DEUTSCHLAND
38 DER SPIEGELNr. 19 / 7.5.2022
I
m Vorwort seines Buchs gibt sich der
Autor bescheiden, nicht ohne die eigene
Kompetenz noch einmal zu betonen.
»Daß meine nun schon fast ein Jahrzehnt
währende Erfahrung als Musikkritiker der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung in diese
Arbeit mit einfloss, ist evident«, schreibt der
junge Musikwissenschaftler. Eigene Texte
blieben allerdings außen vor, »nicht, weil der
Autor sich selbst für einen musikkrtischen
(sic) Idealfall hält, sondern deshalb, weil eine
Selbstanalyse zwangsläufig unergiebig
wäre«. Daher konzentriere er sich auf andere
Autoren und deren Texte.
Der Titel der 334 Seiten starken Disser-
tation: »Musikkritik in Deutschland nach
- Inhaltliche und formale Tendenzen.
Eine kritische Analyse«. Verfasser der Pro-
motionsarbeit aus dem Jahr 1990 ist Mathias
Döpfner, zuvor bei der »FAZ«, heute Vor-
standsvorsitzender der Axel Springer SE und
zudem Präsident des Bundesverbands Digi-
talpublisher und Zeitungsverleger.
Zwei professionell arbeitende Plagiats-
prüfer werfen Döpfner jetzt vor, in der Dok-
torarbeit abgeschrieben und bei den Litera-
turangaben gegen wissenschaftliche Stan-
dards verstoßen zu haben. Er habe bereits
vor einiger Zeit entdeckt, dass sich Döpfner
»nicht an die allgemein bekannten Zitier-
regeln bei seiner Dissertation gehalten hat«,
schreibt Martin Heidingsfelder, einer der
Plagiatsjäger, in einer Stellungnahme. Döpf-
ner wollte sich auf SPIEGEL-Anfrage nicht
im Detail äußern.
Bei den Vorwürfen geht es um Passagen
wie diese: »Aus dem Kreis der Publizisten,
die um die Jahrhundertwende in Deutsch-
land wirken, ragt besonders Johann Friedrich
Rochlitz hervor«, schreibt Döpfner in seiner
Dissertation. In einer seiner Quellen heißt
es auffallend ähnlich: »Aus der Schar der
Publizisten um die Jahrhundertwende ragt
vor allem die Persönlichkeit des Leipzigers
Johann Friedrich Rochlitz hervor.« Doch die
Herkunft der Aussage wird nicht angegeben.
Knapp 30 solcher Passagen haben die Plagiats-
prüfer zusammengetragen.
Anfang Februar 2022 schrieb Heidings-
felder deshalb der Goethe-Universität Frank-
furt am Main und forderte eine formelle
Untersuchung: »Die Literaturangaben sind
dürftig, die Quellen der Informationen un-
klar, die genutzten Sekundärquellen für die
Informationen häufig nicht ausreichend ge-
nannt.«
Insbesondere eine Quelle und der Um-
gang mit ihr seien fragwürdig. So führe Döpf-
ner für bestimmte Passagen eine Reihe von
Literaturhinweisen an, die es so fast de-
ckungsgleich in einer anderen Dissertation
gebe. Diese andere Arbeit, 1938 an der Uni-
versität Heidelberg von Helmut Andres ein-
gereicht, wird zwar im Literaturverzeichnis
angegeben. Sie werde allerdings an diesen
Stellen als Sekundärquelle nicht genannt,
sondern offenkundig nur »umfangreich ge-
nutzt bzw. ausgeschlachtet«, schreibt Hei-
dingsfelder.
Andres, erkennbar aufseiten der braunen
Machthaber stehend, wollte mit seiner
Arbeit zeigen, wie schlecht die Musikkritik
vor dem Auftreten der Nationalsozialisten
gewesen war und wie positiv sie sich danach
entwickelt habe. Döpfner erwähnt Andres
an anderer Stelle und distanziert sich deut-
lich: In der »oberflächlich gearbeiteten
Untersuchung« mache sich der Autor zu
einem »Sprachrohr unverhohlen faschisti-
scher Kultur-Ideologie«.
