Spektrum der Wissenschaft - Oktober 2017

(Tuis.) #1

Cas-Systeme, die nicht nur genetische Eindringlinge
abwehren, sondern darüber hinaus die DNA-Reparatur, die
Genexpression und die Bildung von Biofilmen kontrollie-
ren. Sie können zudem die Infektiosität von Bakterien
beeinflussen: Legionella pneumophila, der Erreger der
Legionärskrankheit, benötigt das Protein Cas2, um Amö-
ben zu befallen, die seine natürlichen Wirte sind. Es stellt
sich die Frage, in welchem Umfang die Funktionen von
CRISPR/Cas-Systemen über die reine Schädlingsabwehr
hinausgehen. Hier gibt es interessante Parallelen zur
RNA-Interferenz, einem Vorgang, der es Lebewesen mit
Zellkern erlaubt, ihre Gene abzuschalten. Von ihm dachten
Forscher anfangs ebenfalls, er sei vorrangig ein Abwehr-
mechanismus; erst später fiel auf, dass er an der Steue-
rung der Genexpression mitwirkt.
Laut dem Mikrobiologen Stan Brouns von der Techni-
schen Universität Delft (Niederlande) können CRISPR/Cas-
Strukturen wohl alle möglichen DNA-Sequenzen als Spacer
aufnehmen. Manchmal entstünden dabei neue, nützliche
Funktionen, manchmal gingen die Zellen daran zu Grunde.


Warum nutzen
nur manche Mikroben CRISPR/Cas?
Schätzungen zufolge besitzen mehr als 90 Prozent der
Archaeen ein CRISPR/Cas-basiertes Abwehrsystem, wäh-
rend es bei den bisher sequenzierten Bakterien lediglich
rund 30 Prozent sind. Bei Eukaryoten, also Lebewesen mit
Zellkern, hat man CRISPR/Cas bislang überhaupt noch
nicht gefunden, nicht einmal bei Einzellern.
Nanoarchaeum equitans ist ein Organismus aus der
Domäne der Archaeen, der in nahezu kochendem Wasser
auf anderen Archaeen parasitiert. Er hat sich vieler Gene
entledigt, die mit dem Energiehaushalt und der allge-
meinen Zellorganisation zu tun haben. Doch selbst sein
winziges Genom, dessen Sequenz gerade einmal
490 000 Nukleotide umfasst, hat ein CRISPR/Cas-System
mit ungefähr 30 Spacern. Anscheinend ist es sogar für
diesen Zwergorganismus unverzichtbar – warum es dann
in Eukaryoten komplett fehlt, bleibt zu klären.
Möglicherweise fördern extreme Umweltbedingungen
den Unterhalt eines CRISPR/Cas-Systems, weil sie kaum
andere Verteidigungsmethoden zulassen. Bakterien entzie-
hen sich Eindringlingen oft, indem sie Mu tationen in jenen
Sequenzen erwerben, die für Proteine an ihrer Oberfläche
kodieren. Extremophilen Archaeen könnte dieser Weg
versperrt sein, da ihre Oberflächenproteine weniger Frei-
heiten haben, sich zu verändern, ohne dass die Zellen
dabei ihre Lebensfähigkeit einbüßen.
Es dürften noch weitere Faktoren eine Rolle spielen.
Mycoplasma gallisepticum beispielsweise, ein Krankheits-
erreger bei Vögeln, verlor seine CRISPR/Cas-Ausstattung,
als er von Hühnern auf Wildfinken übersprang. Warum
das System in dem alten Wirt anscheinend nützlich war, in
dem neuen aber plötzlich nicht mehr, ist ein Rätsel.
Mathematische Modelle und vorläufige experimentelle
Befunde deuten darauf hin, dass CRISPR/Cas vor allem
dann Vorteile bringt, wenn ein Organismus sich nur mit
wenigen Virustypen auseinandersetzen muss. Denn das
System kann bloß eine begrenzte Zahl viraler Sequenzen


speichern, bevor die damit einhergehende zusätzliche
DNA-Menge für den Organismus zur Belastung wird.
Übersteigt die Vielfalt der Viren in der Umwelt die Zahl der
möglichen Spacer bei Weitem, nutzt CRISPR/Cas vermut-
lich nur noch wenig.

Wie viele CRISPR/Cas-Varianten gibt es?
Öffentliche Debatten drehen sich meist um das System
CRISPR/Cas9 – zu Recht, denn es ist vergleichsweise ein-
fach zu handhaben, kostengünstig und vielseitig. Mikro-
organismen jedoch haben keine Vorlieben. Sie nehmen neue
Systeme von anderen Mikroben auf, vermischen sie mit
ihren eigenen und entledigen sich dabei alter Elemente.
Forscher unterscheiden zwischen sechs CRISPR/Cas-
Typen, die sich in 19 Untertypen gliedern. Nur bei einigen
davon ist geklärt, wie sie funktionieren. CRISPR/Cas9 etwa
ist ein System des Typs II, das die Spacer-Sequenzen in
RNA-Moleküle umsetzt, die dann ihrerseits ein Enzym
(eine Endonuklease) zu eindringender Fremd-DNA hin-
leiten, so dass es diese zerschneidet (siehe auch Spektrum
September 2015, S. 22). Systeme des Typs VI dagegen
funktionieren mit Enzymen, die RNA statt DNA zerlegen.
Und solche des Typs IV enthalten zwar einige Gene, die
mit CRISPR/Cas in Zusammenhang stehen, ihnen fehlen
aber die palindromischen Wiederholungen und der Appa-
rat zum Einbau der Spacer.
Typ-III-Systeme treten in der Natur am häufigsten auf
und sind am wenigsten verstanden. Die bisherigen Befun-
de deuten darauf hin, dass sie nicht direkt auf eindringen-
de DNA oder RNA reagieren, sondern auf den Prozess des
Umschreibens von DNA in RNA, die so genannte Tran-
skription. Falls das stimmt, würde es neue Möglichkeiten
des Genome Editing eröffnen, wie Doudna betont. Mögli-
cherweise harren noch weitere Systeme ihrer Entdeckung,
insbesondere da Forscher nicht mehr nur in Mikroben
nach ihnen suchen, welche in Kulturen gezüchtet wurden,
sondern auch in DNA-Proben aus der Umwelt (»environ-
mental DNA«).
Mojica hält es für reizvoller, die biologischen Grundla-
gen der CRISPR-Systeme zu erforschen, als ihre biotech-
nologischen Anwendungen weiterzuentwickeln. Viele
seiner Kollegen wundern sich darüber, zumal für Letzteres
wesentlich mehr Mittel bereitstehen. Doch Mojica bleibt
dabei: »Ich weiß, dass es ein großartiges Biotechnologie-
werkzeug mit großem medizinischem Potenzial ist – und
dennoch interessiert mich mehr, wie es funktioniert.«

QUELLEN
Nun ̃ez, J. K. et al.: Integrase-Mediated Spacer Acquisition during
CRISPR-Cas Adaptive Immunity. In: Nature 519, S. 193–198, 2015
Shipman, S. L. et al.: Molecular Recordings by Directed CRISPR
Spacer Acquisition. In: Science 353, aaf1175, 2016
Westra, E. R. et al.: Parasite Exposure Drives Selective Evolution
of Constitutive versus Inducible Defense. In: Current Biology 25,
S. 1043–1049, 2015

© Nature Publishing Group
http://www.nature.com
Nature 541, S. 280–282, 12. Januar 2017
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