, so der Datenschützer.
Die Polizei in Hessen setzt seit Ende 2017 mit
„Hessen-Data“ eine Datenanalysesoftware ein, die
auf der Software „Gotham“ der Firma Palantir ba-
siert. Im Zentrum der damit möglichen Massenda-
tenauswertung steht der Bereich des islamistisch
motivierten Terrorismus, aber auch schwere und
organisierte Kriminalität. Staatsschützer und Kri-
minalbeamte sollen auf diese Weise leichter Bedro-
hungslagen erkennen und sogenannte Gefährder
identifizieren können. Mit der Palantir-Software
werden keine neuen Daten erhoben, sondern bis-
lang unverknüpfte Datenbestände der Polizei zu-
sammengeführt und ausgewertet. Dabei werden
aber nicht nur polizeiinterne Informationen über
Kriminalfälle und Fahndungen verwendet, wie To-
bias Singelnstein, Kriminologe und Professor an
der Ruhr-Uni Bochum, im vergangenen Jahr erläu-
terte. Ausgewertet würden auch Verbindungsdaten
aus der Telefonüberwachung, Inhalte ausgelesener
Mobiltelefone, E-Mails, Social-Media-Daten und an-
deres mehr. „Auf diese Weise kann ‚Hessen-Data‘
zum Beispiel Zusammenhänge zwischen verschie-
denen Personen oder Ereignissen erkennen. Wer
kennt sich? Wer wohnt nah beieinander? Zwischen
welchen Ereignissen besteht vielleicht eine Verbin-
dung?“, schrieb Singelnstein in einem Beitrag für
das Onlineportal Netzpolitik.de.
Auch die Bundesregierung hatte schon Kontakt
zu dem umstrittenen Unternehmen. Auf eine ent-
sprechende Frage des Grünen-Bundestagsabgeord-
neten Omid Nouripour vom 26. April 2018 antwor-
tete der damalige parlamentarische Staatssekretär
im Bundesverteidigungsministerium, Peter Tauber
(CDU), die Produkte der Firma Palantir, insbeson-
dere das „Big-Data-Analyse-Werkzeug Gotham“, sei-
en als „marktführende/-gängige Produkte“ im Bun-
desministerium der Verteidigung bekannt. „Im
Rahmen einer grundsätzlichen Marktanalyse/-sich-
tung zu entsprechenden Produkten hat ein Ge-
spräch mit Vertretern der Firma Palantir stattge-
funden.“ Tauber betonte zugleich, dass im Ge-
schäftsbereich des Verteidigungsministeriums
keine Palantir-Produkte genutzt würden.
Polizeibeamte beschreiben die Vorteile der Ana-
lysesoftware als „ganz erheblich“. Sie sind über-
zeugt, dass sie damit einen islamistischen Anschlag
vereitelt haben. Mithilfe der Software habe etwa
ein 17-jähriger Iraker aus Eschwege festgenommen
werden können, der unmittelbar davorgestanden
habe, einen Anschlag zu begehen. So steht es in ei-
nem Bericht eines Untersuchungsausschusses des
hessischen Landtags. Das Gremium befasste sich
bis Anfang 2019 mit der Frage, ob die Auftragsver-
gabe an Palantir rechtswidrig erfolgt ist. Landesin-
nenminister Peter Beuth (CDU) hatte den Auftrag
an Palantir vergeben, ohne Angebote von Bewer-
bern einzuholen.
Marit Hansen, Datenschutzbeauftragte von
Schleswig-Holstein und Mitglied der Datenethik-
kommission der Bundesregierung, sieht ein „fun-
damentales“ Problem: „Wieso überhaupt sollte die
Polizei alle möglichen Datenbanken verknüpfen
und quasi beliebig auswerten dürfen?“, fragt sie. Es
sei „hochproblematisch, wenn in der polizeilichen
Datenverarbeitung jedes Mittel recht ist“.


Palantir

Blick in andere Welten


A


lex Karp gibt sich als Freidenker. In Inter-
views erzählt er von seiner wilden Studi-
enzeit in Deutschland, wo er in Philoso-
phie promovierte und nebenher das Nachtleben
erkundete. Er lässt wissen, dass er sein Leben als
eine „künstlerische Reise“ verstehe, die es ihm
erlaube, kreativ zu sein. Und er lässt sich beim
Tai Chi mit Kollegen fotografieren.
Dieses Bild will jedoch nicht zur Firma passen,
die der 52-jährige Amerikaner leitet: Palantir
Technologies entwickelt Software für die Daten-
analyse, die Geheimdienste und Ermittlungsbe-
hörden bei der Suche nach Terroristen und Kri-
minellen einsetzen. Zu den Details äußert sich
das Management nur vage. Geheimniskrämerei
statt offenem Diskurs, Big Data statt kritischer
Theorie.
Dabei zählt das Start-up aus Palo Alto mit einer
Bewertung von mutmaßlich 20 Milliarden Dollar
zu den Stars des Silicon Valley. Und mit seiner
Technologie ist es bei Polizeibossen und Sicher-
heitsbehörden ein gefragter Gesprächspartner.
Auch in Deutschland, wo mehrere Behörden die
Software einsetzen oder an der Einführung arbei-
ten – unter argwöhnischer Beobachtung von Bür-
gerrechtlern und Datenschützern.
Die Idee entwickelte Peter Thiel: Der Mitgrün-
der von Paypal überlegte in seiner Zeit beim Zah-
lungsdienstleister, dass sich Technologie zur Ent-
deckung von Betrügereien auf andere Lebensbe-
reiche übertragen lassen müsste – zum Beispiel
die Suche nach Terroristen. Er kontaktierte sei-
nen Freund Alex Karp, den er von der Universität
Stanford kannte – gemeinsam mit drei weiteren
Freunden begannen sie 2003, zwei Jahre nach
den Anschlägen auf das World Trade Center, mit
dem Aufbau des Start-ups.
Der Name stammt aus der Buchreihe „Herr der
Ringe“, die auch im Silicon Valley zahlreiche
Fans hat, und er soll Programm sein. Ein Palantir
ist in dieser Fantasiewelt ein Kristall, der einen
Blick durch die Augen eines anderen ermöglicht


