Aero International Oktober 2017

(Chris Devlin) #1
10/2017 http://www.aerointernational.de 77

Uhr UTC unter dem Kommando des 44-jäh-
rigen Captains John D. Murray von der Piste
ab. Start und Steigflug auf zunächst 11 000
Fuß verliefen normal. Nach den Berech-
nungen der Besatzung sollte die Maschine 9
Stunden und 22 Minuten später in Frankfurt
landen.
Dazu sollte es nie kommen. Um 20:10 Uhr
UTC, drei Stunden nach dem Start in Gan-
der, hatte die Besatzung gemeldet, dass sie
die erbetene neue Reiseflughöhe von 21 000
Fuß (FL210) erreicht habe. Nur wenige Mi-
nuten später ertönte im Cockpit eine Feu-
erwarnung: Im Motor Nr. 3 an der rechten
Tragfläche, war ein Brand ausgebrochen –
laut dem späteren Untersuchungsbericht des
Civil Aeronautics Board (CAB) wahrschein-
lich wegen eines Defekts in einer Power Re-
covery Turbine (PRT), einer Art Turbolader
des Cyclone-Sternmotors. Fallschirmjäger Al
Gilbreth erinnert sich über fünfzig Jahre spä-
ter: „Ich hörte jemanden rufen: Das Flugzeug
brennt! Von meinem Fensterplatz konnte ich
sehen, wie Flammen aus einem Motor schos-
sen.“
Der Propeller von Motor Nr. 3 wurde in
Segelstellung gebracht, und Murray inst-
ruierte Flugingenieur James E. Garrett, das


Triebwerk stillzulegen. Noch während Gar-
rett die entsprechende Checkliste abarbeite-
te, meldete Chef-Flugbegleiterin Betty Sims,
das Feuer sei von der Passagierkabine aus zu
sehen. Murray schickte daraufhin Garrett für
eine visuelle Kontrolle des brennenden Mo-
tors in die Kabine.

Der zweite Motor fällt aus
Kaum war der Flugingenieur ins Cockpit
zurückgekehrt, kündigte sich weiteres Unge-
mach an: Während das Feuer in Motor Nr. 3
durch die Aktivierung einer Feuerlösch-Pat-
rone im Keim erstickt werden konnte, drehte
Triebwerk Nr. 1 am linken Flügel plötzlich
von normal 2600 auf 3300 Umdrehungen pro
Minute hoch und musste stillgelegt werden.
Der Untersuchungsbericht kam später zu
dem Schluss, dass eine Fehlmanipulation des
Flugingenieurs zum «Overspeeding» geführt
haben musste. Beim Abarbeiten der Check-
liste hatte James E. Garrett zuerst den fal-
schen Emergency Shutoff Lever (Notfall-Ab-
stellhebel) betätigt. Anstatt die Zufuhr von
Treibstoff, Hydraulik- und Schmieröl und
Luft zu Motor Nr. 3 zu unterbinden, zog Gar-
rett den Hebel von Triebwerk Nr. 1 auf „Off “.
Damit fiel auch der Öldruck im Propeller- Fotos: RAGNAR D

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Drehzahlregler von Motor Nr. 1 zusammen.
Mit Hilfe des Öldrucks wird der Anstellwin-
kel der Propellerblätter geregelt. Fahren diese
durch einen Druckabfall auf ihren kleinsten
Anstellwinkel, kann die Drehzahl durch den
Fahrtwind unkontrolliert über den maximal
zulässigen Wert ansteigen.
Flugingenieur Garrett realisierte seinen
Fehler nach kurzer Zeit und war eben dabei,
den Hebel für Motor Nr. 1 an der Cockpitde-
cke hinter den Pilotensitzen wieder auf „On“
zu stellen, als auch Kapitän Murray die Fehl-
manipulation bemerkte. „I‘m sorry, John, I
goofed“, entschuldigte sich Garrett laut Aus-
sage Murrays vor dem Untersuchungsau-
schuss: „Sorry, John, ich habe Mist gebaut“.
Mehrere Versuche, Motor Nr. 1 wieder zu
starten, scheiterten.
Ungefähr um 20:25 Uhr UTC informierte
Copilot Robert W. Parker Gander Radio über
den Ausfall der beiden Motoren, forderte
eine tiefere Flughöhe von 5000 Fuß an und
erklärte auf eine entsprechende Rückfrage:
„Wir setzen den Flug nach Shannon fort“.
Der Flughafen an der Westküste Irlands lag
zu diesen Zeitpunkt noch knapp 1000 Ki-
lometer entfernt. Die Hoffnung, mit zwei
Triebwerken in rund fünf Stunden Shannon

Die N6923C ein Jahr vor
dem unglück auf dem
früheren flughafen
Göteborg-torslanda

Überlebende von
flug ft923 und
Crewmitglieder
der Ms Celerina
zwei tage nach
der rettung auf
der fahrt nach
antwerpen

Flying Tiger line
Die Flying tiger line wurde 1945 in
Burbank (Kalifornien) von ehemaligen
Kampfpiloten gegründet, die zu Beginn
des Zweiten Weltkriegs zuerst als Frei-
willige in der chinesischen Armee gedient
hatten und 1942 in die Us Army Air
Force übernommen worden waren. erste
Aufträge kamen von den amerikanischen
streitkräften. 1948 erhielt die Flying tiger
line als erste Fluggesellschaft die Bewil-
ligung für regelmäßige Frachtflüge von
los Angeles und san Francisco nach Bos-
ton. Wenig später begann die Airline auch
Passagier-charterflüge anzubieten. ein-
gesetzt wurden Douglas Dc-4 und Dc-6
sowie lockheed super constellation.
Vor allem während des Korea- und des
Vietnam-Kriegs, aber auch später, flog
Flying tiger line regelmäßig truppen-
und Materialtransporte im Auftrag des
Military Air transport service (MAts). Ab
1965 wurden auf dem rasch wachsenden
interkontinentalen luftfracht-Netz zuerst
kurz Boeing 707, später Douglas Dc-8-
60/70F sowie Boeing 747-100 und -200
eingesetzt. 1980 wurde die Gesellschaft
mit der integration des Konkurrenten
seabord World Airlines zum damals
weltweit größten luftfracht-carrier und
nannte sich fortan Flying tigers. 1989
übernahm Federal express für 852 Millio-
nen Us-Dollar die Gesellschaft mit einer
Flotte von 21 Boeing 747, 19 Boeing 727
und 6 Douglas Dc-8-73.
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