Und trotzdem, so sieht es auch der öster-
reichische Plagiatssucher Stefan Weber, be-
diene sich Döpfner ausgiebig bei Andres –
manchmal wörtlich, manchmal sinngemäß,
manchmal bei Struktur und Aufbau. Sein
Kapitel »Historische Determinanten der
deutschen Musikkritik bis 1945« sei zu we-
sentlichen Teilen ein Plagiat eines Kapitels
von Andres, Argumentation und Aufbau ent-
sprächen dem Kapitel »Geschichtliche Ent-
wicklung der Musikkritik« in dessen Arbeit.
Weber spricht von einem »Strukturplagiat«.
Er kommt bisher auf 28 verdächtige Pas-
sagen in Döpfners Arbeit. Dazu gehörten
mehrere fehlerhafte Quellenangaben, die
Andres veröffentlicht und Döpfner mutmaß-
lich ohne weitere Überprüfung übernom-
men habe. Mal fehle bei einem Buchtitel ein
Satzzeichen, mal sei der Titel falsch zitiert,
mal gehe es ausgerechnet um eine Disserta-
tion angeblich aus dem Jahr 1923 aus Halle,
die jedoch nie veröffentlicht wurde.
So verweist Döpfner etwa auf ein Buch
von 1910 mit dem Titel »Beiträge zu einer
Charakteristik C. M. v. Webers als Musik-
schriftsteller«. Genauso ist der Band bei
Andres im Literaturverzeichnis aufgeführt –
tatsächlich wird im Originaltitel der Name
Webers aber ausgeschrieben: »Beiträge zu
einer Charakteristik Carl Maria von Webers
als Musikschriftsteller«.
Das mag wie Kleinkram wirken, wäre
aber wissenschaftlich bedeutsam: Döpfner
könnte sich, ohne dies hinreichend kenntlich
gemacht zu haben, aus Andres’ Buch über
die anderen Bücher bedient haben, statt sie
selbst durchzusehen. Das wäre eine verbo-
tene Abkürzung, die einige Mühen erspart
hätte, aber Döpfner nun ordentlich Ärger
einbringen könnte. Solche Plagiate zählten
zu den Vorwürfen, die unter anderem gegen
die damalige Bundesbildungsministerin An-
nette Schavan erhoben wurden; diese verlor
schließlich ihren Titel.
Ob die Unstimmigkeiten bei Döpfner von
ähnlicher Tragweite sind, ist unklar. Die
Frankfurter Universität hat eine Prüfkom-
mission eingesetzt; viel dürfte davon abhän-
gen, ob bei der Untersuchung weitere Auf-
fälligkeiten entdeckt werden. »Das Prüfungs-
verfahren dauert derzeit noch an«, erklärte
ein Uni-Sprecher auf SPIEGEL-Anfrage. Zur
voraussichtlichen Dauer könne er nichts
sagen. Von Springer heißt es dazu: »Mathias
Döpfner ist über den Vorgang informiert. Er
hat volles Vertrauen in die Arbeit der Kom-
mission der Universität Frankfurt.«
Mit dem Fall Döpfner, sagt Stefan Weber,
stelle sich in erster Linie eine moralische Fra-
ge: »Warum macht man so was? Wollte man
›zündeln‹? Oder zeigt sich hier ein besonders
fieses Betrugsmuster, wie wir es aus dem Be-
reich der Wissenschaftsspionage kennen?«
Da werde auch gern mal eine Quelle herab-
gewürdigt, um sie anschließend zu plündern.
Döpfner müsse sich jetzt dringend erklären,
fordert Weber.
Aber auch zu seinem weiteren Vorgehen
wollte Döpfner erst einmal nichts sagen.
Auffallend ähnlich
BILDUNG Plagiatssucher erheben Vorwürfe gegen Springer-Chef
Mathias Döpfner: Er habe in seiner Doktorarbeit abgeschrieben –
unter anderem von einem Wissenschaftler mit NS-Begeisterung.
Armin Himmelrath n
Publizist Döpfner
Bernd von Jutrczenka / picture alliance / dpa