Spektrum der Wissenschaft - Oktober 2017

(Tuis.) #1
Die Studenten verstummten bis auf
ein Schnarchen hier oder dort.
»Nachdem wir in der letzten Stun-
de mit der Einführung in die Historie
der Überwindung der Schulbelastung
durch König Donald I. begonnen ha-
ben, werde ich heute ausführlich auf
die Korrekturen eingehen, die sich in
jener bedeutsamen Zeit insbesondere
gegen selbst ernannte Klimaforscher
und Atomkraftgegner richteten ...«
Der Profässo säuselte ohne Punkt
und Komma. Franzkevin spürte bleierne
Müdigkeit und hieß sie willkommen.

I

m Schlaf lernt man bekanntlich am
besten, daher verließ Franzkevin
prall erschlaut den Hörsaal und
durfte dem Sammelbildspender am
Ausgang seine Belohnung entkurbeln,
weil er die heutige Quizfrage (»Ist die
Welt hohl oder flach?«) richtig beant-
worten konnte. Sein Kärtchen zeigte
ein rosa Kätzchen und trug die Ken-
nung 104. Das Sammelbild entlockte
Franzkevin ein Grinsen, denn es hatte
ihm bisher gefehlt und ließ sein
Diplom in greifbare Nähe rücken.
Als Franzkevin Richtung Mensa
schlenderte, um einen Hohlburger mit
Cola zu vertilgen, kam er an einem
Menschenauflauf vorbei. Natürlich
blieb er stehen und verfolgte, wie eini-
ge Studenten Kaffeebecher und Es-
sensreste nach einem bärtigen Kerl
warfen, der trotzig ein Schild hochhielt:
»Nicht die Welt ist hohl, ihr seid es!«
Franzkevin verschaffte sich mit den
Ellenbogen eine bessere Sicht. Ein
echter Dissidäng! Der Vormittag wur-
de immer besser.
»Dummkopf!«, rief ein kahlköpfiger
Student und warf eine leere Plastik-
flasche auf den Bärtigen, allerdings
mit der Zielgenauigkeit eines Blinden.
»Nennt mich nicht dumm«, heulte
das Opfer. »Ihr seid dumm! Macht

doch die Augen auf! Die Welt ist rund,
nicht hohl!« Der Verrückte zeigte nach
oben. »Oder habt ihr je die andere
Seite gesehen?«
»Klar«, rief Franzkevin. »Dauernd!
Im Fernsehen!«
»Pfüsiker!«, schimpfte eine ältere
Studentin, die neben Franzkevin
stand. »Dsche-Nie!«
Dieses Schimpfwort kannte Franz-
kevin noch nicht. Vermutlich hatte
die Studentin schon mehr Diplome als
er und Mondkalb zusammen.
Zum Glück kam bald die Dummen-
polizei, um sich der Angelegenheit
anzunehmen. Die gepanzerten Unifor-
mierten bildeten einen Kreis und
nahmen den Dissidäng fest, bevor er
mitten auf dem Campus gelyncht
werden konnte. Die Zuschauer ju-
belten, und die besonders schlaue
Studentin steckte einem der Polizisten
eine eilig am Wegesrand gepflückte
gelbe Blume an die Rüstung.
Dann drehte sie sich um, hob an-
dächtig die Hände und sang: »Die
Polizei schützt uns Schlaue, endlich
sterben die Dummen aus! Heil Hohl-
welt, heil Hohlwelt!« Ergriffen sangen
alle Studenten die Hymne mit, wäh-
rend die Sicherheitskräfte dem Dissi-
däng eine Beruhigungsspritze ver-
passten und ihn dann zu ihrem Ein-
satzwagen trugen. Das dauerte eine
ganze Weile, denn niemand trat zur
Seite, alle wollten ein Selfie mit dem
Dissidäng und den fröhlichen Poli-
zisten knipsen.
Endlich transportierte man den
Dissidäng mit lautem Tatütata unter
viel Jawoll! und Juchhu! ab.
Als sich die Menge der Schaulus-
tigen langsam zerstreute, sah Franz-
kevin lange der besonders wort ge-
wandten Studentin hinterher. Er
wünschte sich, eines Tages auch ein
so nützliches Mitglied der Gesellschaft

zu sein wie sie. Er nahm sich vor, in
Zukunft noch eifriger zu studieren.
Deshalb kaufte er sich sofort im Uni-
Laden einen Dreierpack Bücher mit
Tierfiguren zum Ausmalen, ein Wörter-
buch Polnisch rückwärts und ein hell-
blaues Schlauschlumpf-Wassereis.
Genüsslich sein Eis schlürfend,
setzte sich Franzkevin auf eine laut
angebrachtem Piktogramm garantiert
erdstrahlenfreie Bank. Konzentriert
rechnete er mit dem Handy aus, wie
viele Sammelbilder er noch brauchte.
15 minus 3, mal Hoch, plus Durch,
also 0,43 weitere Semester Studium.
Das war in ungefähr 13 Jahren zu
schaffen.
Franzkevin zerbrach sich auf dem
gesamten Heimweg den Kopf darü-
ber, wieso die schlaue Studentin
Wörter wie »Dsche-Nie« kannte, aber
keinen Helm trug. Ganz sicher gab es
dafür eine Erklärung, die er eines
Tages verstehen würde, wenn er nur
genug verschiedene Katzenbildchen
gesammelt hatte.
Abends, beim Zappen, erwischte
Franzkevin versehentlich eine Nach-
richtensendung. Die verkündete, dass
der Dissidäng nach offiziellen Anga-
ben der Behörden auf dem Weg in die
psychotische Betreuung leider von
einem Schiffswrack erschlagen wor-
den war, das wegen eines zu schwe-
ren Ankers von der anderen Seite der
Hohlwelt gefallen war.
So ein Pech! Aber, andererseits:
Mit einem vernünftigen Helm wäre
das nicht passiert!

DER AUTOR
Uwe Post, Jahrgang 1968, ist Chefentwick-
ler der unabhängigen Spieleschmiede
Ludetis. Er schreibt seit den 1990er Jahren
satirische Sciencefiction. Er hat viele
Kurzgeschichten und mehrere Romane
veröffentlicht, zuletzt »Walpar Tonnraffir
und die Ursuppe mit extra Chili«.
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