Der Spiegel - ALE (2022-01-08)

(EriveltonMoraes) #1
SPORT

112 DER SPIEGELNr. 2 / 8.1.2022

denn in den 34 Spielen, wenn danach die
Playoffs entscheiden?
SPIEGEL: Sie könnten sich als DFL-Funktionär
auch dafür einsetzen, dass das TV-Geld an-
ders verteilt wird. Derzeit bekommt Bayern
München dreimal so viel aus der zentralen
Vermarktung ausgezahlt wie der Tabellen-
letzte.
Watzke: Das ist kein gangbarer Weg. Wenn
Sie einem Klub 50 Millionen Euro wegneh-
men und das Geld auf die 35 anderen Klubs
verteilen, dann erhöhen Sie damit nicht die
Wahrscheinlichkeit, dass einer der Begüns-
tigten Meister wird. Mal abgesehen davon,
dass jeder einzelne Klub wirtschaftlich auch
davon profitiert, dass jemand international
für Deutschland die Eisen aus dem Feuer holt.
Ich bin dagegen, einem Klub etwas weg-
zunehmen, das ihm zusteht. Der FC Bayern
dominiert auch, weil er 50 Jahre lang vieles
richtig gemacht hat. Mit Zwangsmaßnahmen
und Sozialismus ist diese Unwucht nicht zu
beheben.
SPIEGEL: Würden Sie eine Sponsoren-Partner-
schaft mit Katar eingehen, um den Rückstand
zu verringern?
Watzke: Ich werde nicht über Kooperationen
anderer Klubs mit deren Partnern urteilen.
Gehen Sie davon aus, dass wir schon ein paar
potenzielle Geldgeber abgelehnt haben, weil
sie nicht zu unseren Grundsätzen passen. Es
gibt Partner, die wir nicht nehmen, egal wie
viel Geld dabei herausspringt. Offen müssen
wir natürlich trotzdem sein.
SPIEGEL: Welche Partner würden Sie aus-
schließen?
Watzke: Staatliche Unternehmen aus Belarus
etwa. Oder Sponsoren, die sich den Unter-
gang Israels auf die Fahnen schreiben. Das
geht für uns aufgrund unserer Geschichte,
aufgrund unseres Kampfes gegen Antisemitis-
mus und unserer engen Partnerschaft mit Yad
Vashem nicht.
SPIEGEL: Der finanzielle Druck auf die Ver-
eine kann schon bald noch größer werden,
wenn die Bundesliga wegen der Pandemie
wieder vor leeren Rängen spielen muss.
Watzke: Solche Geisterspiele hält der Fußball
nicht lange durch. Das wird einem ganzen
Wirtschaftszweig den Garaus machen.
SPIEGEL: Das haben Sie bereits gesagt, als es
Geisterspiele 2020 zum ersten Mal gab. Noch
ist kein Klub kollabiert.
Watzke: Und daraus leiten Sie ab, dass das
immer so weitergehen kann? Jedes Spiel ohne
Zuschauer kostet uns vier Millionen Euro.
Das ist wirtschaftlich kaum noch zu verkraf-
ten. Zudem wird die Verbindung zwischen
dem Klub und seinen Fans ein gutes Stück
weit zerstört. Ein Teil der Zuschauer wird
nicht zurückkommen. Das führt dazu, dass
wir noch größere Probleme bekommen wer-
den – in fünf oder zehn Jahren.
SPIEGEL: Sie halten die Entscheidung für Spie-
le ohne Zuschauer für überzogen?
Watzke: Für mich ist sie falsch. Richtig wäre
es gewesen, einen Prozentsatz der Stadion-
kapazität zuzulassen. 8000 Zuschauer kann

man im Signal Iduna Park und mit unserer
Infrastruktur so verteilen, dass sie physisch
so gut wie nichts miteinander zu tun haben.
Und das Thema der Sicherheit bei der
Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln
würde sich auch erledigen. Wir haben mehr
als 10 000 Parkplätze. Zudem kommen
bis zu 15 Prozent der Leute zu Fuß oder mit
dem Rad, und in der Pandemie haben sich
viele Zuschauer ohnehin entschieden, eher
mit dem eigenen Pkw anzureisen. Mit den
oben beschriebenen 8000 Zuschauern bei
uns wäre die Infektionsgefahr denkbar ge-
ring, und das weiß ja ehrlich gesagt auch je-
der. Aber der Fußball muss für Symbolpoli-
tik herhalten. Erklären Sie mir, warum Mu-
sicalhallen zweimal pro Tag mit 750 Men-
schen und einer Auslastung von 45 Prozent
besetzt werden und in den großen Freiluft-
stadien keine Zuschauer zugelassen sind. Da
fühlt man sich schon ein wenig im Stich ge-
lassen.
SPIEGEL: Im Gegensatz zu vielen anderen Be-
trieben der Unterhaltungsindustrie durfte die
Bundesliga in der ersten Coronawelle durch-
spielen. Die guten Kontakte in die Politik hal-
fen ihr, der ehemalige Gesundheitsminister
Jens Spahn ist ein Freund von Ihnen. Ist Ihr
Verhältnis zu Nachfolger Karl Lauterbach
ebenfalls so gut?
Watzke: Auch mit Karl Lauterbach habe ich
mich schon ausgetauscht. Ich fand es honorig,
dass er während der ersten Welle eigene Feh-
ler und eine falsche Einschätzung, bezogen
auf unsere Rückkehr in den Spielbetrieb, of-
fen eingestanden hat. Mir geht es nicht darum,
jetzt die Stadien vollzumachen, das wäre ein
völlig falsches Signal. Aber ich halte zehn Pro-
zent der Stadionkapazität für angemessen.

