Spektrum der Wissenschaft - Oktober 2017

(Tuis.) #1
Karsten Danzmann
ist Direktor am Max-Planck-
Institut für Gravitations physik
in Hannover. Der 62-Jährige
ist Experte für Laserinterfero-
metrie und zählt weltweit zu
den führenden Gravitations-
wellenforschern. Zunächst
arbeitete er an der Stanford
University und am Max-
Planck-Institut für Quanten-
optik, 1993 wurde er Profes-
sor an der Universität Hanno-
ver. Danzmann ist Mitglied
der LIGO-Kollaboration sowie
leitender Wissenschaftler
des deutschen Gravitations-
wellendetektors GEO600 und
der Satelliten-Testmission
LISA Pathfinder.

gen 11.50 Uhr eine automatisch generierte E-Mail erhalten,
dass LIGOs Detektoren ausgeschlagen haben. Amerika
schlief zu dem Zeitpunkt noch, weshalb unser Team, das
Teil der etwa 1000-köpfigen LIGO-Kollaboration ist, zuerst
informiert wurde. Bald stand das halbe Institut bei den
beiden im Büro und guckte ungläubig auf das Messsignal
auf dem Bildschirm.

War sofort klar, dass Sie Gravitationswellen auf-
gefangen hatten?
Nein, überhaupt nicht. Das Signal wirkte zu schön, um wahr
zu sein. Genau so sollten die Gravitationswellen kollidie-
render Schwarzer Löcher aussehen. Aber wenn Sie jahr-
zehntelang nach etwas suchen, schreien Sie nicht plötzlich
»Heureka, wir haben es!«. Als Wissenschaftler empfindet
man in so einer Situation zunächst Unglauben. Das Be-
wusstsein, dass gerade etwas Großes passiert ist, stellt
sich im Kriechtempo ein. Bei mir hat es zwei Wochen
gedauert, bis ich das realisiert hatte.

LIGO war in den fünf Jahren zuvor aufwändig mo-
dernisiert worden, am 14. Sep tember befanden
Sie sich noch in einem Probelauf für »Advanced
LIGO«. Da hätte es sich ja auch durchaus um ein
Testsignal handeln können, oder?
Diesen Fall gab es während der Inbetriebnahme tatsächlich
immer wieder. Aber das konnten wir schnell ausschließen,
schließlich wachte irgendwann auch Amerika auf. Und da
sagten alle Wissenschaftler, die ein Testsignal in die Detek-
torsoftware einspeisen können, dass sie es nicht waren.
Generell verstehen weniger als zehn Forscher auf der Welt
die LIGO-Interferometer so gut, dass sie ein solches Signal
fabrizieren könnten. Letztlich haben wir mehrere Monate
gebraucht, bis wir alle anderen Erklärungen aus schließen
konnten und uns hundertprozentig sicher waren.

Gravitationswellen stauchen die vier Kilometer,
über die sich ein Arm des LIGO-Interferometers er-
streckt, gerade mal um den Bruchteils eines Atom-
kerndurchmessers. Meinen Sie, Einstein konnte sich
so eine Messung vorstellen?
Er hat nie daran geglaubt, dass man Gravitationswellen
nachweisen wird. Aus seinen Veröffentlichungen und
Briefen wird sogar deutlich, dass er mindestens fünfmal in
seinem Leben seine Meinung dazu geändert hat, ob es
Gravi tationswellen überhaupt gibt. Zeitweise dachte er,
dass dies nur mathematische Artefakte der Linearisierung
der Feldgleichungen der Relativitätstheorie seien, die
keinerlei physikalische Bedeutung haben.

Wieso haben Wissenschaftler dann doch eines Tages
die Jagd aufgenommen?
Sie haben erkannt, dass es im Weltall Neutronensterne
und Schwarze Löcher gibt, die mit Abstand stärksten
Quellen für Gravitationswellen. Zu Einsteins Zeiten waren
diese Objekte noch unbekannt. In den 1950er Jahren
haben theoretische Physiker außerdem gezeigt, dass
Gravitationswellen als Schwingungen der Raumzeit Ener-
gie transportieren und diese auch zu einem kleinen Teil
in einem Detektor deponieren können. Das ist die Voraus-
setzung dafür, dass sie nachweisbar sind.

Trotzdem blieb die Gravitationswellenforschung lange
eine Nischendisziplin. Wie kamen Sie Ende der 1980er
Jahre dazu, sich daran zu beteiligen?
Ich hatte schon immer eine Vorliebe für exotische Sachen.
Damals habe ich mich mit Laserspektroskopie an Positro-
nium (Anm. d. Redaktion: ein extrem kurzlebiger Zusammen-
schluss eines Elektrons und seines positiv geladenen Anti-
teilchens) befasst und auf einer Konferenz in Bretton Woods
Ergebnisse vorgestellt. Unter den Zuhörern saß der spätere

FRANK VINKEN / MPG

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