Der Spiegel - ALE (2022-01-08)

(EriveltonMoraes) #1
SPORT

Nr. 2 / 8.1.2022DER SPIEGEL 111

ern München stammt aus einem Bun-
desland, in dem 11 von 40 Dax-Unter-
nehmen sitzen, und saugt die Spon-
sorengelder förmlich an. Auf inter-
nationaler Ebene konkurrieren wir
mit Klubs, hinter denen Emirate wie
Katar oder Abu Dhabi stehen. Oder
Oligarchen. Wie sollen wir da finan-
ziell mithalten?
SPIEGEL: Als Aufsichtsratschef der
Deutschen Fußball Liga, der DFL,
müssen Sie sich um die Zukunft
des deutschen Fußballs kümmern.
Die Probleme sind groß. Für viele
aus der jungen Generation scheinen
die Champions und die Premier
League attraktiver zu sein als die
Bundesliga.
Watzke: Das sehe ich nicht so. Was
Sie als Ihren Eindruck beschreiben,
hat auch nichts mit der Qualität der
Bundesliga zu tun. Das ist ein gene-
reller Trend: Die ganz jungen Leute
sind heute oft eher Fans eines Spielers
als eines Klubs. Früher liefen die Kin-
der hier im Park fast ausschließlich
mit Dortmund-, Schalke- oder mei-
netwegen Bayern-Trikots rum, heute
sieht man auch Messi-Shirts, Ronal-
do-Shirts, Mbappé-Shirts – der Klub
spielt dabei häufig eine untergeord-
nete Rolle. Wenn man die Kids dann
fragt, wer noch bei einem dieser
Klubs spielt, kennen sie oft keinen
einzigen.
SPIEGEL: Die Bundesliga hat noch
ein anderes Problem: Sie ist lang-
weilig.
Watzke: Sie reduzieren die Liga auf
den Meisterkampf. Aber schauen Sie
sich Greuther Fürth mal an. Dass die
es mit den geringen Möglichkeiten in
die Bundesliga geschafft haben und
der Hamburger SV mit den viel bes-
seren Bedingungen nicht, das spricht
für die Integrität unseres sportlichen
Wettbewerbs. Das stellt doch einen
Wert dar, auch wenn wir in der Tat
Probleme haben, die es zu benennen
gilt. In den großen US-Profi ligen etwa
kann keiner auf- oder absteigen. Da
gibt es die Integrität des Wettbewerbs
nicht. Da heißen die Klubs Franchise,
und ich bekomme jedes Mal Pickel,
wenn ich das höre. Im Jahre 1909 ha-
ben 18 Dortmunder Jungs die Borus-
sia gegründet. Sollen wir deren Verein
nun als Franchise weiterführen? Im
Leben nicht.
SPIEGEL: Bayern München wird mit
einiger Sicherheit zum zehnten Mal
hintereinander Deutscher Meister –
reizloser geht es kaum.
Watzke: Die Liga lässt sich nicht die
Meisterfrage reduzieren. Das, was Sie
beschreiben, ist im Sinne der sport-
lichen Attraktivität nicht gut, keine
Frage. Aber was sollen wir denn ma-

chen? Was sollen die Bayern denn
machen? Sie haben sich diesen Status
erarbeitet. Sie machen es gut. Sollen
alle Klubs beschließen, dass die Bay-
ern jetzt mit minus 15 Punkten in die
Saison starten?
SPIEGEL: Klingt, als hätten Sie auf-
gegeben?
Watzke: Nein. Es gibt einfach keinen
Hebel, diese Dominanz schnell abzu-
stellen. Denn sie fußt auf jahrzehnte-
langer guter Arbeit und einem wirt-
schaftlich außergewöhnlichen Um-
feld. Wenn es um kurzfristige Lösun-
gen geht, muss man entweder auf
Übernatürliches hoffen oder darauf,
dass mehr Dax-Konzerne Geld in die
Konkurrenz der Bayern investieren.
Es liegt am Ende natürlich am Mate-
rialeinsatz. Wir machen sicher nichts
viel schlechter als Bayern München.
Aber wenn die Kollegen pro Jahr 130
bis 150 Millionen Euro mehr für Ge-
hälter ausgeben können als wir, dann
ist das ein Wettbewerbsvorteil, den
es in England und Spanien, selbst in
Italien so ausgeprägt eben nicht gibt.
Aber noch mal: Das ist kein Klagen
und auch kein Neid. Sie haben ge-
fragt, ich beschreibe die Realitäten.
Und wir geben alles, um dennoch Ti-
tel zu holen. Unser letzter liegt übri-
gens – mit Verlaub – erst ein gutes
halbes Jahr zurück.
SPIEGEL: Der ausgeschiedene DFL-
Chef Christian Seifert hat gesagt, dass
sich die Bundesliga dringend weiter-
entwickeln muss, um international

