Spektrum der Wissenschaft - Oktober 2017

(Tuis.) #1

Die Autoren unserer Titelgeschichte (siehe S. 12)
machen sich für Dichteschwankungen während der
Inflationsphase nach dem Urknall stark, aus denen
solche primordialen Schwarzen Löcher hervorgegan-
gen sein könnten. Was halten Sie für die wahrschein-
lichste Erklärung?
Ich will da lieber nicht spekulieren. Ich kann Ihnen aber
sagen, was die Konsequenzen wären, wenn weitere Mes-
sungen mit LIGO zeigen sollten, dass Schwarze Löcher
von diesem Format sehr häufig im Universum vorkommen:
Dann könnten sie die Dunkle Materie erklären.


Dann müssten Schwarze Löcher vom Format der
LIGO-Entdeckungen an vielen Orten im All auftauchen,
oder? Wir dachten eigentlich, dass Astronomen in
den vergangenen Jahrzehnten gezielt nach solchen
Objekten (so genannten MACHOs) gesucht haben,
aber nichts finden konnten.
Klar, es kann sein, dass die Theorie von den primordialen
Schwarzen Löchern nicht mehr ist als wüste Spekulation.
Letztlich müssen wir auf mehr Messdaten warten. Wir
haben neben der Gravitationswelle im September 2015 ja
noch zwei weitere Signale nachgewiesen. Auf Basis
dieser Daten schätzen wir, dass pro Jahr zwischen 9 und
250 Schwarze Löcher in einem Würfel von 3,2 Milliarden
Lichtjahren Kantenlänge rund um die Erde verschmelzen.
Wenn die Rate in den kommenden Jahren so hoch bleiben
sollte, wird es spannend.


Was erhoffen Sie sich noch zu finden?
Einerseits die Gravitationswellen verschmelzender Neutro-
nensterne, und eventuell die von Paaren aus Neutronen-
stern und Schwarzem Loch. Vielleicht können wir auch
einem einzelnen Neutronenstern beim Rotieren zuhören
und so Neues über diese bizarren Objekte lernen. Der
Crab-Pulsar im Inneren des Krebsnebels könnte hierfür
nah genug sein – dort ist einst ein Stern explodiert, dessen
Licht die Erde im Jahr 1054 erreicht hat.


Meinen Sie, dass irgendetwas auftaucht, was
Einsteins Theorie von der Schwerkraft widerspricht?
Die Daten werden natürlich daraufhin analysiert. Aber
bisher gibt es keine Abweichungen von der allgemeinen
Relativitätstheorie. Andererseits sind unsere Messungen
dafür noch nicht genau genug. Wir brauchen noch eine
Weile, bis wir zu den spannenden Tests kommen.


Was wird sich denn verändern, wenn weitere Gravita-
tionswellendetektoren in Betrieb gehen? In Italien
steht Advanced VIRGO in den Startlöchern, und auch
in Indien und Japan sind entsprechende Projekte in
Planung.
Sobald drei Detektoren ins All horchen, können wir viel-
leicht den Ursprungsort von Gravitationswellen genauer
orten. Bislang sind wir nur in der Lage, den Abstand von
der Erde relativ gut zu berechnen. Bei VIRGO kam es leider
zu Verzögerungen wegen eines Problems mit den Spiegel-
aufhängungen im Detektor, weshalb dieser nun zunächst
mit deutlich reduzierter Sensitivität den Betrieb aufgenom-


men hat. Die Kollegen haben viel Pech gehabt. Aber
hoffentlich sind sie in einem Jahr voll einsatzbereit.

Langfristig wollen Sie auch vom Weltall aus Gravita-
tionswellen messen, mit dem Satellitentrio LISA.
Ja, das würde ein völlig neues Fenster öffnen. Die LIGO-
Detektoren sind für Wellen mit einer Frequenz von einigen
Dutzend bis einigen tausend Hertz optimiert. Wir können
Quellen dieser Strahlung bis in eine Entfernung von mehre-
ren Mil liarden Lichtjahren nachweisen. Mit LISA werden
wir noch viel tiefer ins All horchen können und insbesonde-
re nach tieferen Frequenzen im Millihertz-Bereich suchen.
Vielleicht weisen wir auf diese Weise die Gravitationswel-
len des Urknalls nach, die als eine Art Hintergrundrauschen
das ganze Weltall füllen müssten. Wenn das gelingt, lie ßen
sich manche Varianten der Inflationstheorie überprüfen,
die besonders starke Gravitationswellen erzeugen würden.

Wie läuft es mit den Vorbereitungen für LISA?
Wir haben unsere Testmission »LISA Pathfinder« bereits
erfolgreich abgeschlossen. Mit diesem Satelliten haben
wir getestet, ob es möglich ist, eine Masse so frei von
allen Störungen zu halten, dass sie perfekt einer geodäti-
schen Linie nach Einstein folgt, also nahezu kräftefrei
durchs Weltall treibt. Das ist eine Voraussetzung für LISA:
Das Projekt sieht letztlich jeweils zwei Massen auf drei
verschiedenen Satelliten vor, die in einem Abstand von
2,5 Millionen Kilometern via Laserstrahl miteinander
verbunden sind. Eine Gravitationswelle würde den Ab-
stand zwischen den Satelliten minimal verändern.

Momentan ist LISA für das Jahr 2034 geplant.
Wieso die lange Wartezeit?
Am liebsten würden wir natürlich gleich morgen ins All
starten, technisch machbar wäre wohl Ende der 2020er
Jahre. Aber so einfach ist das nicht. Schließlich hat die
ESA nicht so viele Startslots für große Weltraummissio-
nen – und die Kollegen aus der Röntgenastronomie, die für
ihr Teleskop einen früheren Starttermin ergattern konnten,
würden wohl nicht einsehen, wieso sie plötzlich zurückste-
hen müssen. Wenn in den nächsten Jahren mehr Geld in
die Erforschung des Weltalls fließen sollte, kann sich der
Starttermin noch ändern. Allerdings sieht es momentan
nicht danach aus.

Bevor die erste Gravitationswelle nachgewiesen wurde,
haben Sie geklagt, Ihre Forschungsdisziplin spiele
immer nur die zweite Geige. Das hat sich mittlerweile
sicher geändert, oder?
Ja, wir sind jetzt Teil des Mainstreams. Die Leute hören
mir und meinen Kollegen mehr zu als früher. Das heißt
aber noch lange nicht, dass sich plötzlich neue Geldtöpfe
auftun. Allerdings haben wir jetzt Messdaten, mit denen
wir arbeiten können, und nicht mehr nur die Hoffnung auf
ein Signal. Man könnte auch sagen: Wir sind nun ein
fester Bestandteil der Astronomie.

Die Fragen stellten Spektrum-Praktikantin Manon Bischoff
und Spektrum-Redakteur Robert Gast.
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