POLITIK WAHLEN
Fotos:
imago images, instagram/handrik.wuest, Oliver Berg/dpa
gen Mittwochmorgen gut gelaunt aus
einem Bus in Ostwestfalen. Thomas Kut-
schaty, dreifacher Vater und Rechtsanwalt
aus Essen, war sieben Jahre lang Justiz-
minister unter Hannelore Kraft, nun kan-
didiert er selbst für das höchste Regie-
rungsamt. Der Wahlkampf führt ihn heute
nach Lübbecke, eine Stadt mit 26 000 Ein-
wohnern in der Nähe von Minden.
Knapp 80 Zuschauer sind auf den
Marktplatz gekommen, es gibt Wurst und
Forelle zu kaufen, im Publikum sind über-
wiegend ältere Herren. Kutschaty steht
auf einer kleinen Bühne und beantwortet
Fragen. Wie will er die Gesundheitsver-
sorgung auf dem Land sicherstellen? Wie
steht es um die innere Sicherheit? Und
was sind seine Pläne für die Schulen? Der
Kandidat antwortet routiniert und fakten-
sicher. Er weiß, wie viele Kinder statistisch
gesehen täglich in NRW zur Welt kommen
(465)und wie viele Bewerber die Polizei
zuletzt hatte (11 200). Er verspricht höhe-
re Bildungsinvestitionen und kostenfreie
Kita-Plätze, echte SPD-Klassiker. Bei den
Leuten in Lübbecke kommt das gut an.
Kutschaty will zurück in die rote Zukunft
Persönlich haben Kutschaty und Wüst
einiges gemeinsam: Beide sind Juris-
ten, katholisch und wohnen immer noch
dort, wo sie aufgewachsen sind. Poli-
tisch trennt sie vieles. Während Wüst den
pragmatischen Macher-
Typen gibt, präsentiert
sich Kutschaty als pro-
gressiver Politiker mit
Zukunftsvision.
Im Mittelpunkt sei-
ner Erzählung steht das
„Morgen“, in das er das
alte Industrieland führen
möchte. Dazu gehört für
ihn ein Transformations-
fonds in Höhe von 30 Mil-
liarden Euro für eine kli-
maneutrale Wirtschaft.
Trotz seiner Herkunft aus
dem Ruhrgebiet wirkt
der schmächtige Kut-
schaty nicht wie der klas-
sische Arbeiterführer, er ist eher der Typ
smarter Betriebsrat. „Wir müssen die
Stadtumlandbezirke neu denken“, ist so
ein Satz im Funktionärs-
deutsch, den man von
ihm hört, wenn er über
Wohnungs- und Ver-
kehrspolitik spricht. Im
Gegensatz zu Wüst, der
meist staatstragend auf-
tritt, lässt sein Heraus-
forderer den Anzug öfter
liegen und trägt stattdes-
sen Zipper-Jacke. Kut-
schaty ist 53, aber mit
seinem dichten schwar-
zen Haar und dem Bart könnte man ihn
gut zehn Jahre jünger schätzen.
Gegenwind aus Berlin
Bei aller demonstrativen Lässigkeit hat der
nette Herr von der SPD auch mit Schwie-
rigkeiten zu kämpfen. Die harsche Kritik
am Kanzler und an der Russland-Politik
seiner Partei bekommt auch er ab. Seine
Losung dagegen lautet: Scholz verteidigen
- und selbst in die Offensive gehen. Die
SPD thematisiert seit Wochen die „Mal-
lorca-Affäre“, die Ex-Umweltministerin
Ursula Heinen-Esser im April zum Rück-
tritt zwang. Die CDU-Politikerin hatte kurz
nach der Flutkatastrophe im vergangenen
Juli den Geburtstag ihres Mannes auf der
Insel gefeiert und dies verheimlicht. Die
Frage, wann der Ministerpräsident davon
wusste, beschäftigt einen Untersuchungs-
ausschuss im Landtag.
Fraglich ist, ob dieses Thema in Kriegs-
zeiten wirklich bei den Wählern verfängt.
Am Ende könnte wie bei vergangenen
Landtagswahlen etwas anderes entschei-
dend werden: die Kandidatenfrage. Bei
einer Direktwahl des Ministerpräsidenten
würden sich laut der jüngsten Umfrage
von Infratest dimap 41 Prozent für Wüst
entscheiden, Kutschaty dagegen käme
auf 32 Prozent – vermutlich auch, weil ihn
viele Wähler immer noch nicht kennen.
Eine letzte Chance, das zu ändern, bie-
tet sich für Kutschaty kommenden Don-
nerstag. Dann treffen er und Wüst beim
einzigen direkten TV-Duell vor der Wahl
aufeinander. Es ist auch eine Gelegenheit,
potenzielle Koalitionspartner zu umwer-
ben. Eine Neuauflage von Schwarz-Gelb
ist unwahrscheinlich; laut Umfragen könn-
ten verschiedene Bündnisse eine Mehrheit
erreichen, etwa Schwarz-Grün, Rot-Grün,
Jamaika oder die Ampel.
Vor fünf Jahren waren die Verhältnisse
noch klarer. Damals war der Koalitions-
vertrag von CDU und FDP in 24 Tagen
fertig. Immerhin eines scheint sicher: So
schnell wird es diesmal nicht gehen. n
Erster Amtseid
2770 neue Polizeibeamte wurden Ende
April in Köln vereidigt. Auch zur Freude
von Innenminister Herbert Reul (2. v. l.)
Erster Mann
Gewinnt Wüst die Wahl, wäre er ein
Schwergewicht in der CDU - und ein
Konkurrent für Friedrich Merz (66, l.)
Erster Frühling
Bilder mit der einjährigen Tochter
Philippa teilt Wüst auf seinem Insta-
gram-Kanal mit 17 200 Followern
Wer Nordrhein-Westfalen
regiert, ist eine Art
Mini-Bundeskanzler