wettbewerbsfähig zu bleiben. Er
klang alarmiert. Sind Sie es nicht?
Watzke: Was sollen wir denn ändern?
Die 50+1-Regel abschaffen, damit
internationale Investoren Klubs über-
nehmen können? Das ist im Moment
der gängigste Vorschlag. Andererseits
haben in den vergangenen zehn Jah-
ren mehrheitlich Vereine die Cham-
pions League gewonnen, die nicht
von großen Anteilseignern abhängig
sind: Real Madrid viermal, Bayern
München zweimal. Die Beweisfüh-
rung, dass unsere 50+1-Regel Vereine
daran hindert, Erfolg zu haben, hat
bis jetzt noch keiner erbracht.
SPIEGEL: Mit Chelsea, Paris Saint-
Germain und Manchester City waren
zuletzt drei von vier Finalisten der
Champions League Investorenklubs.
Watzke: Borussia Dortmund würde
sicher einen großen Investor finden.
Dem müssten wir uns komplett unter-
werfen. Damit würden wir uns viel
zu klein machen. Fußball bedeutet in
Deutschland mehr, als nur ein Spiel
zu gewinnen. Und ich bin Traditiona-
list und Romantiker, was den deut-
schen Fußball und seine Strahlkraft
in die Gesellschaft hinein angeht.
SPIEGEL: Was meinen Sie damit?
Watzke: Soziale Verantwortung zu
übernehmen. Demokratisch organi-
siert zu sein. Diskurs zuzulassen. Be-
zahlbare Tickets zu garantieren,
damit die gesamte Gesellschaft am
Fußball teilhaben kann. Sich gegen
Rassismus zu stellen. Wir haben allein
für Letzteres in den vergangenen Jah-
ren einen siebenstelligen Betrag in-
vestiert. Nicht weil wir müssen oder
weil es uns gut zu Gesicht steht. Son-
dern weil wir es als eine unserer vor-
dringlichsten gesellschaftlichen Auf-
gaben empfinden. Wir haben einen
Teil des Signal Iduna Parks zweimal
in ein Impfzentrum umgewandelt und
mit einem Partner bis dato mehr als
10 000 Menschen geimpft. Fußball ist
gesellschaftlich relevant. Und Fußball
ist ein Kulturgut.
SPIEGEL: Um die Bundesliga attrakti-
ver zu machen, könnte man den
Spielbetrieb verändern, etwa nach
der Hälfte der Saison eine Meister-
und eine Abstiegsrunde spielen oder
Playoffs nach der Saison. Was halten
Sie davon?
Watzke: Ich werde meinen Einfluss
in der DFL dafür nutzen, um ein
Brainstorming in Gang zu setzen.
Wir können alles hinterfragen. Aber
warum sollte Bayern in den Playoffs
nicht Meister werden? Und würde
man mit einer kleinen Runde nach
der Saison, in der der Meister aus-
gespielt wird, nicht die komplette
Spielzeit entwerten? Worum geht es

BVB-Torschütze
Haaland: »Er
ist eine imposante
Erscheinung«

»Fußball ist
mehr, als
ein Spiel zu
gewinnen,
es ist ein
Kulturgut.«

Tim Groothuis / WITTERS

2022-02SPAllSport459912202_Watzke-Gespraech-110111 1112022-02SPAllSport459912202_Watzke-Gespraech-110111 111 06.01.2022 21:37:2806.01.2022 21:37:28

Free download pdf