Spektrum der Wissenschaft - Oktober 2017

(Tuis.) #1
D

iesen Helm müssen Sie haben!«,
predigte der dauergrinsende
Shoppingkanal-Verkäufer.
»Mega Poly-Gewebe voll mit
Stahlbetongitter!« Von oben fiel ihm
ein Gewicht epischer Größe (Auf-
schrift: drei Tonnen) auf den gelben
Helm, es zerbrach dabei, dann folgte
Gelächter vom Band. Weiterhin grin-
send wischte sich der Mann unsicht-
baren Staub vom feinen Hemd. »Be-
stellen Sie unseren neuartigen Schutz-
helm noch heute, und Sie erhalten
gratis dazu einen Preisnachlass in
Höhe von sagenhaften Prozent! Denn
wer weiß, was die Idioten auf der
anderen Seite der Welt morgen auf
Ihren Kopf fallen lassen!«
Das konnte man in der Tat nie
wissen. Franzkevin, schon drauf und
dran, die eingeblendete Telefonnum-
mer zu wählen, sah nach oben. Im
Wohnzimmer, so vermutete er, drohte
ihm keine unmittelbare Gefahr. Aber
der Weg zur Uni! Lagen nicht lauter
Leichen mit zertrümmerten Schädeln
in der Gosse?
Nein, und warum nicht? Die Leute
trugen Helme!
Franzkevin traf seine Kaufentschei-
dung zwischen Marmeladenbrot
und Zähneputzen. Die Nummer der
Bestellhotline hatte er sich auf die
Schnelle nicht gemerkt, aber später,
am Abend, würde er einfach so lange
von Werbeblock zu Werbeblock
zappen, bis der Spot wieder irgendwo
lief. Oder er fragte Mondkalb in der
Vorlesung. Mondkalb kannte sich aus.
Sie trug sogar eine Brille.
Bevor Franzkevin sich auf den Weg
zur Uni machte, begutachtete er sein

Erscheinungsbild im Spiegel: sträh-
niger Blondschopf, Marmelade im
Mundwinkel, T-Shirt eine Nummer zu
groß und faltiger als Oma Charlottes
Gesicht.
»Gut siehst du aus«, sagte der
Spiegel. Franzkevin nickte zufrieden.
Dann, draußen, zeigte sich keine
Wolke am Himmel, nur der blaue
Ätherdunst verbarg wie immer droben
die gegenüberliegende Seite der
Welt. So lief Franzkevin, den Blick
stets gen Obengegenüber, sein
Sträßchen hinunter. Tauben sah er,
die Fassaden der Vorstadt und sogar
den Halbmond.
Eine Kreuzung weiter luden Ärzte
gerade eine Verrückte in den Leichen-
wagen; schade um das Mädchen ...
hübsche rote Haare, aber das Gesicht
eine von schädlichen Gedanken
verzerrte Maske. Hatte sie zu Einstein
gebetet oder an Pfüsik geglaubt?
Hatte Flachwelt-Blendwerk ihren
Verstand benebelt, war sie unheilbar
etwa gar an Theo-Rien erkrankt?
Rasch lief Franzkevin weiter, denn
Theo-Rien waren ansteckend, und er
wollte keine Experikremente bekom-
men. Er schüttelte sich, fast übel
wurde ihm allein von dem Gedanken,
so dass er lieber am nächsten öffentli-
chen Orgonstrahler stehen blieb und
so lange Groschen einwarf, bis er sich
besser fühlte.
Neben dem Strahler hielt eine
Mama ihr Kleinkind ins Streufeld.
Schmarotzer! Absorbierten die
Nebenwellen des Strahlers, für den
andere Leute bezahlten!
Mehr als einen bösen Blick warf
Franzkevin der dreisten Dame nicht

zu, denn auf eine Ladung Pechspray
im Gesicht (die rote Dose hing gut
sichtbar an ihrem Gürtel) verzichtete
er lieber. Sie würde schon früh genug
ihre gerechte Strafe erleiden, denn sie
trug keinen Helm.

D

er Türsteher vor der Uni schick-
te Franzkevin erst einmal hinü-
ber zum Müllsortieren, denn er
war spät dran und der Hörsaal
gerade voll. Also rümpfte er die Nase
über löchrige Socken, knibbelte
Fleischreste von explodierten Handys
und las zwischendurch heimlich
Reklameblättchen, die mit nackten
Tatsachen für Fitness-Pralinen und
Karmaschinken warben.
Als Franzkevin endlich in den
Hörsaal durfte, winkte Mondkalb mit
ihrem IQ-Fähnchen. »Wollte dich
schon auf dem Friedhof besuchen!
Aber du lebst ja doch noch!«
Franzkevin nickte säuerlich. »Wen
haben wir heute?«
»Profässo Knarzt. Schlaf schön.«
Mondkalb schob sich eine Haarsträh-
ne zwischen die Lippen, nahm die
Brille ab, legte den Kopf auf den Tisch
und schloss die Augen.
Blöderweise war Franzkevin zu
wach, um es sich ebenfalls gemütlich
zu machen. Mondkalb besaß bereits
sieben Diplome und drei Doktortitel,
sie konnte sich das erlauben. Er selbst
nicht. Irgendwann wollte auch er ein
IQ-Fähnchen mit einer Zahl über 200
verliehen bekommen. Also hörte er
dem Profässo angestrengt zu. Gerade
baute dieser sich vor der großen Tafel
auf, rückte seine silbergrau gelockte
Perücke zurecht und räusperte sich.

futur III


HOMO HOHLWELT


Bloß nicht zu Einstein beten! Eine Kurzgeschichte von Uwe Post


»Nicht die Welt ist hohl, der Mensch ist es«


Wang Frequent, Pfüsiker (letzte Worte vor seiner Hinrichtung)

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