  • und damit als mächtiges Instrument für Aufklä-
    rung und Spionage dient. Ironie der Geschichte:
    Neben den Helden nutzen auch Schurken wie der
    dunkle Herrscher Sauron solche sehenden Steine

  • und oft sind die Bilder irreführend.
    Was Palantir macht, hat indes wenig mit Magie
    zu tun, viel mit Technik. Das Start-up ist aufs Da-
    ta Mining spezialisiert, also die Analyse großer
    Datenmengen. Seine Systeme analysieren
    E-Mails, Einträge in Datenbanken, Veröffentli-
    chungen in sozialen Medien oder Bilder von
    Überwachungskameras – die Maschine findet
    Trends, Querverbindungen und Zusammenhän-
    ge, die Menschen mühevoll zusammensuchen
    müssten. Dafür braucht sie intelligente Statistik
    und leistungsfähige Hardware.


Diese Technologie vermarktet Palantir Techno-
logies einerseits an Sicherheitsbehörden wie Poli-
zeistellen und Geheimdienste. So mancher Ter-
roranschlag sei auf diese Weise verhindert wor-
den, behauptet Karp, freilich, ohne Details zu
nennen. Angesichts dieser Verflechtung bezeich-
net die amerikanische Bürgerrechtsorganisation
ACLU das Start-up als eine Schlüsselfirma der
Überwachungsindustrie.

Joint Venture mit Merck
Andererseits arbeitet Palantir mit Unternehmen
zusammen, in der Liste stehen Namen wie Air-
bus, Credit Suisse, JP Morgan Chase und Ferrari.
Der Pharmahersteller Merck, einer der wichtigs-
ten Kunden in Europa, steht dafür exemplarisch.
Das Darmstädter Unternehmen nutzt die Ana -
lyse instrumente seit 2017, und zwar auf ganz an-
dere Weise als die Sicherheitsbehörden: Es will
globale Lieferketten mit Datenanalysen flexibler
organisieren und neue Substanzen entwickeln.
Mithilfe von Palantir arbeitet Merck beispiels-
weise interne Daten aus der eigenen Forschung
sowie dem Konzern vorliegende, anonymisierte
Patientendaten auf. Mit den daraus gewonnenen
Erkenntnissen sollen neue Therapien gegen
Krebs beschleunigt und die Patientenversorgung
verbessert werden. Ende 2018 gründete Merck
mit Palantir zudem ein Gemeinschaftsunterneh-
men namens Syntropy. Es soll laut Konzernchef
Stefan Oschmann zu einer Plattform für die
Krebsforschung werden, das Daten von Wissen-
schaftlern und Forschungszentren aus aller Welt
aggregiert – Informationen aus der frühen Krebs-
forschung in Arzneifirmen und Instituten liegen
bisher nur isoliert vor. Das Angebot richtet sich
beispielsweise an große Forschungszentren.
Solche Beispiele zeigen: Palantir hat sich etab-
liert. 2018 betrug der Umsatz nach Informatio-
nen des „Wall Street Journal“ 880 Millionen Dol-
lar. Dabei tat sich das Start-up anfangs schwer,
Geldgeber zu finden. In-Q-Tel, die Risikokapital-
gesellschaft der CIA, sprang in die Bresche, zu-
dem schoss Mitgründer Thiel 30 Millionen Dollar
des Startkapitals hinzu. Heute dürfte sein Anteil
ein Vielfaches wert sein: Bei einer Finanzierungs-
runde wurde das Unternehmen angeblich mit 20
Milliarden Dollar bewertet.
Auch Alex Karp, der promovierte Philosoph
und Sohn von Hippies, dürfte nun ein reicher
Mann sein und erst recht, wenn Palantir eines
Tages an die Börse gehen sollte, wie es Beobach-
ter bereits seit einiger Zeit erwarten. Nicht dass
es ihm etwas bedeuten würde: In einem Podcast
behauptete er, nicht über die Bewertung des Un-
ternehmens nachzudenken. Das Geld biete ihm
viel Freiheit, frei von Druck zu leben.
Christof Kerkmann, Bert Fröndhoff

Palantir-Büro
in Palo Alto: Der
Datenspezialist
gibt nur wenig
von sich preis. Bloomberg,

dpa

Gerade in


sicherheits -


relevanten


Bereichen


muss


gewährleistet


sein, dass der


Umgang mit


sensiblen


Daten der


Bürgerinnen


und Bürger


unseren


datenschutz -


rechtlichen


Bestimmungen


entspricht.


Sören Bartol
SPD-Fraktionsvize

Digitale Polizei


MITTWOCH, 11. MÄRZ 2020, NR. 50
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