Spektrum der Wissenschaft - Oktober 2017

(Tuis.) #1

Zu allem Überfluss muss Mikloweit seine Papiere farbig
bedrucken – bei einfarbigem Papier wären die Laschen,
mit denen ein Bauteil an seine Nachbarn zu kleben ist,
von der falschen Farbe gewesen –, und zwar beidseitig (es
gibt keine unsichtbaren Rückseiten) und passgenau: eine
Aufgabe, die selbst hochwertige Farbdrucker an den Rand
ihrer Möglichkeiten bringt. Aber die zahlreichen Fehldru-
cke sind nicht das größte Problem des Produktionsprozes-
ses; das präzise Ausschneiden der Spitzenmuster erfor-
dert viel Geduld und die schiere Anzahl der Teile eine
sorgfältige Buchhaltung.


Durchbrochene Polyeder: Eine Lebensaufgabe
Kompliziertere Polyeder (Bild S. 83 oben) wollen Schicht
für Schicht von innen nach außen gebaut werden; und
man braucht nicht nur die – relativ einfache – Gestalt einer
Fläche, sondern die aller Teilflächen, die dadurch entste-
hen, dass andere Flächen sie durchschneiden. Dadurch
kommen im Extremfall mehrere tausend Einzelteile zusam-
men. Die dafür erforderlichen Berechnungen hätte Miklo-
weit nicht bewältigen können, wenn nicht zum rechten
Zeitpunkt Robert Webb, im Hauptberuf Softwareentwick-
ler in Melbourne (Australien), sein umfangreiches Pro-
grammpaket »Stella« zur Darstellung und Berechnung von
Polyedern ins Netz gestellt hätte.


Selbst ein so systematischer Mensch wie Ulrich Miklo-
weit begnügt sich nicht damit, die Nummern aus »Polyhe-
dron Models« eine nach der anderen abzuarbeiten. Schon
Wenninger hat sich diesen oder jenen Abstecher geneh-
migt, und Gelegenheiten dazu gibt es viele.
So bieten die dualen Körper zu den uniformen Poly-
edern allerlei Reizvolles. Entsprechend dem Dualitätsprin-
zip sind bei ihnen alle Flächen gleich, aber die Ecken im
Allgemeinen von verschiedener Art; und wenn sich Flä-
chen im Original durchdringen, dann gilt das auch für ihre
dualen Gegenstücke. Es gibt drei verschiedene dual-unifor-
me Polyeder, die aus genau 30 Rauten bestehen (»Rhom-
bentriakontaeder«); aber nur eines von ihnen ist frei von
Selbstdurchdringungen (Bild links).
Es stellt sich heraus, dass bei diesen und anderen
Rautenkörpern stets zwei Rauten in gleicher Orientierung
einander gegenüberliegen. Also kann man entsprechende
Kanten dieser beiden Rauten durch Rechtecke verbinden
und dann die ursprünglichen Rauten weglassen. Dadurch
grenzen an jede Kante des ursprünglichen Polyeders zwei
Flächen, nämlich die Rechtecke zu den Rauten, die zuvor
die Kante berandeten, und man hat ein neues, sehr tief
verschachteltes Polyeder – allerdings kein uniformes,
denn die Rechtecke sind im Allgemeinen keine Quadrate.
Über dieses Beispiel hinaus gilt: Die Menge der Kanten
legt ein Polyeder noch nicht fest. Immer wieder finden
sich Körper, deren Kanten man auch in völlig anderer Wei-
se zu Flächen zusammenstellen kann (Bild links unten).
Ein weiteres Betätigungsfeld eröffnet sich in Gestalt
der gleichflächig-gleicheckigen Polyeder. Man fordert
zwar, dass alle Flächen und alle Ecken untereinander
gleich sein sollen; aber die Flächen selbst müssen in
diesem Fall keine Regelmäßigkeit aufweisen. Max Brück-
ner (1860 –1934), Gymnasiallehrer in Bautzen und vor
allem bekannt durch sein umfassendes Werk »Vielecke
und Vielflache« (1900), hat in einer ebenfalls sehr umfang-
reichen Abhandlung alle Polyeder dieser Art vollständig zu
klassifizieren versucht – und etliche übersehen, die Ulrich
Mikloweit inzwischen kennt und gebaut hat.
Diese und andere Abstecher haben das große Pro-
gramm etwas verzögert. Aber wenn Ulrich Mikloweit 2018
in Rente geht, wird er mehr Zeit haben. Dann müsste der
Rest von Wenningers Sortiment in zehn Jahren zu schaf-
fen sein.

CHRISTOPH PÖPPE

QUELLEN
Brückner, M.: Über die gleicheckig-gleichflächigen, diskontinuierli-
chen und nichtkonvexen Polyeder. In: Nova Acta. Abhandlungen der
Kaiserl. Leop.-Carol. Deutschen Akademie der Naturforscher LXXX-
VI, Nr. 1, S. 1–345, 1906
Wenninger, M.: Polyhedron Models. Cambridge University Press,
New York 1971

WEBLINKS
http://www.polyedergarten.de/
Ulrich Mikloweits Website, mit Abbildungen der meisten seiner
Werke und einer umfangreichen Linkliste
http://www.software3d.com/Stella.php
Stella: Polyhedron Navigator, von Robert Webb

kontaeder bestehen ebenfalls aus 30 Rauten, die einan-
der allerdings intensiv durchdringen. Die Flächen des
großen Rhombentriakontaeders entstehen durch Ver-
größern (bei unverändertem Mittelpunkt) derjenigen des
gewöhnlichen und haben daher dieselbe Gestalt.

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