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Während die Brügger Madonna erst im
Oktober 1944 als Rotkreuztransport
getarnt von Belgien direkt nach Altaus-
see gebracht worden war, hatte der
Genter Altar eine längere Odyssee hin-
ter sich. Um einer Enteignung durch
den deutschen Kunstschutz zu entge-
hen, fasste die katholische Kirche Bel-
giens bereits vor 1940 den Entschluss,
das weltberühmte Kunstwerk zerlegt in
den Vatikan zu schicken. Denn seitdem
man in Versailles 1919 die Bildtafeln,
die bis dahin teilweise in Berlin und
teilweise in Gent aufbewahrt wurden,
gänzlich Belgien als Kriegsreparation
zusprach, stand das Kunstwerk im Mit-
telpunkt revanchistischer Diskussionen.
Als der Altar schließlich 1940 verpackt
auf dem Weg in den Vatikan war, er-
klärte Italien Frankreich den Krieg, was
die Reise unterbrach. So lagerte man
den Altar kurzerhand im südwestfran-
zösischen Schloss von Pau ein. 1942
wurde der Genter Altar schließlich auf
persönlichen Befehl Hitlers von Pau
nach Schloss Neuschwanstein gebracht
Von dort traf er schließlich am 9. Sep-
tember 1944 in Altaussee ein.
Nationalsozialistischer Missbrauch
des Kunstschutzes
Der Genter Altar, das zu seiner Entste-
hungszeit größte Ölgemälde der Ge-
schichte, war zusammen mit dem ver-
schollenen Bernsteinzimmer das bedeu-
tendste Kunstwerk, das die Nazis un-
ter dem fadenscheinigen Argument des
„Kunstschutzes“ raubten.
Unter dem völkerrechtlichen Deck-
mantel des „Kunstschutzes“ nutzte die
Führungsebene des Nationalsozialis-
mus den Krieg und das Unrechtsregi-
me zur persönlichen Bereicherung mit
Kunst. Vor allem die Sammlungen
Frankreichs, der Niederlande, Polens
und Russlands waren davon betroffen.
Den Kunstschutz definierte die „Haa-
ger Landkriegsordnung“ von 1907. Im
Kriegsfall sollte eine der Hauptpflich-
ten von Militärverwaltungen in besetz-
ten Ländern die Sicherung der Kunst
vor Zerstörung, Raub oder Beschlag-
nahme sein. Während diese Überein-
kunft im Ersten Weltkrieg von den
Kriegsparteien halbwegs garantiert
wurde, kam es im Zweiten Weltkrieg
zu einer völligen Pervertierung des völ-
kerrechtlichen Kunstschutzes durch
die Nazis. Kunstschutz wurde zum
Mittel des organisierten Kunstraubs.
Das nationalsozialistische Deutsche
Reich ergänzte seine militärischen Ein-
heiten wie Wehrmacht, SS oder Ge-
stapo um eigene Kunstschutzabteilun-
gen. Mit der Gründung des „Einsatz-
stabs Reichsleiter Rosenberg“, kurz
ERR genannt, im Juli 1940, kam es zu
einer regelrechten Automatisierung
des Kunstraubes. Denn der Einsatzstab
Reichsleiter Rosenberg war direkt der
NSDAP und Hitler unterstellt.
Ausschlaggebend für die folgende
Industrialisierung des europaweiten
Kunstraubes durch den Nationalsozia-
lismus war das private Interesse Hitlers
und Görings an der Kunst. Hitler selbst,
der gescheiterte Maler aus Wien, be-
trachtete sich zeitlebens neben seiner
Position als Politiker und Diktator auch
als bildender Künstler. Hermann Gö-
ring war in seinem in Gigantomanie
gesteigerten Selbstbewusstsein davon
überzeugt, der größte private Kunst-
sammler aller Zeiten werden zu kön-
nen. Göring und Hitlers privates Ziel
war der Aufbau gigantischer Kunst-
sammlungen. Göring plante seinen
Wohnsitz Carinhall bei Berlin mittels
Raubkunst zu einem Denkmal seiner
selbst werden zu lassen. Hitler wollte
in Linz das größte öffentliche Kunst-
museum der Welt errichten. Noch vor
Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gab
er im Juni 1939 mit einem sogenann-
ten Führerbefehl den „Sonderauftrag
Linz“, der die staatlichen Kunstsamm-
lungen Dresden und deren Direktor
Hans Posse mit Planungen für ein
„Führermuseum“ in Linz beauftragte.
Mit dem Fortgang des Krieges wurden
die Pläne bedeutend erweitert. Denn
die Enteignung, Vertreibung und Er-
mordung der jüdischen Bevölkerung
und die Eroberung Polens, der Bene-
CLOONEYS Film The Monuments Men
erinnert an Helden der Wissenschaft.
Schwerpunkt
Ausseerland-
Salzkammergut
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