Der Spiegel - ALE (2022-05-07)

(EriveltonMoraes) #1

WISSEN


96 DER SPIEGELNr. 19 / 7.5.2022


samt sieben Gigawatt Leistung das
Stromnetz ab. Allerdings scheint die
Technik weitgehend ausgereizt zu
sein. Zu schwierig ist es, weitere ge-
eignete Standorte für die Reservoirs
zu finden, zu groß sind die Eingriffe
in die Umwelt.
Vor allem eine Technologie wird
deswegen noch mehr an Bedeutung
gewinnen, die heute schon weltweit
im Einsatz ist: Batterien. Sie spei-
chern Energie mit geringen Verlusten.
Ihr Preis sinkt stetig. Und bei Bedarf
ist ihr Strom sehr schnell abrufbar.
»Ohne leistungsfähige Batterien
kann die Energiewende nicht gelin-
gen«, sagt Maximilian Fichtner vom
Helmholtz-Institut. Er sieht zwei An-
wendungen für die elektrochemi-
schen Speicher. Einerseits könnten
Batterien künftig die Rolle der soge-
nannten Gas-Peaker übernehmen.
Dabei handelt es sich um Gaskraft-
werke, die immer dann kurzfristig
anspringen, wenn der Strombedarf
besonders hoch ist. »Diese Spitzen-
last kann genauso gut oder sogar ef-
fizienter von Großbatterien über-
nommen werden«, sagt Fichtner.
Andererseits rechnet der Forscher
damit, dass Großbatterien immer
häufiger als Puffer direkt neben
Wind- und Solarparks installiert wer-
den, um überschüssigen Strom zu
speichern. Nachts, bei Flaute oder
wenn der Strommarkt höhere Preise
verspricht, speisen sie die gespeicher-
te Energie ins Netz ein.
Schon heute sind solche Batterie-
parks in Betrieb. Im kalifornischen
Moss Landing etwa hat die US-Firma
Vistra Energy Teile eines Gaskraft-
werks zu einer Riesenbatterie mit
1,2 Gigawattstunden Speicherkapazi-
tät umgerüstet. Der Elektroautoher-
steller Tesla drängt mit sogenannten
Megapacks in den Markt. In Deutsch-
land entwickelt unter anderem der
Energiekonzern Steag solche Strom-
speicher.
Was diese Großbatterien bislang
eint, ist ihre Lithium-Ionen-Technik,
auf der auch die meisten Akkus von
Elektroautos oder Handys beruhen.
Solche Batterien speichern viel Ener-
gie auf kleinem Raum. Mit Lithium
und Kobalt enthalten sie jedoch Roh-
stoffe, die als problematisch gelten.
Umweltschützer kritisieren insbeson-
dere die Gewinnung des Lithiums, die
in den Abbaugebieten erhebliche
Umweltschäden mit sich bringt.
Forscher denken daher längst über
Batterien nach, die ganz ohne Li-
thium oder Kobalt auskommen. Ko-
baltfreie Batterien, die zum Beispiel
nur noch Mangan oder Eisen enthal-
ten, verbreiten sich im Automobil-


bereich rasant. Lithium will der Fest-
körperchemiker Fichtner durch Na-
trium, Magnesium oder Aluminium
ersetzen. »Gerade für Großbatterien,
die viel Material brauchen, ist es sinn-
voll, auf nachhaltigere Stoffe zu set-
zen«, sagt er. Natrium etwa sei als
Salz im Meer fast unbegrenzt verfüg-
bar, Aluminium eines der häufigsten
Elemente in der Erdkruste.
Erste Natriumbatterien könnten
bereits im kommenden Jahr den
Massen markt erreichen, berichtet
Fichtner. Firmen wie die US-Start-ups
Form Energy oder ESS Inc. entwi-
ckeln zudem Batterien auf Basis bil-
ligen Eisens. Form Energy gibt an,
jetzt schon Strom bis zu 100 Stunden
speichern zu können, die Speicher-
dauer soll bald sechs Tage erreichen.
Auch das Münchner Start-up Volt
Storage hat Großbatterien auf Basis

der Eisen-Salz-Technik entwickelt.
Sie sollen pro Kilowattstunde nur
etwa ein Zehntel des Preises her-
kömmlicher Lithium-Ionen-Batterien
kosten.
Bis 2050 könnten in Deutschland
50 Gigawatt Batteriespeicher zur Ver-
fügung stehen, prognostiziert Agora
Energiewende. Damit könnte die
Dunkelflaute tatsächlich ihren Schre-
cken verlieren – zumal das Problem
möglicherweise kleiner ist als ge-
dacht: Der Deutsche Wetterdienst
untersuchte 2018 exemplarisch, wie
häufig Windräder und Solarpaneele
hierzulande zu Minderleistern wer-
den. Die Experten werteten dafür
Wetterdaten zwischen 1995 und 2015
aus. Nur zweimal im Jahr trat der
Strommangel länger als für zwei Tage
auf, bezogen auf Europa sogar nur
einmal alle fünf Jahre. Experten plä-
dieren deshalb dringend für einen
stärkeren Zusammenschluss der euro-
päischen Stromnetze.
Neben der Stromversorgung hält
die Energiewende allerdings noch
eine weit größere Frage bereit: wie
der Wärmebedarf gedeckt werden
kann.
Gut 550 Terawattstunden Strom
verbraucht Deutschland im Jahr. Für
Wärme und Kälte jedoch beträgt der
Endenergieverbrauch etwa 1500 Tera-
wattstunden, fast dreimal so viel. Und
nur rund 16 Prozent davon stammen
bislang aus regenerativen Quellen.
Damit die Energiewende gelingt,
müssen sowohl die Versorgung der
Industrie mit Wärme als auch die
Heizsysteme der Gebäude nahezu
komplett umgebaut werden.
In Berlin bereitet sich der Energie-
versorger Vattenfall auf diese Zukunft
vor. Am Standort Reuter West im
Ortsteil Siemensstadt wächst seit
2021 ein Riesenzylinder aus Stahl in
die Höhe. Wenn das Bauwerk im
kommenden Jahr fertig ist, soll es
45 Meter hoch sein und 56 Millionen
Liter Wasser halten können, erhitzt
auf bis zu 98 Grad Celsius.
»Wir bauen in Reuter West den
größten Stadtwärmespeicher Deutsch-
lands«, sagt Alexander Ziefle, der
bei Vattenfall die »Berliner Wärme-
wende« koordiniert. Das Heißwasser
aus dem Tank soll in das Berliner
Fernwärmenetz eingespeist werden
und Tausende Wohnungen beheizen.
Für 13 Stunden Wärmeversorgung
reiche das Speicherwasser aus, sagt
Ziefle.
Klimaneutral wird das Ganze al-
lerdings nur dann, wenn das Wasser
fossilfrei erhitzt wird. Unweit der ge-
waltigen Thermoskanne läuft deshalb
bereits Europas größte »Power-to-

»Die Politik
träumt sich
die Welt
seit 20 Jahren
schön.«
Harald Schwarz, TU
Cottbus-Senftenberg

Pumpspeicherkraft-
werk am Hengstey-
see bei Hagen,
Techniker in Lünener
Großbatteriesystem:
Zentraler Baustein der
Energiewende

Hans Blossey / IMAGO

Friedhelm Krischer / STEAG
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