ISTOCK / RAWPIXEL
Keine andere Art greift in ihr eigenes Schicksal so
stark ein wie der Mensch. Ob Naturgewalten, Krank-
heiten oder Raubtiere – zahllosen Gefahren, die un-
sere Vorfahren dahinrafften, wissen wir heute viel besser
zu begegnen als früher. Für Nahrungsmittel sorgt eine
Agrarwirtschaft im industriellen Maßstab. Selbst die
Aussichten auf die Geburt von gesunden Kindern haben
sich beträchtlich erhöht.
Nicht nur manche Wissenschaftsjournalisten, sondern
sogar einige ausgewiesene Forscher behaupten: Weil
der Mensch die Natur nun so gut beherrscht, ist unsere
Evolution wohl zum Stillstand gekommen. Denn die tech-
nologischen Errungenschaften würden uns dem Zugriff
der natürlichen Selektion entziehen. Da heute die meisten
ein hohes Alter erreichen, gelte das darwinsche Prinzip
vom Überleben der Bestangepassten für den Homo sapi-
ens nicht mehr.
Doch in Wahrheit ist unsere Evolution keineswegs be-
endet. Wir haben uns selbst noch in der jüngsten Vergan-
genheit biologisch verändert, und solange es uns gibt, wird
das auch weiterhin geschehen. Projiziert man die sieben
Millionen Jahre seit dem Zeitpunkt, an dem sich unsere
Entwicklungslinie und die der Schimpansen getrennt ha-
ben, auf einen einzigen 24-Stunden-Tag, dann entsprechen
die letzten 30 000 Jahre gerade einmal sechs Minuten. Aber
in dieser kurzen Zeitspanne, dem bisher letzten Kapitel un-
serer Evolutionsgeschichte, hat sich in biologischer Hinsicht
eine Menge ereignet: Es gab große Wanderbewegungen in
teils völlig neue Lebensräume und einige drastische Ernäh-
rungsumstellungen. Die Gesamtbevölkerung ist in der kur-
zen Zeit um mehr als das 1000-Fache gewachsen, und die
vielen Menschen brachten zahlreiche einzigartige Mutatio-
nen ein – eine Menge neues Material für das Wirken von
Selektionskräften. Statt anzuhalten, erfuhr die menschliche
Evolution hierdurch sogar einen Schub. Und die Beschleu-
nigung wird sich fortsetzen.
Schon lange kam bei prähistorischen Skeletten der Ver-
dacht auf, dass manche unserer Merkmale ziemlich jung
sind und rasche Anpassungen an neue Lebensumstände
darstellen. So veränderte sich mit dem Übergang zum
Ackerbau, der vor rund 11 000 Jahren im Nahen Osten
seinen Anfang nahm, auch die menschliche Anatomie –
etwa im Zusammenhang mit dem Kochen, das nun Einzug
hielt. Beispielsweise waren die Zähne von Menschen in
Europa, Asien und Nordafrika noch vor 10 000 Jahren
um mehr als ein Zehntel größer als heute. Die Versorgung
mit weich gekochter Nahrung erforderte jedoch augen-
scheinlich kein so kräftiges Kauen mehr wie zuvor die Er-
nährung der Jäger und Sammler, und so wurden Zähne
und Kiefer allmäh lich kleiner.
Die Menschheit wird bei aller Migration und Vermischung nicht einheitlicher werden – im Gegenteil.