Meinetwegen sogar zehn Prozent ausschließ-
lich Geboosterte.
SPIEGEL: Die Solidarität in der Bevölkerung
mit den Sorgen der Bundesliga wächst nicht
gerade, wenn sich Profis, so wie gerade ge-
schehen, im Weihnachtsurlaub in Dubai oder
auf den Malediven mit dem Coronavirus in-
fizieren.
Watzke: Haben Sie ernsthaft den Eindruck,
dass sich gerade prozentual mehr Fußball-
spieler anstecken als Menschen anderer Be-
rufsgruppen? Man kann niemanden dazu
zwingen, auf seinen Urlaub zu verzichten.
Wir sollten solche Themen schon auf Fakten-
basis diskutieren und nicht populistisch. Die
Inzidenz in den Vereinigten Arabischen Emi-
raten war deutlich geringer als in Frankreich
oder in Deutschland. Das Problem ist, dass
die Leute alles zusammenwerfen. Vom Urlaub
in Dubai sind sie dann schnell wieder beim
vergoldeten Steak, das einige Spieler vor der
Pandemie vertilgt haben.
SPIEGEL: Wie ließe sich das Image des Fuß-
balls verbessern?
Watzke: Indem wir uns zunächst mal besser
um ihn kümmern. Der Deutsche Fußball-Bund
zum Beispiel hat sich in den vergangenen Jah-
ren viel zu sehr mit sich selbst und viel zu
wenig mit dem Fußball beschäftigt. Ein Punkt:
Wir müssen unsere Nationalmannschaft bes-
ser präsentieren. Mehr Nähe zeigen. Mehr
Sinn für die Wünsche der Menschen haben.
SPIEGEL: Haben Sie einen konkreten Vor-
schlag, wie das gehen soll?
Watzke: Vielleicht sollte man zuallererst mal
damit aufhören, das Team »Die Mannschaft«
zu nennen. Dieser Begriff ist mir zu abgeho-
ben. Es ist respektlos gegenüber allen anderen
erfolgreichen Mannschaften. »Die Mann-
schaft« gibt es nicht, es gibt viele Mannschaf-
ten. Wir müssen bodenständiger werden, uns
auf die Basis zurückbesinnen.
SPIEGEL: Das Label »Die Mannschaft« wird
also abgeräumt?
Watzke: Ich werde das zumindest anregen.
SPIEGEL: Sie sind so etwas wie das letzte Ur-
gestein der Bundesliga, nachdem Uli Hoeneß
und Karl-Heinz Rummenigge abgetreten sind.
Fehlen Ihnen Ihre alten Rivalen?
Watzke: Ja. Denn es fehlen dem Fußball damit
Persönlichkeiten. Und Figuren, die eine ge-
wisse Streitkultur ausleben, aushalten und
letzten Endes für wichtig halten, um sich posi-
tiv zu entwickeln. Die neue Generation der
Manager bemüht sich, das ist zumindest mein
Eindruck, eher um Geschliffenheit, Geschmei-
digkeit.
SPIEGEL: Ist das schlecht?
Watzke: (lacht) Nicht zwangsläufig. Für den
Moment wird der Fußball dadurch jedenfalls
nicht interessanter. Wenn ich daran denke,
wie wir Dortmunder uns früher mit Rumme-
nigge und Hoeneß gefetzt haben. Da war noch
was los! Das war manchmal verrückt. Das
wird nicht mehr wiederkommen. Aber alles
hat eben seine Zeit.
SPIEGEL: Herr Watzke, wir danken Ihnen für
dieses Gespräch. n

Britannia rules


Umsatz* der europäischen Topligen,
in Mrd. Euro

18 / 19 19 / 20 20 / 21 21 / 22

2 , 0

4 , 0

6 , 0

1 ,7

2 , 3

6 , 1

3 , 4
3 , 0

*ab 20 / 21 Prognose
S^ Quelle:^ Deloitte

Premier League, England

La Liga, Spanien

Serie A, Italien

Ligue 1 , Frankreich

Bundesliga
Nach dem Corona-Einbruch
rechnet die Bundesliga nur mit
einer schwachen Erholung.

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