Der Spiegel (2022-02-26)

(EriveltonMoraes) #1
WIRTSCHAFT

66 DER SPIEGELNr. 9 / 26.2.2022

K


laus-Heiner Lehne will reden. Der Prä-
sident des Europäischen Rechnungs-
hofs sitzt vor einer riesigen Yuccapalme
in seinem Luxemburger Büro. Er hat seinen
Dienstlaptop aufgeklappt, Dokumente und
Papiere aufgestapelt und einen DIN-A4-Zet-
tel voller Notizen bereitgelegt.
Lehne möchte ein paar Dinge klarstellen,
weil er in seiner Behörde unter Druck steht
wie noch nie zuvor in seiner Amtszeit. »Die
Stimmung im Hof«, sagt er, »ist schlecht.«
Das ist noch untertrieben. Seit die franzö-
sische Zeitung »Libération« eine Artikelserie
über Verschwendung und Spesenrittertum in
der Kontrollbehörde veröffentlicht hat, gärt
es auf den Fluren des festungsähnlichen Baus
am Luxemburger Kirchberg. Die Verwal-
tungsspitze lädt zu Foren mit aufgebrachten
Mitarbeitern. Anonyme Mails kursieren, in
denen kaum verhüllt Lehnes Rücktritt gefor-
dert wird. Und der Haushaltskontrollaus-
schuss des Brüsseler EU-Parlaments wird am

kommenden Montag zum wiederholten Mal
über den Vorgang debattieren, der eine ein-
fache Frage aufwirft: Wird im obersten Finanz-
prüfungsamt der EU systematisch Steuergeld
veruntreut?
Schwere Vorwürfe stehen im Raum. Lehne
soll mit Mietzuschüssen und Fahrtkosten ge-
trickst und nach seinem Amtsantritt illegal als
Rechtsanwalt weitergearbeitet haben. Der
Präsident sei in seiner Heimatstadt Düsseldorf
entgegen den Vorschriften politisch aktiv ge-
wesen und habe nicht mehr als zwei Tage pro
Woche an seinem Schreibtisch verbracht. Ist
einer der wichtigsten EU-Beamten in Wahr-
heit ein Frühstücksdirektor?
»Die Vorwürfe sind falsch«, sagt Lehne
und legt seine Belege auf den Tisch. Ein
Schreiben der zuständigen Rechtsanwalts-
kammer, das bestätigt, dass er seine Kanzlei
ordnungsgemäß abgemeldet hat. Ein Tweet
des früheren Düsseldorfer EU-Abgeordneten
Sven Giegold (Grüne), wonach die »Vorwür-

fe gegen Lehne bezüglich politischer Aktivi-
täten nicht der Wahrnehmung von uns Grü-
nen vor Ort entsprechen«. Sein elektronischer
Terminkalender, der mit Sitzungen, Briefings
und Telefonaten prall gefüllt ist. »Ich habe
alle meine Arbeitspflichten erfüllt«, sagt er,
»an allen Arbeitstagen und oft genug auch an
Wochenenden.«
Mag sein, dass sich manche Vorwürfe dem-
nächst in Luft auflösen. Es deutet sogar vieles
darauf hin, dass der Präsident nicht die größ-
te Fehlbesetzung in der einflussreichen EU-
Behörde ist. Und doch werfen die Enthüllun-
gen ein unschönes Licht auf eine zentrale
EU-Institution, die nicht zum ersten Mal
hässliche Schlagzeilen produziert.
Nicht die mehr als 900 Fachkräfte sind
dabei das Problem, die regelmäßig fundierte
Berichte über Mängel, Fehler und Ineffizien-
zen bei der Verwaltung des 170 Milliarden
Euro schweren EU-Haushalts vorlegen. Über
Geldwäsche oder Bankenrisiken beispiels-
weise, über Energiesteuern und Korruption.
Das Problem ist das grotesk aufgeblähte
Leitungsgremium, das zu einem erheblichen
Teil aus politischen Versorgungsfällen besteht,
die den Job der Fachprüfer eher behindern
als befördern. Weil jedes EU-Land nach den
üblichen Gemeinschaftsregeln ein eigenes
Mitglied stellen darf, werden die wichtigsten
Entscheidungen in einem kaum steuerbaren
Gremium von 27 Mitgliedern gefällt, in dem
manche weder etwas von Rechnungen noch
von Prüfungen verstehen, sondern allenfalls
von Politik. So wie der Pole Marek Opiola,
der sich im Warschauer Parlament zuvor als
Verteidigungspolitiker hervorgetan hat. Oder
der Malteser Leo Brincat, ein altgedienter
Labour-Apparatschik, der seinem Land als
Umweltminister diente. Oder der Rumäne
Stefan Viorel, zuvor Vizepremier in der Bu-
karester Regierung. Sie alle wurden vom EU-
Parlament abgelehnt, zumeist wegen Inkom-
petenz, aber von den Mitgliedstaaten in ihre
Ämter gehievt. Man weiß ja nie, ob man nicht
demnächst selbst eine politische Leiche los-
werden muss.
Das Prinzip ärgert die teils beamteten
Fachprüfer, die mit kritischen Berichten nicht
selten bei ihren national gesinnten Aufsehern
anecken. Und es belastet die Steuerzahler, die
für den dysfunktionalen Behördenapparat
aufkommen müssen. Weil für jedes Führungs-
mitglied ein eigenes Mitarbeiterteam vor-
gesehen ist, arbeiten mehr als 100 Hof-
beschäftigte allein der Leitungsabteilung zu.
Finanziell sind die Chefkontrolleure eben-
falls gut versorgt. Mit knapp 23 000 Euro
Grundgehalt im Monat verdienen sie mehr
als der deutsche Bundeskanzler. Sie haben
Anspruch auf Dienstwagen mit Chauffeur, ein
bestens gefülltes Spesenkonto und zahlreiche
weitere Vergünstigungen auf dem Niveau von
EU-Kommissaren.
So ist es kein Wunder, dass sich um den
kreisrunden Konferenztisch im obersten
Stock des Luxemburger Hofgebäudes mehr-
mals im Monat eine schillernde Truppe ver-

Kontrolleure außer


Kontrolle


VERSCHWENDUNG Die Affäre um den deutschen Präsidenten des
europäischen Rechnungshofs deckt die tieferen
Probleme der EU-Behörde auf: zu viele Politiker, zu wenig Substanz.

Tagungsort Schloss
Chambord in Frankreich

Shotshop / IMAGO

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